Protokoll |
6. Internet Konferenz - Aurora e.V. - Deutsch-Russisches Forum |
Ein Jahr Putin
Der neue Mann im Kreml - eine feste Größe?
Protokoll
=> Pressemitteilung => Thesen der Experten => Bedienungshinweise
( Bei der Konferenz wurden neuere Beiträge jeweils oben eingefügt, damit diese sofort erkannt werden können. In diesem Protokoll sind die Beiträge nun wieder chronologisch von oben nach unten sortiert - wie man es von anderen Texten gewohnt ist. )
- 212 - Beiträge
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:06
# Moderator #
Willkommen bei der Internet-Konferenz "Ein Jahr Putin" !
Inhaltlich haben wir zwei Stränge:
1. Die Außenwahrnehmung Putins durch den Westen
2. Die Situation im Lande
Vielleicht fangen wir mit dem 1. Strang an.
Was ist, vielleicht auch unter dem Aspekt des Sonntag startenden "Petersburger
Dialog", die aktuelle Wahrnehmung Putin's Politik im Ausland?
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:06
Hallo, ja jetzt geht es offenbar los.
Ich begrüße alle bereits Anwesenden und all diejenigen, die im Laufe
der nächsten zwei Stunden kommen werden und wünsche uns eine interessante
und fruchtbare Diskussion.
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:06
Nachdem Putin selbst gestern auch schon sein erstes Jahr
bilanziert hat, könnten wir jetzt ebenfalls damit anfangen.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:08
Hallo Gisbert, erinnern Sie sich noch an die Veranstaltung,
die wir gemeinsam zum Tschtschenienbuch des Fonds Glasnost im Gruner&Jahr Palast
hatten?
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:08
Wie Putins Politik in Deutschland wahrgenommen wird,
ist eine Frage, die mich als Moskau-Korrespondenten als feed-back brennend interessiert.
Autor: Olenin Terek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:10
Wer kann die Frage beantworten, ob Putin wirklich nur
die Wiederherstellung einer russischen Großmacht vorschwebt, oder ob er mit
der schon des öfteren zitierten "Russischen Idee" eine Neuordnung
des Großraums Eurasien vor Augen hat? Es fällt auf, daß bisher
vor allem Brzezinski in solchen Kategorien denkt und klar ausspricht, daß
Amerika hier die Hegemonie behalten und verstärken will. Die Aktivitäten
im Kaukasus etc. sprechen ja auch deutlich dafür. Denkt Putin also nur an
einen "Anschluß" an Europa oder an die Gestaltung des Großraums,
sagen wir von Wladiwostok bis zur Estremadura in welcher Form auch immer?
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:11
An die Tschetschenien-Konferenz erinnere ich mich noch
gut. Es war eine wichtige Veranstaltung. Für mich persönlich allerdings
leider aus sehr traurigem Anlass. Ich würde heute lieber über die Aussen-
und Innenpolitik im Allgemeinen und Besonderen reden. Aber: schön alte Bekannte
wiederrzutreffen in der Virtualität des www.
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:11
Moin, moin aus dem hohen Norden!
Um mit dem Positiven zu beginnen: Wir nehmen Putin als einen europäisch orientierten
Staatspräsidenten wahr, der sich vor allem auch Deutschland gegenüber
sehr aufgeschlossen ziegt.
Leider überwiegen auch nach einem Jahr Putin nach wie vor die negativen Wahrnehmungen
wie: ein noch immer ungelöster Tschetschenien-Krieg, mafiöse Strukturen
und Korruption sowie eine zunehmende Zentralisierung im Lande, die Auswirkungen
auf regionale Kooperationen hat.
Autor: Heinz-E.Müller-Hilgerloh
- Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:11
Mich würde interessieren wie die zukünftige
Energiepolitik in Rußland aussehen soll.
Autor: kreiseler -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:11
Ich denke, dass das Wichtigste in der Einschätzung
Putins in Deutschland der Unterschied zu B. Jelzin ist ! Er wird als Staatsmann
ernstgenommen, was wohl bei Jelzin in den letzten Jahren eher nicht der Fall war.
Allerdings schreiben ihm viele deshalb wohl auch ein höheres "Gefahrenpotential"
zu.
Autor: kleeblatt -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:11
Bis jetzt ist noch nicht ganz klar, ob Putins Politik
sich eher in Richtung von mehr Demokratie entwickeln wird. Bereits sein Ende des
Jahres gehaltener Grundsatzbeitrag ließ autokratische Züge erkennen.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:12
Was Wladimir Putins Außenpolitik betrifft, so ist
sie wohl eher eine Schaukelfahrt zwischen Ost- und West-Orientierung: Stichwort
'Multipolare Orientierung', die er gern vertreten möchte - aber nicht so kann
wie er möchte.
Autor: Astrid Thomsen - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:13
Hallo,
mich würde sehr die Einstellung Putins zur Bodenreform interessieren!
Weiß hier jemand etwas Genaues darüber?
Autor: Hermann -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:13
Für mich kommt Putin auch viel offener für
den Westen daher als seine Vorgänger.
Autor: Heinz-E. Müller-Hilgerloh
- Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:14
Hat sich Putin oder ein anderer Entscheider zum Anteil
regenerativer Energien in Rußland gezielter geäußert ?
Autor: tobias lengsfeld - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:14
meine wahrnehmung russlands speist sich aus zeitungen:
russland schlingert, sucht einen kurs, hat ihn noch nicht gefunden und kompensiert
dies mit antidemokratischen gesten.
- oekonomisch wird durch die hohen oelpreise die strukturelle krise übertüncht,
- die aussenpolitische linie laviert zwischen konfrontation mit dem westen, finanzieller
abhängigkeit und innerasiatischen grossmachtgelüsten,
- innenpolitisch kommen die vollmundig versprochenen reformen (rechtsstaatlichkeit
in aller erster linie) nicht vom fleck,
- und all diese unsicherheit wird mit der kampagne gegen die medien und die tschetschenen
kompensiert.
dieses bild vermitteln mir die zeitungen.
Autor: kleeblatt -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:15
Es scheint so, als ob Putin zwei Schwerpunkte setzten
wird. Zum einen das sogenannte "Nahe Ausland": die GUS, zum anderen:
die EG. Die Fixierung auf die USA, wie bis zur Jelzin Ära, scheint vorbei
zu sein.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:16
Putins Offenheit für den Westen kann doch nur relativ
zu seinen Vorgängern gemessen werden. Zweifellos war Gorbatschow offener,
und Jelzin war glattweg ein Scheunentor. Unter Putin ist die multipolare Orientierung
Gorbatschows und Jelzins durch ein neues Sicherheitkonzept und eine neue Militärdoktrin
korrigiert wurden - in die Richtung, daß nun die USA als Störenfried
dieser Orientierung bezeichnet werden. Dies geschah nach Kosovo.
Autor: Ella denko -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:17
Putin will sich von Amerika nicht so stark beinflussen
lassen.
Autor: sevillano -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:17
ökonomisch stellen sich für die nähere
Zukunft durchaus grössere probleme. die geldmenge steigt monatlich um ca.
5 %, während der wechselkurs gleich bleibt. wenn das so bleibt, dann gibt
es im spätjahr wieder genauso viel rubel wie devisenreserven in der staatsbank.
eine abwertung wäre unvermeidlich.
Autor: lars kreiseler - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:18
Das Schlagwort "Kampagne gegen die Medien"
würde mich interessieren. Vielleicht kann Herr Mrozek etwas dazu sagen? Ist
das, was momentan um NTW geschieht (und wie wir wissen, überschlagen sich
da ja in letzter Zeit die Ereignisse) Teil einer Kampagne gegen die Medien oder
ist die "Nichteinmischung" Putins in die Angelegenheit noch als Kampf
gegen die Oligarchen zu sehen ?
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:18
Auffallend ist für mich, daß Putin zielgerichtet
an einer innenpolitischen Konsolidierung arbeitet, die zum einen zu einer starken
Zentralisierung im Lande führt, andererseits Signale für künftige
ausländische Investoren senden möchte, die ein stabiles politisches Umfeld
benötigen.
Autor: Heinz-E. Müller-Hilgerloh
- Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:18
In Bezug auf den Entwicklungsprozeß in Wind- und
Solarenergie sind wir dabei Rußland zu unterstützen. Jedoch sind die
Ansatzpunkte leider bisher wenig konkret. Das heißt auch, daß die deutsche
und weiteren außländischen Seiten hier wenig aufgeschlossen sind und
offenbar das perfekte System erwarten.
Kann hier zielgerichteter vorgegangen werden, um zu Etappenergebnissen zu führen
?
Autor: kleeblatt -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:19
Es geht vor allem um ökonomische Interessen. Hier
verspricht sich Putin offenbar mehr von Europa.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:19
Hallo Herr Heinz Müller Hilgeloh
zur Energiepolitik kommen wir sicher noch genauer, ebenso wie zu innenpolitischen
und sozialen Fragen - soviel aber ist sicher: Für seinen Stabilisierungs-Kurs
ist Herr Putin von einem hohen Öl-Dollar abhängig.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:20
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas amüsiert mich
immer wieder, wie hoch Menschen aus dem Westen ihre Erwartungen schrauben, wenn
es darum geht, daß sich Länder im Osten umgestalten. Mit unseren eigenen
Reformen (die weniger tiefgreifend sind) haben wir's da nicht so eilig.
Autor: oleg zinkovski, sfb, RADIOmultikulti - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:21
guten tag an alle, die on- line sind!
im letzten Spiegel- Heft gab's einen Beitrag über Putin "Bilanz eines
Bürokraten", der in seiner Kritik alles übertraf, was ich bisher
über Putin in Deutschland lesen konnte. Das Fazit - es läuft nichts richtig,
es wird auch unter Putin nichts richtig laufen, weil er ein Ex-KGB-Mann ist und
mit KGB-Methoden arbeitet. kann man diese meinung als repräsentativ verstehen?
wird sie in deutschland von vielen experten geteilt? die heftigkeit dieser kritik
kommt mir schon etwas überraschend vor, zumal sich in rußland augenblicklich
ein ziemlich breiter öffentliches Konsens zugunsten Putin's Politik gefestigt
hat. Es beweisen auch die positiven Reaktionen auf seine Botschaft an die Nation.
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:22
1. Zu einem erheblichen Teil war die Wahl Putins auch
eine Art Abrechnung mit der Aera Jelzin. Das haben die fast 90%ig negativen Umfrageergebnisse
zu deren Bilanzierung am Jahresanfang 2000 gezeigt. Etwa zur gleichen Zeit erreichte
Putins Popularität ihren Höhepunkt.
2. Putin hat ein Jahr lang die Vorteile des hohen Öl-Preises geniesen können.
Der König hat sozusagen immer noch sein Sonntagskleid an. Das hat verhindert,
dass seine Politik unter das Kriterium des sozialen und wirtschaftlichen Alltags
in Russland geraten wäre.
3. Dieser Alltag droht der russischen Realität, wie die Fälle "Kursk"
und der Brand von "Ostankino" gezeigt haben. Vor allem droht die Ernüchterung
auch auf wirtschaftlichem Gebiet, wie die wirtschaftl. Experten vorausssagen.
4. Für dieses Entwicklung wird es entscheidend sein, wie weit noch die Informations-
und Kommunikationsfreiheit reichen. Siehe die aktuelle Entwicklung bei NTV.
5. Ist nicht die bisher erfolgreiche Machtformel Putins: Reform minus Demokratie
= "Diktatur des Gesetzes"? Hat sich der Westen nicht schon längst
mit dieser Formel abgefunden und lässt sich eben dies als "Reform"
verkaufen?
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:23
In gewisser Weise stimmt das Wort vom "europäischen
Anschluss". Putin will mit Sicherheit den Anschluss nicht verpassen - den
Anschluss an Europa und die Welt. Das ist der Hauptsinn seines Modernisierungsprojektes.
Wobei er (und der nationale Sicherheitsrat in allen seinen Konzeptionen und Doktrinen)
sicher davon ausgeht, dass Russland eine Grossmacht zwischen Europa und Asien ist.
Daran ist nichts zu ändern, dies ist der Platz Russlands - auch wenn es in
weiten Strecken ein Teil der europäischen Kulturgeschichte ist. Von Putin
wird in letzter Zeit allerdings immer stärker und deutlicher formuliert, dass
Russland die Beziehungen mit der Europäischen Union verstärken will.
Wobei das neue Element dabei ist, dass erstmals die russische Diplomatie verstanden
zu haben scheint, dass es die Europäische Union als solche gibt. Dass also
Russland nicht nur Beziehungen zu den einzelnen europäischen Staaten pflegen
muss, sondern auch zur EU insgesamt. In diesem Sinne wird sich Russland immer stärker
als europäischer Staat positionieren. Dies ist ein Teil der russischen Image-Offensive.
Das verändert die Situation - und macht es für die USA schwierig, in
den alten Klischees des Kalten Krieges darauf zu reagieren.
Autor: Alexander Rahr - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:24
Russland befindet sich auf dem Weg der Besserung. Putins
Bestandsaufnahme war nicht schlecht. Die Frage lautet: wie setzt er seine Ideen
um? Hat er die Manpower dazu? Wo sind die gegenwärtigen Widerstände,
mit denen er konfrontiert ist? Oder überschätzen wir Putin? Ein deutscher
Diplomat erzählte mir gestern: Putin ist eigentlich schwach, seine Politik
ist reiner Aktionismus. Er unterscheidet sich kaum von Gorby und Jelzin. Der Fehler
liegt im System, und der kann nicht behoben werden. Der Kremlchef kann noch so
viele Ideen entwickeln, das System wird sie nicht verwurklichen.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:24
Ansonsten würde ich auch vorschlagen, mit einem
Thema mal konkret zu beginnen - vielleicht mit Putins Forderung nach einem starken
Staat, den entsprechenden Befürchtungen im Westen (Hilfe weniger Demokratie)
und den praktischen Hindergründen bzw. Auswirkungen in Rußland.
Für andere Vorschläge offen.
Autor: Reinald Lukas - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:25
Ich denke, dass Umgestaltung in diesen Länder nur
sehr langsam vorangehen kann. Es gibt aber starke Unterschiede zwischen die einzelnen
Staaten. Vielleicht sollten dabei auch die z.T. negativen Erfahrungen von Lateinamerika
mit herangezogen werden.
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:26
Liebe Gabriele Krone-Schmalz,
ich freue mich über Ihren Beitrag! Wir sollten Rußland da abholen, wo
es steht, und nicht versuchen, unsere eigene Sicht von Rußland zugrunde zu
legen, wenn es um die Entwicklung Rußlands und eine europäische Zusammenarbeit
geht. Etwas mehr Bescheidenheit und Selbstkritik täte uns in diesem Prozeß
sehr gut.
Autor: Christian Schäfer - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:26
Warum eigentlich sieht man immer nur das schlechte an
Putin? Was geht eigentlich alles in unserem Land und der EU daneben. Wer bewertet
den erfolg oder misserfolg? Wirklich gute und realistische Beiträge der Medien
zu Rußland sind doch extreme Mangelware.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:28
Möchte mich dem Vorschlag von Frau Krone-Schmalz
anschließen, die Diskussion um ein Thema zu konzentrieren. Erst INNEN, dann
AUSSEN - erst starker Staat, dann multipolare Orientierung? Oder umgekehrt. Bitte
Herr Moderator, entscheiden Sie.
Autor: Friedrich Arnsberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:28
Von welchem System sprechen Sie, Herr Rahr?
Autor: Andreas Prüfert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:28
Nachdem wir mit dem Deutschen BundeswehrVerband ein wenig
Erfahrung seit gut fünf Jahren in Rußland haben, sehen wir Putin so,
daß er konsequent seine Erfahrungen mit dem Geheimdienst nutzt, der Armee
wieder ein Ansehen in der Bevölkerung verschaffen will. Allerdings ist die
Größenordnung z.B. der Armeereform erheblich im Gegensatz zu der in
Deutschland. Dennoch gibt es viele Signale, die Änderungen erhoffen lassen.
So werden nun auch Überlegungen zur Qualifizierung der Soldaten für einen
Beruf im Zivilen angestellt. Frau Krone-Schmalz kann ich nur zustimmen. Wir vergessen
manchmal oder zu häufig, wie lang bei uns Reformen gedauert haben und welche
Dimensionen diese in Rußland haben.
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:29
An Alexander Rahr: Bis jetzt sieht es allerdings doch
so aus, als habe Putin die Initiative noch nicht an "das System" verloren.
Zumindest ist es ihm gelungen, in seiner Jahresbotschaft so zu tun. Wenn das realisiert
wird, was er da ankündigte, wird Russland tiefgreifend umgebaut. Es wird zwar
nicht demokratisch im europäischen Sinne, aber auch nicht autokratisch-totalitär.
Vor allem aber: es wird sich entwickeln. Und es gibt eine gute Chance - was das
wichtigste für Europa ist - dass diese Entwicklung nicht-aggressiv nach aussen
verläuft. (Auch wenn Tschetschenien und die Kriegsgreuel dort doch sehr bedenklich
stimmen).
Autor: Bernd von den Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:29
Wir starteten mit AUSSEN - kann man da etwas zusammenfassen?
Frau Krone-Schmalz - bitte übernehmen Sie ?!
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:30
Lieber Herr Arnsberg,
Ich spreche vom alten Jelzin-System -- Oligarchen, korrupte Bürokraten, Kriminelle
in den Machtsstrukturen ... die sind doch nicht mit einem Male weg.
Autor: Andreas Prüfert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:33
Die alten Machtorgane haben immer noch erheblichen Einfluß.
So gibt es bis heute rund sechzehn sogennante Machtorgane, von denen immerhin zwölf
eigene Truppen besitzen. An den entscheidenden Stellen sitzen immer noch alte Hardliner.
Autor: Christian Schäfer - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:34
In welchem Umfang ist die Politik Putins nach aussen
unabhängig, solange immer wieder Kredite der USA, EU oder des IWF von bestimmten
gestellten Bedingungen abhängig sind?
Autor: Monika Gonser DRF - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:35
Lieber Herr Rahr, sicher ist dieses System nicht auf
einmal verschwunden, sie ist ja aber auch nicht gottgegeben. Wenn Putin zu schwach
ist, was sind denn die Richtungen in die man sonst gehen könnte und - um bei
außen zu bleiben - mit welchen Maßnahmen oder Nichtmaßnahmen
kann Russland hier vom Westen unterstützt werden?
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:36
Zur Aussen-Perpsektive:
Hat es nicht auch erhebliche Mängel in der Aussen-Untersützung der Demokratie
seitens des Westens gegeben. Hat nicht die massive Intervention des IWF während
der Jelzin-Aera auch zur Schwächung innerer demokrat. Kräfte , der Verantwortlichkeit
des Parlaments beigetragen? Ist das nicht auch eine Ernte, die Putin gegenwärtig
einfährt.
Trägt dies nicht auch dazu bei, dass man sich mit dem jetzigen autoritären
Putin-Regime im Westen abfindet, also oft über seine Demokratie-Mängel
und -obstruktion hinwegsieht?
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:37
Ich habe den Eindruck, daß Putin sich bisher außenpolitisch
sehr geschickt verhalten hat. Simples Beispiel: amerikanischer Anti-Raketen-Schirm.
Putin signalisiert, wenn's denn sein muß, dann gemeinsam und schon müssen
die USA Farbe bekennen. Putins neuerliche Konzentration auf Europa gehört
auch in diese Kiste. Es wäre viel zu kurz gedacht, daraus ableiten zu wollen,
die Russen wollen das transatlantische Bündnis sprengen. Putin ist sicherlich
viel zu intelligent, sich mit solchen vordergründigen machtpolitischen Spielchen
zufrieden zu geben.
Putin ist undogmatisch und sehr entschlossen, seinem Land auf die Beine zu helfen.
Seine Politik wird von Pragmatismus bestimmt und das scheint mir in dieser Situation
nicht das schlechteste zu sein.
Ansonsten tut es Rußland und dem Westen gut, daß Putin die Interessen
seines Landes so deutlich vertritt. Das hört sich nach Widerspruch an, aber
ich denke, es verhält sich so: ein selbstbewußter Riese, der seine Entscheidungen
um seiner selbst willen trifft, und nicht um anderen etwas zu beweisen oder eins
auszuwischen, ist ein verläßlicherer Nachbar als ein in seinem Stolz
verletzter Koloss.
Autor: Friedrich Arnsberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:38
Sehr geehrter Herr Rahr,
natürlich kann Putin nicht mit einem Mal das "System-Jelzin" umkrempeln.
Dennoch hat es doch den Anschein, als wolle Putin gerade diese Machtstrukturen
ändern. Aus welchem Grund sind Sie der Ansicht, daß er dieses nicht
schaffen kann?
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:38
Scheint als ob Frau Krone-Schmalz den Part nicht möchte?
Also ein Hinweis zum AUSSEN: Multipolar war die Orientierung, unter der das Sicherheits-
und außenpolitische Programm nach Gorbatschow lief.
Seit Kosovo wird diese Orientierung weiter verfolgt - aber jetzt wird die USA im
neuen Sicherheitskonzept als Störenfried dieser objektiven Entwicklung verstanden,
gegen den man Bündnispolitik versuchen muß - nach West und Ost.
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:38
Ist Putins Forderung nach einem "starken Staat"
tatsächlich als neues "Großmachtstreben" zu verstehen? Oder
meint es nicht eher das Streben nach einem eigenständigen und unabhängigen
Staat, der nach dem Verlust des östlichen Militärpaktes, seiner Stellung
als Weltmacht, seiner wirtschaftlichen Position und letztlich seiner Würde
wieder mehr Selbstbewußtsein erringen will (und muß!)?
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:42
Was Putins Aussenpolitik anbetrifft, so ist es nur logisch,
dass er sich (und damit natürlich auch die russische Diplomatie insgesamt)
verstärkt der EU zuwendet. Letztere versucht ja, transatlantische Partnerschaft
hin oder her, einem eigenen, gemeinsamen, souveränen Stand auch ohne die USA
in der Weltpolitik zu definieren. Gerade seit Bushs Wahl und der bereits eingesetzten
Abkühlung des europäisch-amerikanischen Verhältnisses in einigen
Politikfeldern (NMD, Kyoto, etc.), sieht Putin seine Chance zur Realisierung eines
multipolaren Weltpolitikszenarios. Wir Europäer sollten uns selbstbewußt
auf einen Dialog mit Putin einlassen, ohne uns immer nach hinten (bei den Amerikanern)
absichern zu wollen. An der Frage, zu welchem Verhältnis Russland und Europa
in der Zukunft finden, wird sich insofern deshalb auch der Grad der realen europäischen
Souveränität ermessen lassen.
Autor: Reinald Lukas - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:42
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt existiert noch kein
autoritäres Putin Regime in Russland, wenngleich Putin etwas in diese Richtung
tendiert.
Zu außen: es sollte über eine noch stärkere Einbindung Russlands
in die NATO nachgedacht werden und ebenso langfristig über eine stärkere
Einbindung in eine zukünftige europäische Verteidigung. Eine stärkere
Zusammenarbeit mit der EU in Richtung Handelserleichterungen wäre ebenfalls
ein nützliches Ziel.
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:42
Was die Aussenpolitik Putins angeht: sie ist pragmatisch
und auf die Interessen der einheimischen Wirtschaft (teilweise auch Oligarchen
/Alpha-Gruppe, Abramowitsch etc.) abgestimmt. Das sieht man im Kaspischen Raum,
meine ich. In Asien werden Rüstungsmärkte zurückerobert, von denen
Russland unter Jelzin verdrängt worden war. Die EU braucht Putin als Modernisierungspartner.
Deutschland hat er sich als Schlüsselland ausgesucht.
Der Eintritt in die WTO bis 2002 ist erklärtes Ziel russischer Politik. Putin
will Russland in die globale Weltwirtschaft führen. Die Kooperation mit den
Schurkenstaaten sollte man, glaube ich, nicht überbewerten. Sie steht unter
dem Gesichtspunkt des Geldverdienens.
Ach ja -- da bleibt noch Amerika. Unsere amerikanischen Freunde sehen Russland
ganz anders als wir hier im Internet Chat. George W. Bush meint, Putin würde
alles versuchen, um eine anti-amerikanische Allianz in der Weltpolitik aufzubauen
und will den alten Rivalen bestrafen. Putin würde alles tun, um die Amerikaner
an der Entfaltung ihrer globalen Interessen zu hindern, denkt Washington. Deshalb
jetzt der Druck auf Moskau.
Bislang versuchte der Westen, Russland durch IMW und Weltbankkredite "an der
Leine" zu halten. Putin will sich nun von westlichen Abhängigkeiten freischwimmen.
Ein Druckmittel bleibt dem Westen noch, um Russland im Fahrwasser der Demokratie
zu halten: die Schulden im Pariser Klub. Der Westen will nicht, dass Moskau seine
leicht verdienten Petrodollar in die Militärrüstung steckt, mit Amerika
in Sachen NMD konkurriert.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:44
Lieber Herr Ehlers, ich bin offenbar nicht schnell genug...
liebe Frau Kötschau, kann ich nur unterstreichen...
lieber Herr Schäfer, ich verstehe auch nicht, warum man an Putin immer nur
das Schlechte sieht, wer möchte diese Aufgabe denn haben...
lieber Herr Ennker, Ihr Hinweis mit IWF [Internationaler Währungs-Fonds] scheint
mir ganz entscheidend zu sein. Wenn sie sich heute mit den Ratgebern von damals
unterhalten, werden sie keinen einzigen finden, der diese Ratschläge heute
noch für richtig hält. Damit haben wir unseren Teil dazu beigetragen,
dieses Land zugrunde zu richten. Unverdächtige Politiker (wie Altkanzler Schmidt)
trauen sich heute zu sagen: die Programme taugten nicht dazu, Rußland aufzubauen,
sondern es waren Förderprogramme für westliche Industrien.
Autor: Christian Schäfer - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:45
Ein Großmachtstreben wie es die Geschichte lehrt
und es die USA noch leben kann ich beim bessten willen nicht erkennen. Nicht andere
beherrschen, sondern die Partrnerschaft zugunsten wirtschaftlicher und politischer
vorteile beiderseits, scheint auch Putin in meinen Augen anzustreben.
Im aussenpolitischen Bereich stimme ich daher mit Frau Krone-Schmalz bei, daß
Putin geschickt taktiert.
Autor: Olenin Terek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:45
Ich möchte nochmal nach der "Russischen Idee"
fragen. Gibt es eine Definition unter russischen Außenpolitikern oder "Geopolitikern",
was daraus werden soll? Ich glaube, daß ein großer Teil der heutigen
Verunsicherung und auch einer gewissen Furcht vor Rußland darin begründet
ist, daß die Frage wo Rußland selbst sich einordnet in das internationale
Machtgefüge, unbeantwortet ist. Grob gesagt haben europäische Mächte
nach 1789 zweimal versucht, Rußland zu unterwerfen. Dann hat die Sowjetunion
versucht, Europa zu beherrschen. Und Jetzt? Der Westen ist klar atlantisch orientiert,
militärisch und wirtschaftlich. Wie könnte Rußlands Rolle als "eurasische"
Macht denn aussehen, die sowohl angeschlossen ist an den Westen als auch an den
Osten? Wie denken in dieser Hinsicht russische Politiker?
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:46
# Moderator #
Ich darf einmal kurz zusammenfassen:
- Es gibt einen Diskurs über die Macht Putins gegenüber dem "System"
(Rahr, Bundeswehr, ...)
- Es gibt einen Faden zur AußenPOLITIK
- Weiterhin die Aussenorientierung - "Starkes Russland" oder nicht
Was aber bisher zu kurz kam: Welches GEFÜHL spiegeln Medien und Beobachter
wieder, ist Putin unser FREUND?
Autor: oleg zinkovski - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:46
grossmachtstreben ist eine sehr anstrengende sache. ich
glaube nicht, dass Putin's Rußland es sich nun leisten kann und auch will.
Zu gewaltig sind innere probleme, die Putin geerbt hat. es geht wohl auf absehbare
zeit mehr um stabilisierung und abwendung des weiteren zerfalls. nur durch diese
- objektiv erzwungene - notwendigkeit des handelns wäre die Putin'sche Forderung
nach einem starken Staat zu verstehen.
Autor: Jens Siegert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:46
So wesentlich, wie von manchen TeilnehmerInnen dieses
Forums offenbar verstanden, unterschied sich Putins gestrige Rede von denen Jelzins
nicht. Auch der Stil ist der gleiche: Moeglichst viel vernuenftige (und richtige!!)
Kritik, moeglichst wenig ueber die konkreten Vorhaben, viele Mahnungen und Warnungen
an andere staatliche und nicht-staatliche Akteure. Also Kurz: Hoffnungen bedienen,
aber - zumindest bisher - nicht erfuellen. Das soll, so habe ich das gehoert, nun
wieder einmal ein starker Staat machen (der nicht allzu korrupte Teil, sprich die
"silowije struktury"). Auf der Strecke bleibt alles was stoert - und
das ist leider auch alles, was kontrolliert: einigermassen freie Medien und Zivilgesellschaft.
Warnungen an NGOs gibt es schon genug, nach dem Motto: haltet ihr euch aus der
Politik (sprich der "gelenkten Dekmokratie") raus, bedient eure unmittelbare
Klientel, dann lassen wir euch in Ruhe.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:46
Lieber Herr Rahr, Sie haben mit ihrem Hinweis auf die
Schurkenstaaten einen ganz entscheidenden Punkt angesprochen. Auch hier zeigt sich
ein fast durchgängies Prinzip, daß man auch nach Ende (?) des Kalten
Krieges weiter mit zweierlei Maß mißt.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:47
In der entstehenden neuen Weltordnung einen Platz Russland
als eine der Großmächte zu behaupten - das ist Putins Ziel. Dazu dient
ihm ein starker Staat und eine auf eine Differenzierung der Weltpolitischen Kräfte
ausgerichete Politik.
Wichtig scheint mir: Russland zwischen China und den USA zu begreifen! Das ist
die Zukunftslinie.
Ein starkes Russland ist von daher auch für alle anderen Staaten wichtig -
des allgemeinen Gleichgewichts gleichstarker Kräfte wegen.
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:49
...vor allem ein stabiles Russland. Eine gewisse Stärke
bringt das dann mit sich.
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:49
Schön, wenn "wir" (wir?) auch selbstkritisch
sind bzgl. IWF, Nato-Erweiterungspolitik usw. usf.
Aber hakt nicht viel an der west-östl. Politik auch seitens Russlands? Es
geht im Europa-Rat Verpflichtungen ein, die es in Sachen Menschenrechten etc. nicht
einhält - Wer soll da etwas von einem WTO-Beitritt erwarten.
Russland kooperiert in vieler Beziehung mit den weltpolitischen Gegners des Westens:
Irak, gestern Miloschevitsch, Iran-Atom u. Rüstungsgeschäften, die China-Connection.
Ist nicht seit Jahren das alte west-östl. Misstrauen wieder aktiviert?
Autor: lars kreiseler - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:52
Lieber Herr Siegert,
solche Argumentationen habe ich schon des öfteren gehört, kenne aber
keine echten Beispiele, noch wurde mir das bisher von russischen Bekannten bestätigt
( was aber nichts zu heissen hat !) Können sie vielleicht etwas konkretere
Beispiele bringen ( auch in Form von Links, um nicht das Forum zu sprengen !)
Autor: Reinald Lukas - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:52
Russland begreift Deutschland nicht nur ökonomisch,
sondern auch politisch und kulturell. Putin wird möglicherweise versuchen
die deutsche Regierung bei strittigen Fragen, wie Raktenabwehr oder NATO Erweiterung,
als Vermittler sehen. Ob sie diesem hohen Anspruch gerecht werden kann, bleibt
indessen fraglich.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:53
Das geht ja hier mit einer rasenden Geschwindigkeit -
zu des Moderators Frage: Ob Putin unser Freund sei?
Ich denke, er ist nicht unser Freund und nicht unser Feind -er ist mit Leib uns
Seele Russe und - wie Frau Krone-Schmalz schon sagte - vor allem PRAGMATIKER. Als
Pragmatiker muß er für Russland einen Platz im Prozess der Globalisierung
besetzen - gewissermassen als Beamter der Globalisierung das Beste für Russland
herausholen.
Autor: Ingo Mannteufel - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:53
Herr Rahr schrieb, dass Putin Russland in die globale
Weltwirtschaft führen will. Dass er das will, ist unbestreitbar. Hat er denn
dafür die richtigen Konzepte? Was kann Putin's Russland außer Rohstoffe
und günstige und bewährte, aber wenig innovative Rüstungstechnik
der Welt bieten? Ich sehe seit Putins Amtsantritt wenige Investitionen in Bildung,
Forschung, Wagniskapital, Start-up- Unternehmen, in denen sich die klugen Köpfe
Russlands einbringen können. Keine Investitionen in Verkehrsnetze. Dagegen
werden Telekommunikations- und Internet-Firmen weitaus stärker reguliert.
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:54
Tolle Beiträge! Wir sollten öfters so kommunizieren.
Ich bin fasziniert. Hoffentlich wird der Petersburger GK auch so ergiebig. Ich
denke, Putin will Russland zur Hauptbrücke zwischen EU und ASEAN machen. GUUAM
und Traceca kann man schon in der Pfeife rauchen. Putin agiert mit doppeltem Haushalt.
Der zweite dient ausschließlich zur Finnazierung spezieller Vorhaben, vor
allem im Energie- und Transportbereich. Ist diese Entwicklung gut oder schlecht
für den Westen?
Autor: Monika Gonser - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:55
Ich finde es immer wichtig, in dieser Diskussion selbstkritisch
zu bleiben, nur die bloße Feststellung der alten fehler bringt nichts. Wie
kann der Westen denn seine Politik gegenüber Russland ändern, soll er
im Bezug z.B. auf Tschetschenien "härtere" Standpunkte vertreten
oder soll er Russlands eigenen Weg akzeptieren? Wäre ein möglicher anderer
Ansatz auch, in Zukunft weniger mit zweierlei Maß zu messen und allgemeinere
internationale Ansprüche gegenüber allen Ländern zu vertreten?
Autor: Christian Schäfer - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:55
Zur frage warum man bei Putin nur das schlechte sieht!
Mir drängt sich immer wieder der Gedanke auf, daß man der Person Putin
keinerlei Erfolge zugestehen möchte. Dies weniger von politischer Seite als
von den Medien. Unsere sogenannte 4te Macht erschöpft sich nicht seine KGB
Vergangenheit hervorzuheben. Bad news sells - also auch kein Grund von Erfolgen
seiner Politik zu berichten. Man konzentriert sich auf das was im Argen liegt,
das sich noch nicht gebessert hat und misst, vergleicht immer mit den unserigen
Maßstäben.
Sind wir eigentlich dazu berechtigt dies so darzustellen?
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:56
Um auf die Frage von Bernd von den Brincken einzugehen
- ich habe den Eindruck, dass gerade in den Medien eine gewisse Zurückhaltung
gegenüber Putin gepflegt wird, (Freund schon gar nicht), weil man sich aus
zwei Gründen nicht traut etwas Positives oder Sympathisches zu sagen. Der
erste ist die Geheimdienstvergangenheit (warum kommt eigentlich nicht mal jemand
auf die Idee zu sagen: wer denn sonst, wenn nicht jemand, der diesen laden ganz
genau kennt, hätte in dieser Situation eine Chance...) und der zweite Grund
ist Tschetschenien, wobei mir gerade bei diesem Thema eine abgrundtiefe Heuchelei
vorzuliegen scheint. Es ist ja auch bemerkenswert, dass der Menschenrechtler Sergej
Kowaljew bei uns immer nur zitiert wird, wenn er sich gegen den Krieg in Tschetschenien
ausspricht, aber nicht, wenn er z.B. sagt: Tatsache ist, dass die russische Armee
zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg eine echte Befreiungsaktion in Dagestan durchgeführt
hat...
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:56
Lieber Herr Mannteufel - Was Russland bieten kann?
Nun, ausser Rohstoffen und Land -
vor allem Menschen, die sich im Aufbruch befinden, die nach neuen Ufern suchern,
die zu allen möglichen Experimenten um des Überlebens willen bereit sind.
Das ist ein Kapital, welches viele Staaten der alten Welt und auch der USA nicht
mehr haben.
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:56
Lieber Herr Rahr, kurzer Einwurf: beim Petersburger Dialog
gibt es auch ein Internetforum - das zwar nicht so schnell funktioniert wie dieses
hier, aber dafür zweisprachig und thematisch sortiert ist. seit heut geöffnet.
(geheimtipp für spöter am abend: www.petersburger-dialog.de)
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:57
Lieber Kai Ehlers,
in Ergänzung Ihrer Ausführungen: Könnte Rußland nicht in hervorragender
Weise eine wichtige Rolle spielen in einem zusammenwachsenden Europa:
Zum einen durch die Vermittlung zwischen der EU und den GUS- und südosteuropäischen
Staaten (siehe die wichtige Rolle Rußlands im Kosovo-Konflikt!),
zum anderen als Brücke zwischen Europa und Asien?
Tun wir genug, um Rußland hierzu zu ermutigen, und erkennen wir entsprechende
Verdienste an? Könnte hieraus nicht nach und nach eine partnerschaftliche
Zusammenarbeit entstehen, die Rußland ihren selbstverständlichen Platz
in einem "Europäischen Haus" sichert?
Autor: Hermann -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 15:58
[ zu Kai Ehlers ]
Es geht doch eher darum ob jemand diese neuen Ufer zulässt
und fördert und nicht unterdrückt. So nützen auch die Experimentierfreudigsten
Menschen nichts.
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:00
Technische Anmerkung [zu Gisbert Mrozek]:
"Thematisch sortiert" hatten wir früher auch schon, haben aber diesmal
entschieden, alles "auf einen Tisch zu legen", damit die Leute mehr GEMEINSAM
diskutieren, anstatt sich in die Spezialitäten zu verirren.
Angesichts der diesmal hohen Zahl der Textbeiträge (Dank DRF-Verteiler vermutlich)
wäre es aber günstiger, (wieder) thematisch zu strukturieren - nächstes
Mal !
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:00
Putin hat sich auch deshalb Deutschland als ersten Ansprech-
und Kontaktpartner innnerhalb der EU ausgesucht, weil er zu Land, Leuten und Kultur
persönlichen Zugang durch seine Geheimdiensttätigkeit hatte. Die deutsche
Aussenpolitik sollte mit diesem Pfund stärker wuchern, meine ich. Stattdessen
wird putins KGB-Vergangenheit immerzu moniert. Über zehn Jahre ist's nun her,
dass Putin hierzulande spionierte. Sollte seine KGB-Vita nicht vor allem der innerrussischen
Diskussion vorbehalten bleiben?
Autor: Dirk Hoffmeister - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:01
Lieber Herr Zinkovski,
ich schließe mich Ihrer Meinung an, dass die Politik Putins nicht primär
auf die Wiederherstellung einer Großmacht gerichtet ist. Nach den vielen
Jahren der Stagnation im Inland bedingt durch Jelzin gibt es im eigenen Land genug
zu tun, um Russland vor dem inneren Zerfall zu retten.
Ich glaube, dass dies der momentane Kernpunkt der Arbeit Putins ist.
Autor: lars kreiseler - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:01
Ich denke, dass Haupt-Negativargument zu Putin ist, von
seiner KGB-Vergangenheit mal abgesehen, der angebliche Kampf gegen die Pressefreiheit.
Die Frage ist leider vorhin unbeantwortet geblieben: Ist das wirklich ein Kampf
gegen "unabhängige" Medien?? Gibt es "unabhängige"
Medien in Russland und welche Rolle spielen sie bzw. könnten sie spielen ??
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:01
Liebe Frau Gabriele Kötschau,
Die Frage, was Russland anbieten kann,
läßt sich auch auf das beziehen, was Sie eben genannt haben: Russland
als Brücke! Ja!
Das ist Russlands alte - und neue Rolle. Nur dass die Brücke heute nicht einfach
zwischen West- und Ost gespannt ist, sondern sich inmitten eines globalen Geflechtes
befindet. Ein unstabiles Russland ist eine Gefahr für das gesamte globale
Geflecht - ein stabiles wird zum Gleichgewicht der Kräfte beitragen - in Europa
ebenso wie an der pazifischen Seite.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:02
Sie haben ja so recht, lieber Christopg Neuberg
Autor: Olenin Terek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:03
Herr Neuberg hat einen sehr wichtigen Aspekt angesprochen:
Je offener der Dialog mit Putin und Rußland, um so mehr nützt das auch
den Westeuropäern. Denn daß wir uns immer noch erst bei Amerika rückversichern,
ehe wir einen eigenen Schritt wagen, hängt auch damit zusammen, daß
es auf dem ganzen Globus keine Respektsnation für die USA mehr gibt. Wenn
Rußland so etwas werden könnte, könnten vielleicht auch wir einen
Teil Souveränität zurückgewinnen. Rußland helfen heißt
in diesem Sinne sich selbst zu helfen. Dafür bedarf es noch nicht einmal der
Freundschaft, wohl aber der Aufgeschlossenheit. Der kalte Krieg geht aber bislang
leider weiter.
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:04
# Moderator #
Gut, nun zu den Medien und den aktuellen Ereignissen um die mögliche offene
oder stille Verstaatlichung des "letzten freien russischen TV-Senders"
- NTW.
Versuchen wir, uns für 10 Min. darauf zu konzentrieren !
Autor: Peter de Bourgraaf - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:05
[koentten wir mal bei untenstehendem Punkt neuanfangen]
Über die russische Wahrnehmung zum Westen hin
Die erste Generation Supermachtpolitiker des neuen Jahrhunderts, US-Präsident
G. Bush und RF-Präsident V.Putin, wobei die Russische Federation im Übergang
von Diktatur nach Demokratie oder etwas anderem Neuem eine geschwächte Supermacht
ist, sind sich staatlich nach wie vor verplichtet zur Charta von Paris für
ein neues Europa. Was ist denn diese Charta (November 1990, Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)?.
Wenn nichts diesen Vertrag zum Ende des Kalten Krieges ersetzt, soll jedermann,
die sich wie die Präsidenten mit Weltpolitik beschäftigt, wissen, was
es da zum Ersetzen gibt. Nur eine weltpolitische Stunde in hundert Jahren können
wir mit der Charta gleichsetzen: das Waffenstillstandabkommen zum Ende des Großen
Krieges, November 1918. In beiden Fällen entscheiden sich die Parteien des
gerade endenden Zweikampfes, den Frieden gegenseitig aufzubauen.
Clinton, Jelzin, Bush oder Putin, niemand hat gesagt, die darauffolgenden Verpflichtungen
zu bereuen. Dies ändert sich, wenn Moskau oder Washington die Charta von Paris
loswerden will. Eine zweite Änderungsmöglichkeit in vergangenen und künftigen
Jahren sind einseitige Verletzungen des Chartafriendens: Friedensbruch oder Kriegsfall.
Putin hat nie anders erklärt, sich Osterweiterungen der Nordatlantischen Vertragsorganisation
bis an Russische Grenzen zu widersetzen. Dazu kann der Präsident auf die manchmal
fast vergessene OSZE und UN-Charta hinweisen. Wenn der alte Westen sich erneut
entscheidet, beides wie in den letzten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu machen,
erstens antirussische Osterweiterung seiner Militärallianz, zweitens die Ohren
verschließen vor Moskau oder Verneinung des russischen Widerstands, so kommt
Putin in einer Lage zwischen Kriegsargumenten und der teilweise hungrigen, teilweise
deswegen noch nichtdemokratischen Wählerschaft.
Autor: sevillano -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:06
es gibt einiges, was weniger hinter der zahlen steht,
aber es wird deutlich, dass viele patriotische russen selbst für sich und
ihre familien wenig zukunftshoffnung sehen. wenn nicht sehr schnell und sehr massiv
die abwanderung der geistigen ressourcen gestoppt wird, dann nützen alle investitionen
der welt wenig. das land muss ein stück lebenwert werden und hier hat sich
in den letzten jahren wenig getan. es erschreckt mich, dass nun auch sich viele
von der unterstützung russlands im wissenschaftlichen bereich (z.B. Soros)
verabschieden. zweitens, der rückgang der investitionen der letzten monaten
hat auch damit zu tun, dass viele investoren müde sind: immer muss sich der
investor russland anpassen, selten nur russland selbst dem investor. russland boykotiert
sich selbst in dem es vielem fremden, besonders in den regionen, immer misstraurischer
begegnet. im fernsehen fehlt es auch nicht an zunehmenden kampagnen, die schuld
an den problemen hauptsächlich im schädlichen einfluss des westens sehen.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:06
Zum Thema Pressefreiheit. Das ist insofern eine äußerst
heikle Geschichte, weil sie sich auf mindestens zwei Ebenen abspielt. Die eine
ist in der Tat die Ebene von Wirtschaftskriminalität (in jedem anderen land
der Erde säße Herr Gussinskij bereits im Knast), die andere Ebene ist
die der Pressefreiheit. Das höchste Maß an Pressefreiheit hat es Ende
der achtziger Jahre gegeben, dann ging es - aus verschiedenen Gründen - systematisch
zurück. Und die Geschichte von NTV (so sehr ich einige persönlich schätze
und die Aufgabe für wichtig halte etc.) beinhaltet eben auch Phasen (1996
z.B.), in denen dieser Sender mit Pressefreiheit sehr verantwortungslos umgegangen
ist. Aber damals ging es um Jelzins Wiederwahl und da haben wir uns nicht besonders
aufgeregt. Details helfen manchmal voreilige Urteile zu vermeiden. Zugegeben -
sehr heikles Thema.
Autor: Christian Schäfer - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:06
Entschuldigen sie Herr Neuberg, aber der Satz daß
es nun 10 Jahre her sei, daß Putin hier spionierte, stößt mir
etwas auf. Ist es denn nicht egal, was er tat und ob er es überhaupt (selbst)
tat? Das "jetzt" ist in meinen Augen wichtiger und wenn ihm sein Wissen
aus der vorigen Tätigkeit als Präsident zunutzen ist, sollte man nicht
mäkeln.
Autor: Ingo Mannteufel - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:06
Lieber Herr Ehlers,
den russischen Menschen bietet Putin momentan wenig, um ihre Kräfte zu nutzen.
Auswandern ist leider für viele die einzige Lösung (Stichwort Brain drain).
Ich vermisse gerade in Putins, Grefs und Kasjanovs Politik den Menschen. Ich erinnere
mich noch, wie Putin bei seiner Amtseinführung den russischen STAAT und nicht
die russischen MENSCHEN in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt hat.
Das Stichwort "Brücke" ist gut und schön, nur leider abstrakt.
Wo sind die großen Infrastrukturprojekte? Wo werden Grenzstationen "durchgangsfreundlicher"
gestaltet.
Und was heißt Brücke, wenn ein einfacher Russe dank der (FSB-)Vorschriften
nur für sehr viel Schmiergeld einen Auslandsreisepaß erhält (eigentlich
Verfassungsrechtlich zugesichert) ?
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:06
Ich denke nicht, dass der NTW mundtot gemacht werden
soll. Neue Besen kehren anders. Den neuen NTW-Chef Boris Jordan (ein US-Bürger
russischer Abstammung) kenne ich. Er ist ein Freund von Tschubajs und Potanin.
Die wollten Gusinski schon immer beerben. Gusinskij hätte vielleicht stärker
in den eigenn Sender investieren sollen, als Basketballklubs im Ausland zu erwerben.
Leonid Parfenow, der in den neuen Vorstand soll, ist ein offener und liberal-denkender
Mensch. Kulistikow, der neue Nachrichtenchef, ist ein ehemaliger Kollege von Radio
Liberty. Was denken Sie, Frau Krone-Schmalz und Sie, Herr Mrozek? Ihre werte Meinung
ist mir da sehr wichtig.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:07
Innenpolitische Stabilität ist die Voraussetzung
für Putins außenpolitischen Kurs - oder ist der außenpolitische
Kurs (wir sind wieder wer!) Voraussetzung für innenpolitische Stabilität?
Mir scheint, Putin fährt auf dem zweiten Weg, also Stabilität von außen
nach innen zu tragen.
Innen dagegen sieht es nicht so gut aus. Darüber wäre auch noch zu sprechen.
Was sagen unsere Moskauer Beobachter dazu?
Autor: Bernd v.d. Brincken (Admin) - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:07
Hallo Peter de Bourgraaf:
Die gesamte Textlänge ist begrenzt - ich habe den letzten halben Satz entfernt,
bitte senden Sie ggfs. den Rest erneut !
Autor: Herr Steffen Hulitschke - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:08
Sehr geehrte Damen und Herrren,
Guten Tag,
habe mich gerade eingewählt .
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:08
Lieber Herr Schäfer, eben das meine ich ja. Lesen
sie einfach noch einmal!
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:09
lieber (herr?) herrmann, aufbruch zu neuen ufern ist
in russland durchaus möglich. russland hat sich in rasender geschwindigkeit
entwickelt in den letzten jahren. die menschen hier haben eine ungeheure energie
und einen riesigen nachholbedarf. putin ist nicht so dumm, das alles nicht zu nutzen
- natürlich im rahmen seiner politik. aber: ich teile nicht die einschätzung,
dass er gezielt eine politik betreibt, die auf abschaffung der pressefreiheit und
totale kontrolle errichtet ist. auch die auseinandersetzung um ntw belegt nicht
das gegenteil. ntw ist ein toller sender, unnormal gut und kritisch - aber die
geschäfte von wladimir gussinskij waren hingegen ganz und gar entsprechend
dem normalen geschäftsgebaren vieler russischer oligarchen. hemdsaermelig
und nicht ganz sauber.
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:09
Lieber Olenin Terek,
wie wahr! Wenn wir nur endlich begreifen würden, daß wir uns selbst
helfen, wenn wir Rußland bei seiner Stabilisierung helfen! Wir alle müssen
noch in einem zusammenrückenden Europa ein Interesse an einem stabilen und
friedlichen Rußland haben. Dies gilt übrigens nicht nur für das
große Rußland, sondern muß ebenso gelten für die "kleineren
Bruderstaaten", zum Beispiel die Ukraine und Belarus.
Ich möchte diese Diskussion nicht, wie es teilweise anklingt, gegen die USA
gerichtet verstehen; vielmehr als einen Beitrag zu einem erstarkenden und selbstbewußten
Europa!
Autor: Reinald Lukas - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:09
In der Süddeutschen Zeitung von heute stand zu lesen,
dass die neue Führungsmannschaft von NTW den amerikanischen konservativen
Medienmogol Ted Turner als Kooperationspartner gewinnen möchte. Ob das eine
kritische Medienlandschaft in Russland fördern wird?
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:10
Natürlich kann es sich auch in R. immer nur um eine
relative Unahängigkeit der Medien handeln. Die Krux ist dort wohl, dass die
eng mit der Macht einzelner Oligarchen verflochten ist. Gegenwärtig scheint
bei der schon längeren Kampagne gegen NTW Putin den Vorteil zu nutzen, dass
diese Unabhängigkeit eben an Gusinski zu hängen scheint.
Kennzeichnend für den Stand der russ. Demokratie: in einem heutigen Satz der
NZZ, eine Verteidigung von NTW bzw. eines unabhängigen Fernsehens so massiv
und entschieden wie vor Wochen in Prag, ist in Moskau kaum zu erwarten.
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:10
# Moderator #
Darf ich nochmals bitten, momentan auf die Medienfrage zu fokussieren.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:13
Verschiedene Beiträge haben jetzt darauf verwiesen,
dass die innenpolitische Linie Putins dem russischen Menschen nicht viel zum Leben
gibt/läßt.
Das Stichwort, das man dazu diskutieren muß, lautet aus meiner Sicht: Entwicklungsdiktatur.
Ist Putins "Diktatur der Gesetze" eine Entwicklungsdiaktatur im "demokratischen
Gewande"? Liegt diese Entwicklungsdiktatur im Interesse anderer Großmächte
- und z. B. auch Deutschlands? Ich denke, ja.
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:13
Stellen sie sich vor, Bush verstärkt seinen Druck
auf Russland, China, Iran, Irak, Indien, auch die EU... Wie wird Moskau reagieren,
angesichts der sich abzeichnenden neuen Konfliktfelder NATO-Beitritt für die
Baltischen Staaten, Kaliningrad (die Russen entwicklen keine eigenen Ideen zu den
EU-Vorschlägen-Ihr Gebiet, Frau Kötschau!), Mazedonien (Putin verglich
Kosovo-Albaner mit Tschetschenen), NMD (falls Russland ausgeschlossen wird).
Autor: Jens Siegert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:13
Herr Rahr,
das ist doch eine neue Qualitaet ueberhaupt, dass die Vergangenheit nicht mehr
ueber die heute teilenden Barrikaden bestimmt. Ob Jordan nun ein Freund von Tschubajs
ist oder nicht, ob Kulistikow frueher bei Radio Liberty arbeitete, sagt nicht mehr
soviel aus. Schauen wir doch auf Gleb Pawlowskij, seine "okolo-dissidentskoje"
Vergangenheit und seine Politik (und zynische Publizistik) heute. Problem ist eher,
die angebliche Steuerbarkeit und Beherrschafbarkeit von politischen und gesellschaftlichen
Prozessen zur Richtschnur seines Handelns zu machen.
Autor: Gregor Huber - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:13
Sollte NTW das LIcht ausgehen, dann wird die Welt trotzdem
die Mängel sehen. Und ausserdem: Welche Russe lässt sich heute noch was
vormachen?
Autor: Natascha Berjazewa, Nowosibirsk
- Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:14
NTV und Problem, das ist nur die Ambition eines menschen,
ich spreche ueber Kisiljev. Fuer uns im Provinz so ein Krieg sieht laecherlich
aus. Wenn eine private Firma kein Profit hat, muss man die Leitung wechseln. Fuer
uns in Sibirien sieht sehr vieles anders aus. Wenn jetzt sehen wir nichts im NTV,
abgeschaltet, das ist nur (bis heute) die Schwaeche von Putin. Aber so kann man
nie wieder passieren. Wir brauchen einen starken Staat. Und so eine Spielerei wie
mit NTV ist in Russland unmoeglich. Russland ist nur dann stark, wenn alles zentralisiert
und reguliert ist. Putin hat es begonnen. Er hat schon seine starke Seite gezeigt.
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:14
lieber herr rahr, ich hatte schon geschrieben, bevor
ich ihre frage sah. hab aber wohl schon fast drauf geantwortet. würde nur
hinzufügen: boris jordan war in der vergangenheit als manager von renaissance-kapital
auch nicht gerade ein vorbild für gesetzestreue unternehmenstätigkeit.
ungerecht ist allerdings, dass gussinskij den kopf für die übliche praxis
hinhalten muss. die ursache dafür, so scheint mir, ist allerdings politisch.
Autor: Christian Schäfer - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:14
Natürlich Herr Neuberg - aber es war eben der negative
beisatz enthalten. Wenn dieser immer wieder in jedlichen öffentlichen Medien
egal welcher art in dieser unterschwelligkeit erscheint betrachte ich dies als
schweren Makel für die fähigkeiten Putins. Ich würde mir wünschen,
die Sache wäre so schnell vergessen wie die Diskussion um die Vergangenheit
eines Joschka Fischer.
Autor: Natalia Louneva - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:16
Zur Frage der Existenz der unabhängigen Medien:
Es scheint mir, als ob hier ein etwas zerstörtes Bild davon existiert. Man
kann leider nicht behaupten , daß Media-Most oder die Medien, die zu Verfügung
von Herrn Berezovskij stehen, als unabhängige genannt werden können.
Vor allem, weil sie die Interessen der Besitzer und nah stehenden Gruppen reflektieren
und lobbieren(!). Und die Frage soll gestellt werden, ob die Media-Most Geschichte
und Berezovskij-Fall die Versuche des schwachen Staates sind, seine grauen Kardinalle
etwas zur Seite zu verschieben.
Autor: Gregor HUber - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:17
das sehe ich auch so, Frau Natascha Berjazewa, Nowosibirsk
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:17
Stellen sie sich vor, Bush verstärkt seinen Druck
auf Russland, China, Iran, Irak, Indien, auch die EU... Wie wird Moskau reagieren,
angesichts der sich abzeichnenden neuen Konfliktfelder NATO-Beitritt für die
Baltischen Staaten, Kaliningrad (die Russen entwicklen keine eigenen Ideen zu den
EU-Vorschlägen-Ihr Gebiet, Frau Kötschau!), Mazedonien (Putin verglich
Kosovo-Albaner mit Tschetschenen), NMD (falls Russland ausgeschlossen wird).
Autor: oleg zinkovski - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:17
heute gab's eine meldung im internet, gussinski und turner
sind handelseinig geworden. gerade die möglichkeit, dass ted turner die ntw-
aktien von gussinski erwirbt, ist für die sache ausschlaggebend. sollte putin
wirklich nur einen regimekritischen sender mundtotmachen, würde der kreml
die wege finden, den einstieg von turner zu verhindern, z.b. durch die beschlagnahme
von gussinski's aktien. einen mann von turner's format kann man noch schlechter
kontrollieren als gussinski.
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:17
Zu Herrn Rahr: Was wissen wir eigentlich über die
neuen russischen Geheimwaffen? Und hat der KGB (FSB) die Versuche mit telepathischen
Kaninchen eigentlich fortgesetzt?
Im Ernst: Der kalte Krieg ist VORBEI. Die Probleme liegen offen, meines Erachtens
vor allem in der Wirtschaft (dazu demnächst eine eigene Konferenz). Verlassen
wir die 007-Romantik.
Autor: Peter de Bourgraaf - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:17
an A.Gellinek, G.Kötschau, G.Mrozek, M.Wehner und
K.Ehlers
zum Beitrag von 16:05, ... Friedensbruch oder Kriegsfall...
NATO und Welt: Zwischen erster (1999) und zweifelhaft programmierter zweiter Erweiterungsrunde
gegen jungdemokratisches Russland (unter Putin)
Der alte Westen entscheidet, ob Putin und das russische Volk die Außenwelt
friedlich wahrnehmen wird, wie in den letzten Jahrzehnten des kalten Krieges oder
den frühen Neunzigern.
Was meint Ihr über uns (-Deutschland, NL, USA in Nato) in der Perspektive
Putins oder seiner Nachfolger?
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:19
grüsse nach sibirien - die region ist ein beispiel
dafür, wie schädlich zuviel zentralismus war und ist.
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:20
Lieber Bernd v.d. Brincken !
Wollen wir in der tat hoffen, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Ihr Wort in Gottes
Ohr!
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:20
Werter Herr Schneider: Wenn Sie etwas Negatives in meinem
Beisätzchen finden, dann sei dem so. Ich mag Spione nun einmal grundsätzlich
nicht. Dennoch denke ich, dass sich der deutsch-russische Dialog davon nicht beeinflussen
lassen sollte, sondern im Gegenteil, sowohl die deutsche Diplomatie als auch die
verantwortungsvoll denkenden deutschen Medien Putin's "deutsche Neigung"
als Trumpfkarte für Europa begreifen müssen.
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:21
Die Beiträge von Frau Lunewa u. Frau Berjazewa bestätigen
mich indirekt. Aber hat - liebe Frau Berjazewa - nicht gerade so ein zentralisierter
Staat Russland bzw. die SU schon über jahrzehnte in den Riun geführt.
Ich glaube nicht, dass der zusammen mit einer freien Wirtschaft, freien menschen
und freien Nationen geht.
Autor: jens siegert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:21
bei aller nur allzu berichtigten kritik an gussinskij,
kisiljow etc (erinnern wir uns auch an die sehr kgb-lastigen anfaenge), eine vielfalt
eher schlechter und zumindest interessengeleiteter sender ist doch wohl immer noch
besser als unifizierte ruhe! noch einmal: so viel oekonomischen dreck gussinskij
am stecken hat, ohne politische backing ist die gegenwaertige aktion gasproms und
des eher noch weniger ehrenwerten herrn koch wohl im heutigen russland kaum denkbar.
also: keine diskussionen vom hehren ideal aus.
Autor: Ingo Mannteufel - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:21
Herr Rahr, wessen Außenpolitik ist "realistischer"?
Schröders bezüglich Russland oder Putins bezüglich Deutschland?
Autor: - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:22
Wer russische Medien sieht und/oder aufmerksam liest,
wird merken, dass - und da stimme ich Frau Louneva voll zu - die Medien in Russland
in keinster Weise sich solch journalistischen Standards wie Unabhängigkeit,
Objektivität etc. verpflichtet fühlen, wie vielleicht die deutschen Kollegen
( wenn ich mich irre, möge man mich verbessern). Die allgegenwärtige
Polemik und "Stimmungsmache" sind nicht zu übersehen. All das sollte
man in die Bewertung "Kampf den Medien" mit einbeziehen !! Der Journalismus
in Russland ist nun mal nicht die 4te Macht: nicht lt. Gesetz, nicht in den Köpfen
der "einfachen" Russen und wahrscheinlich auch nicht im Selbstverständnis.
Denn Macht heisst auch immer Verantwortung.
Das soll jetzt allerdings keine Totalkritik, sondern eher eine Bestandsaufnahme
sein !
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:23
# Moderator #
Versuchen wir, das Medienthema abzuschliessen.
Bitte ggfs. letzte Kommentare senden !
Danach:
Wie geht es im Lande zu? Wie machen sich die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte
bemerkbar? Was machen "die" Reformen?
Autor: Natascha Berjazewa, Nowosibirsk
- Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:23
Ja, schon uebermorgen vergessen alle ueber NTV Konflikt.
Meiner Meinung nach, NTV hat in der letzten Zeit so viel Spuellwasser auf unsere
Koepfe gegossen, so sind schon Leute dieser Nachrichten muede. Ja, das Leben ist
bei uns schwer, aber es gibt auch Gruende fuer Optimismus und Hoffnung. Und wir
fuehlen immer, jetzt fuehlten nach den Schultern von Kisiljev und anderen die Meinung
einen konkreten Leuten, nicht unserer Regierung. Aber ich will in einem starken
Staat leben. Ich will wie mein Vater stolz auf mein Land sein. Ja, jetzt hat mein
Vater nichts, aber ich habe auch die Hoffnungen und meine Vergangenheit verloren.
Mit NTV Politiker auch meine Kinder werden auf meine Heimat spucken.
Autor: Herr Steffen Hulitschke - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:24
wird in den Meinungen nicht zu stark polarisiert?
Meiner Meinung wird es ohne eine Symbiose zentraler Strukturen und Eigenverantwortlichkeit
nicht gehen.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:25
Ich schlage vor, die Diskussion auf die Frage zu konzentrieren,
ob ein starker Staat auch tatsächlich das starke, kooperationsfähige
Russland hervorbringt, das viele Diskussionsteilnehmer/innen sich erhoffen.
So betrachtet, kann man Putins Politik als sanfte Entwicklungsdiktatur verstehen.
Die Sanftheit kommt nicht aus Überzeugung - sondern aus Schwäche. Eine
andere Form - etwa ähnlich der chilenischen seinerzeit - wäre in Russland
für Putin heute ihn nicht durchsetzbar und würde seinem internationaen
Ansehen schaden.
Autor: sevillano -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:27
der beitrag aus novosibirsk zeigt, mit allem nötigen
respekt, dass es immer noch so ist, dass der grösste teil der russischen bevölkerung
noch nicht verstanden hat, worum es eigentlichen in einer zivilgesellschaft geht.
wenn es probleme gibt, werden wieder die alten und vertrauten strukturen aus der
schublade geholt. aber der westen hat auch 200 hundert jahre gebraucht, bis sich
eine lebenswerte zivilgesellschaft durchgesetzt hat. wir leben leider nur in dem
system gut, das wir aus der kindheit kennen. das ist ein gewichtiges problem. sie
lernen doch auch eine neue sprache im alter nicht mehr so gut wie in der kindheit.
Autor: Peter Möller - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:28
Zur NTW-Frage: Putin und seine Gefolgschaft fühlten
sich doch insbesondere durch die äußerst kritische (und richtige) Berichterstattung
zum Tschtschenien-Krieg von NTW gestört. Das Verschwinden oder Beibehalten
dieser Berichterstattung wird uns in die Lage versetzen, darüber zu urteilen,
ob NTW jetzt diszipliniert wird und was von der neuen Führungsmannschaft zu
halten ist. Ich befürchte ,dass diese kritische Berichterstattung verschwinden
wird.
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:28
Lieber Herr Manteufel,
gute Frage. Im deutsch-russischen Verhältnis fehlen Inhalte, Vertrauen, Tiefgang
und Ziele. Putin und Schröder sind beide Realisten. Vielleicht haben sie sich
gefunden. Ich frage mich immer: was will Deutschland von Russland? In erster Linie
-- Stabilität und Rückzahlung der Schulden. Was will Russland von Deutschland?
Ich denke (weiß nicht so recht) -- Beihilfe zur Wiedererlangung wirtschaftlicher
und politischer Größe. Die russische Agenda ist viel ambitionierter.
Deutschland hat noch keine Russland Vision.
Was alles stört ist die sture Diskussion über das Wertesystem. So kommen
wir nicht weiter. Unsere Wertesysteme scheinen, wenn man deutsche Politiker hört,
nicht kompatibel zu sein. Die Deutschen sagen: ihr Russen seid noch lange keine
Demokraten. Die Russen antworten: und wir wollen keine Erziehungsstrategie von
euch. Wann betreten wir die nächste Stufe?
Autor: Astrid Thomsen - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:30
Liebe Frau Berjazewa,
Mich würde sehr interessieren, was Sie unter einem starken Staat verstehen!
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:30
Ein starker Staat ist unter heutigen Rahmenbedingungen
der Globalisierung, die auch Putin geniessen will, ein faktisches Ding der unmöglichkeit.
Tatsächlich wäre er nichts als "Machtstaat" im klassischen
Sinne sein. Weder Stabilität international bringen, weil von der Willkür
einer dünnen Elite oder eines einzelnen Führers abhängig - noch
für die menschen etwas . Ihre Rechte würden der Illusion von "Stabilität"
zum Opfer gebracht.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:31
Ja, lieber Herr Rahr, wann betreten wir die nächste
Stufe. Wir polarisieren zu stark, wir fordern zuviel und wir schaffen es einfach
nicht, andere Realitäten zur Kenntnis zu nehmen ohne die eigene Brille zu
benutzen. So wird das nie was. Als überzeugter und kämpferischer Demokrat
möchte ich noch etwas sagen: diese seminaristischen Diskussionen über
Demokratie mit Blick auf Russland kann ich langsam nicht mehr hören..
Autor: Peter de Bourgraaf - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:32
e n t w i c k l u n g s d i k t a t u r einer w ä
h l e r s c h a f t
Entwicklungsdiktatur (Kai Ehlers) einer Wählerschaft, Russische Föderation
1991 - 2001, ist aufgrund einer nur zehnjährigen Geschichte verantwortliches
Thema und Wunsch in Friedensperspektive.
Weil ich dem jetzt aus mangelnder Vernunft nichts zufügen wird, gibt's hier
die extra Einladung an andere, sich zu äussern. Danke
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:32
Lieber Herr Rahr,
die nächste Stufe der Diskussion um Wertesysteme - eine im tiefsten Wesen
kreative - ist bereits lange betreten: Sie resultiert aus der Tatsache, daß
die westlich orientierte Privatisierung den russischen Gemeinschaftsstrukturen
nicht einfach übergestülpt werden konnte - und nun eine Symbiose entsteht
aus Großstrukturen und individuellen, genauer Familienstrukturen. Diese symbiotischen
Formen der Überlebensorganisation, die gegenwärtiog im Lande entstehen,
weisen in die Zukunft - nicht nur in die russische, denke ich.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:33
Starker Staat heißt für viele Russen, die
ich kenne eine gewisse Ordnung und Verlässlichkeit, etwas, das für uns
in Deutschland selbstverständlich ist. Ich kann nur davor warnen, Begriffe
von vornherein negativ oder positiv zu besetzen, ohne die sie umgebenden Realitäten
so nüchtern wie möglich zur Kenntnis zu nehmen.
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:34
Sicher, der Kalte Krieg ist vorbei. Allerdings sind Tendenzen
der Neu-Verhärtung im amerikanisch-russischen Verhältnis kaum noch zu
übersehen. Die letzte Ausweisungs-Äffaire von Diplomaten war dafür
geradezu symptomatisch. Die Uneinigkeit über NMD wurde ja auch schon erwähnt.
Jedoch scheint mir, daß sich besonders die Rhetorik der Großmächte,
vor allem jedoch auf amerikanischer Seite, zunehmend verengt und radikalisiert.
Insofern kann man von einer Abkühlung der weltpolitischen Großwetterlage
sprechen. Ein neuer kalter Krieg ist deshalb noch nicht in Sicht. Eine rückwärtige
Tendenz gibt es allerdings...
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:34
An sevillano:
Also, wir haben auch "200 Jahre bis zur Zivilgesellschaft" gebraucht.
Na fein, dann warten wir halt noch 200 Jahre und sprechen dann wieder mit den Russen,
von-Zivilgesellschaft-zu-Zivilgesellschaft?!
Fragt sich nur, wo WIR dann stehen... Ich schätze wir müssen akzeptieren,
dass die Kulturen verschieden sind und die Gesellschaften auch, und daß es
nicht "One World", eine grosse, gemeinsame "Zivilgesellschaft"
geben kann und wird.
Autor: Schütte - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:36
Vielleicht hilft die Unterscheidung "starker Staat"
- "autoritärer Staat" weiter?
Autor: - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:37
Ob ein starker Staat ein starkes kooperationsfähiges
Rußland hervorbringt: kann es ein schwacher Staat tun? Also braucht Rußland
einen starken, leistungsfahigen Staat´, genauso wie jedes anderes Land. Das
Problem ist, ob es im heutigen Rußland, mit all seinen grausamen Realien,
andere Wege zu finden sind, als den Weg, den Putin jetzt folgt. Sollte jemand die
sehen, möge er/sie sich beim Präsident melden :)
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:38
Liebe Frau Krone-Schmalz:
Wir sind einer Meinung. In Deutschland gibt es zwei "Schulen" gegenüber
Russland. Die eine ist positiv, die andere ist skeptisch-negativ. Die erste Denkschule
fordert Geduld bzgl. Russland. Sie sieht Russland langfristig in Europa. Sie betrachtet
Russland als eine große Kulturnation. Sie hofft auch auf den riesigen Wirtschaftsmarkt
im Osten. Und die andere Denkschule? Na ja, die Skeptiker behaupten, Russland bliebe
noch lange eine reale Gefahr für Europa, Russland könne nie Zeil der
sicherheitspolitischen Architektur Gesamteuropas werden, Russland wäre ein
korrupter Mafiastaat, der andere Nachbarn noch lange drangsalieren und destabilisieren
könnte. Ich habe noch keinen getroffen, der Russland gegenüber gleichgültig
wäre. Es ist-- und das zeigt unser Chat -- ein emotionsgeladenes Thema. Oleg
Zinkowski wird dies bestätigen.
Autor: Andreas Prüfert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:38
Ich bin wieder mit dabei. Die letzten Beiträge über
Demokratie und Zivilgesellschaft finde ich doch zum Teil überheblich. Danke,
Frau Krone-Schmalz, daß Sie sich hierzu so kritisch geäußert haben.
Auch wir haben die Erfahrung gemacht, daß man sich mit vielen, auch hohen
Vertretern Rußlands im Offizierkorps über viele Fragen der Mitwirkung
von Soldaten bei Ihren sozialen Fragen heute besser diskutieren kann als mit Vertretern
aus Frankreich, Spanien, England oder den USA.
Autor: Natascha Berjazewa - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:38
Ja, das ist gewisse Ordnung und vielleicht klingt es
nicht deutsch, Regierungsfahigkeit oder Verwaltungsfahigkeit an Ort und Stelle.
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:38
Lieber Frau Krone-Schmalz, Ihre Definition des "starken
Staates à la russe" scheint mir doch eine Verharmlosung. Der kern liegt
doch wohl im Verhältnis zwischen Individuum und Staat. Darin wird nun leider
seit langen jahrzehnten und nun wieder immer deutlicher dem Staat die Priorität
gegeben. Das scheint mir heute die krankheit der russischen Demokratie zu sein,
nicht die Sehnsucht nach rechtsstaatlichen Verhältnissen. Ohne zu polemisieren
- gehen Sie nicht Putins Rhetorik auf den Leim?
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:39
Ich möchte daran erinnern, dass schon Jelzin für
seinen autoritären Liberalismus kritisiert wurde. Bei Putin ist es letztlich
nicht viel anders - starker Staat ist ein Anspruch, die Realität ist ein schwacher
Staat, der seine Vorgaben vor Ort nicht umsetzen kann. Vor Ort entscheidet immer
noch die örtliche Bürokratie usw.
Autor: Herr Steffen Hulitschke - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:39
Wenn man in die Geschichte zurückschaut, hätten
wir noch etwas Zeit für die 200 Jahre Zivilgesellschaft.
Ich gehe davon aus, dass die Märzrevolution hier Ausgang der Diskussion sein
soll oder ?
(Frankfurter Paulskirche)
Autor: Gisbert Mrozek - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:40
liebe frau krone-schmalz, es ist natürlich zu verstehen,
wenn viele russen vom starken staat, ordnung und lebenssicherheit träumen
(diese drei dinge gehören hier lebens-erfahrungsgemaess irgendwie zusammen).
erstaunlicherweise wollen die meisten russen, die sich dies wünschen, zugleich
aber auch ihre individuelle freiheit nicht aufgeben. nie. individuelle freiheit
und selbstverwirklichung ist eines der stärksten motive für die mehrheit
der russen. das belegen auch viele umfragen. aber: putins versprechen eines "effektiven
staates" wird von vielen "alten" in staat und gesellschaft als ein
aufruf zurück in die vergangenheit begriffen. ob er das nun will oder nicht.
das ist eine reale gefahr für die entwicklung.
Autor: Christoph Neuberg - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:40
Die Unterscheidung "starker Staat" / "autoritärer
Staat" finde ich auf den ersten Blick hin nützlich. Allerdings, haben
Deutschland oder insbesondere die USA etwas, was man einen starken Staat nennen
könnte? Über welche Stärke sprechen wir? Im Allgemeinen und dann
auch im Falle Rußlands.
Autor: Astrid Thomsen - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:42
Hallo Frau Berjazewa,
Ja, das kann ich nachvollziehen!
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:42
# Moderator #
Medienthema abgeschlossen; "starker", "stolzer", "selbstbewusster"
Staat - eine wichtige (Grundsatz-) Frage, aber nicht direkt mit Putin verbunden.
Können wir noch einmal den Blick nach INNEN richten - wie sieht es aktuell
in der WIRTSCHAFT aus? Was sagen die alten Kollektive, Gewerkschaften und andere
Gruppen? Wer kann dazu aktuelle Fakten liefern?
Autor: Jens Siegert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:43
Liebe Frau Krone-Schmalz,
das mit dem "starken Staat" als synonym fuer einen Staat, der seine grundlegenden
Funktionen (Sicherheit, einhalten der Regeln, soziale Minimalstandards, Schutz
von Minderheiten) erfuellt, ist ja tatsaechlich ein hoechst legitimes Anliegen.
Aber verstehen das die "Gossudarstvenniki" [Staatsbeamte] auch so - ich
glaube nicht.
Autor: Andreas Prüfert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:43
Noch eine Ergänzung zu meinem letzten Beitrag. Wir
haben viele russische Freunde, die zum Beispiel in einer Organisation der europäischen
Militärverbände (EUROMIL) aktiv mitarbeiten. Mit Ihren Wortbeiträgen
und Argumenten sind sie Gottseidank noch nicht so angepaßt und smart wie
viele Vertreter westlicher Staaten. Dies soll nun nicht blauäugig alles aus
Rußland loben. Aber auch die Vorbereitung meines Besuches in Rostov am Don
übernächste Woche geht problemloser, als die Organisation einer Konferenz
letzte Woche in Rom.
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:44
Lieber Herr Ennker,
ich glaube, ich habe ein feines Gespür für Realitäten und bin kein
Freund von abgehobenen theoretischen Diskussionen. Wahrscheinlich würde jeder
von uns eine andere Definition von "starkem Staat" abgeben. Das hilft
in der Praxis alles nicht weiter.
Ich versuchs mal mit einem konkreten Beispiel, das die theoretischen Diskussionen
ad absurdum führt:
Als Jelzin Probleme mit der Duma hatte, fanden wir das fürchterlich, der arme
Reformer kommt auf keinen grünen Zweig; jetzt wo Putin die Unterstützung
der Duma genießt, sind es seine Marionetten...
Wissen wir eigentlich noch was wir wollen?
Autor: Gabriele Kötschau - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:44
es würde mich sehr reizen, lieber Herr Rahr, auf
die Frage Kaliningrad näher einzugehen. Doch ich beuge mich dem Wunsch des
Moderators nach einem Themenwechsel...
Lieber Bernd v. d. Brincken,
was spricht eigentlich gegen eine große gemeinsame Zivilgesellschaft? So
wie wir ein "Europa der Regionen" anstreben, so kann es doch auch eine
große gemeinsame Zivilgesellschaft in Europa geben, die unterschiedliche
Kulturen und Traditionen vereint. Die Menschen sind teilweise schon erheblich weiter
als die Politiker!
Wir müssen bereit sein, ebenso selbstverständlich positive Ansätze
und Erfahrungswerte Rußlands zu übernehmen, wie wir es umgekehrt erwarten.
Und: Ratschläge sind auch Schläge!
Autor: oleg zinkovski - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:44
die schule der "skeptiker" in deutschland kauft
es putin einfach nicht ab, er wolle aufrichtig von deutschland lernen und mit deutschland
eine - wie auch sie aussehen mag - strategische partnerschaft gründen. doch
dieses misstrauen ist kontraproduktiv. durch die ausgrenzung von putin gewinnt
deutschland nichts. durch die annäherung bekommt sie wenigstens eine stabilität
im osten.
Autor: - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:47
Werte Frau Krone-Schmalz,
vielen Dank für diesen Beitrag !
Autor: Peter de Bourgraaf - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:47
zu Rahr:
"Russland könne nie Ziel der sicherheitspolitischen Architektur Gesamteuropaas
werden ..."
Was nicht alles kann. Argument: Wer schon alle hat im Europa vor achtig Jahren,
1919, 1922 oder 1929, gesagt, dass Deutschland nie Teil der sicherheitspolitischen
Architektur Gesamteuropas werden konnte? Fast alle.
Nicht alle, auf der einen Seite John M.Keynes beispielsweise, auf der anderen Seite
unzählige Beispiele der anderen, einer positiv formulierten Meinung.
Also: RF in ein Europa, wo es schon seit den Anfängen der modernen Geschichte
nicht draussen liegt.
Autor: Benno Ennker - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:47
Gratulation zum feinen Gespür, wenn es noch Raum
lässt für die Beachtung von Menschen- und Bürgerrechten als kriterium
der Beurteilung. Die konkreten Strukturen mögen noch so verscheiden sein.
Ist es nicht das, was "wir" wollen?
Autor: Rahr -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:47
Wir sollten unsere russischen Diskussionsteilnehmer nicht
so stiefmütterlich behandeln. Sie haben auch ihre Erfahrungen gemacht. Die
westliche liberale Demokratie hat sich in Russland nicht eingebürgert. Die
Menschen haben einen totalen Zusammenbruch hinter sich -- von Staat, Wirtschaft
und Gesellschaft. Kaum einer von uns jüngeren kann das nachvollziehen. Vielleicht
wird die Demokrtaie in Russland später wieder populär. Momentan drückt
Putin da auf die Bremse. Er tut das, was viele Menschen in Russland fordern: er
stellt die Ordnungsmacht des Staates wieder her. Vielleicht will er versuchen,
von der "Chinesischen Erfahrung" (die Andropow vorschwebte) zu lernen.
Der Westen ist darüber schockiert. Wir haben aber kaum Einflußmöglichkeiten.
Autor: Kai Ehlers -
Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:49
Zur INNENLAGE:
Gewerkschaftliche Kämpfe sind nach 1998 abgeklungen, Streikbewegung um Lohnfragen
sinkt, weil unter Putin tendenziell Lohnrückstände aufgeholt wurden -
aber andererseits radikalisieren sich Auseinandersetzungen im Bereich der neuen
Eigentumsfrage und Übernahme von Betrieben durch neue Besitzer.
Es entstehen aber Auseinandersetzungen um die Neugestaltung des gesamten Sozialversorgungssystems,
das auf staatliche Versorgung umgestellt werden soll - ohne dass dies funktionierte.
Es gibt Auseinandersetzungen - in diesem Zusammenhang - um einen neuen Arbeitskodex:
Verschärfung der Arbeitsdrucks in den Betrieben, Abbau von Rechten und Leistungen.
Es gibt eine kommende Auseinandersetzung um die notwendige Modernisierung von technischen
und infrastruktuellen Anlagen, die zu verrotten drohen und zur Gefahr werden.
Alles dies: gewerkschaftliche Fragen.
Das Sozialprogramm Hermann Grefs ist eine Konfrontation gegen die arbeitende Bevölkerung.
Auf lange Sicht liegt darin die Gefahr von Instabilität.
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:50
Was "gegen eine Zivilgesellschaft" spricht,
ist der Gedanke, daß es EINE ist.
Ich misstraue einfach Begriffen, die eine "grosse Klammer" herstellen
möchten. Es besteht die Gefahr, daß die Aufmerksamkeit für die
Unterschiede, als Basis für _jeweils_ starke Identität, abnimmt.
Autor: Andreas Prüfert - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:50
Zur Frage der Wirtschaft eine Erfahrung von einem Besuch
in Moskau im März. Wir haben eine Einrichtung besucht, die versucht, Soldaten
neue Jobs in der Zivilwirtschaft zu vermitteln. Sowohl von der Professionalität
als auch von der technischen Ausstattung könnte sich fast jedes Arbeitsamt
bei uns eine Scheibe abschneiden. Vor zwei Wochen wechselte der Vermieter der Einrichtung
und setzte die Miete sofort um 50% herauf. Es fehlt nicht an Ideen und guten Leuten,
sondern an einigermaßen verläßlichen Verhältnissen, auch
für die Gewährung von Krediten und Risikokapital.
Autor: Bernd v.d. Brincken - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:51
An Kai Ehlers:
Was ist das "Sozialprogramm Hermann Grefs", können Sie das kurz
erläutern?
Autor: Gabriele Krone-Schmalz - Datum-Zeit: 04.04.01 - 16:51
Lieber Herr Mrozek, Sie haben völlig recht. Das
ist das eigentliche Problem: die Gratwanderung staatliche Strukturen funktionsfähig
zu machen und gleichzeitig erworbene Freiheiten nicht zu beschneiden und das dann
auch noch zu vermitteln... genau das ist das Problem, aber von vornherein immer
nur Unrat zu wittern... das ist es eben auch nicht.
Autor: Astrid Thomsen - Datum-Zeit: 04.04.01 -