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Aurora e.V. - Deutsch-Russisches Forum - 6. Internet Konferenz |
Ein Jahr Putin
- Der neue Mann im Kreml - eine
feste Größe?
Thesen der Experten
Kai Ehlers - Gabriele Kötschau - Gisbert Mrozek - Markus Wehner
Ein Jahr ist Wladimir Putin inzwischen Präsident Russlands.
Aus „Mister Nobody“, der außer dem Krieg gegen die Tschetschenen kein Programm
vorzuweisen hatte, wurde der Stabilisator, der Privateigentum und Patriotismus
verbinden will und tatsächlich eine relative Beruhigung des Landes erreichte.
Außenpolitisch fährt
Wladimir Putin einen Kurs der multipolaren Ausrichtung der russischen Sicherheitspolitik
als Gegengewicht gegen den Herrschaftsanspruch der USA in Anlehnung an China und
in Wiederannäherung an die Länder der GUS sowie die traditionellen Partner
Russlands wie den Iran und andere. Den tschetschenischen Krieg hat er in den Bereich
imperialer Normalität gedrückt.
Innenpolitisch setzt Wladimir Putin
auf eine Legalisierung der Ergebnisse der bisherigen Privatisierung bei gleichzeitiger
Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Staates. Sein Sozialprogramm
zielt darüber hinaus auf eine weitere Phase der Privatisierung durch den Übergang
von der bis heute existierenden korporativen, betrieblich organisierten auf staatliche,
privat finanzierte Sozialversorgung der Bevölkerung. Faktisch läuft
dies auf eine zweite Welle der Enteignung der Bevölkerung zugunsten privatkapitalistischer
Strukturen hinaus. Widerstand seitens der Bevölkerung ist zu erwarten. Wladimir
Putins Parole einer "Diktatur des Gesetzes“ dient der Legitimation dieses
Prozesses. Ihre administrativen Umsetzungen – von den neuen föderalen Verwaltungsstrukturen
über die Steuergesetzgebung bis hin zum geplanten neuen Arbeitsgesetz - zielen
auf eine Entwicklungsdiktatur im demokratischen Gewande.
Am Horizont werden jedoch Wolken sichtbar, welche die Übergangszeit
des gegenwärtigen Putinschen Wunders erheblich verkürzen könnten:
Der Öl-Preis ist nicht stabil. Wenn er stürzt, bricht auch der Puffer
weg, der zur Zeit den sozialen Frieden erhält. Technische Katastrophen wie
der Brand des Moskauer Fernsehturms „Ostankino“ im August 2000 oder der Untergang
der Kursk im selben Monat lassen das Stichwort der „technogenen Katastrophe“ aufkommen,
die eintreten könnte, wenn in die Modernisierung der industriellen Infrastruktur
nicht schleunigst investiert wird. Deren Verfallsdatum wird von russischen Experten
auf das Jahr 2004 datiert.
Schließlich ist noch das allerwichtigste Problem Russlands, gewissermaßen
seine Schicksalsfrage ungelöst: die Situation auf dem Lande. Hier ist die
Privatisierung ins Stocken geraten. Hier bestimmen Naturalbeziehungen die Wirtschaft
noch immer zu mindestens sechzig Prozent. Eine Lösung von Seiten der Regierung
ist nicht in Sicht, stattdessen entwickeln sich kollektive Selbsthilfestrukturen.
Russland, heißt dies alles, ist
nach der Zeit der schnellen Umverteilung des Volksvermögens nun in die Phase
der inneren Polarisierung eingetreten. Wie diese verläuft und wie lange sie
sich hinzieht, ist von Faktoren abhängig, die nicht zu kalkulieren sind.
email: info@kai-ehlers.de
Gabriele
Kötschau - Hoffnungsträger
Putin?
Seit dem Zerfall der Sowjetunion machen alle neuen Staaten auf ihrem Gebiet einen gewaltigen Transformationsprozess durch. Auch die Russische Föderation hat diesen Prozeß nicht abgeschlossen: „Früher hatten wir ein System; es war schlecht, aber wir hatten eines; heute haben wir keines“, sagte mir vor einigen Jahren ein junger Unternehmer aus Moskau.
Noch weit entfernt von einer wirtschaftlichen und innenpolitischen
Konsolidierung Russlands, hat Putin seinen Bürgern doch eines wieder gegeben:
ein neues Selbstbewußtsein! Von Beginn seiner Präsidentschaft
an gab er seinem Volk das Gefühl, einer Nation anzugehören, die sich
nicht erpressen lässt, die eine Annäherung an die übrigen GUS-Staaten
sucht sowie die Kontakte zu seinen traditionellen Partnern fortsetzt. Er sucht
einen eigenen, einen russischen Weg, dessen Richtung bisher jedoch nicht
deutlich erkennbar ist; doch eines scheint sicher: es wird weder eine Rückkehr
zur alten Sowjetunion geben noch eine schnelle Wandlung in ein Land westlicher
Prägung.
Nach dem Motto „Alle Macht dem Kreml“ zentriert Putin die Macht wieder und führt
die Föderalisierung Russlands und damit den Machtverfall des Moskauer Zentrums
zurück. Dazu gehört, dass die Gouverneure und regionalen Eliten in ihrer
Autonomie eingeschränkt werden. Diese Zentralisierung der Macht erschwert
zunehmend die sich im europäischen Raum entwickelnde grenzüberschreitende
regionale Kooperation, unter Einbeziehung russischer Regionen. Das gilt vor allem
für den Ostseeraum – hier gibt es die konkrete Chance, durch eine vernetzte
Zusammenarbeit der EU- und der Beitrittsstaaten mit den russischen Ostseeanrainerregionen
die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf das benachbarte Russland abzufedern:
Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen.
Putin hält die „Privatisierung des Staates“ seitens einiger Finanz- und Wirtschaftsoligarchen
auf, die sich staatliche Machtbefugnisse aneigneten und sich ihre eigenen
Gesetze schufen. Die Oligarchen werden aus dem Zentrum der Macht entfernt – jedenfalls
jene Oligarchen, die sich nicht mit Reichtum begnügen, sondern Teilhabe an
der Macht fordern. Inwieweit er sich auf Dauer gegen sie durchsetzen und eigene
Unabhängigkeit erreichen wird, bleibt abzuwarten.
Der Absicherung seiner Macht dienen Einschränkungen der Befugnisse weiterer
Kontrollinstrumente und Verfassungsorgane:
Bei aller Vorsicht im Umgang mit Russland sind wir gut beraten,
Russland als Partner in Europa anzuerkennen und auf allen Ebenen eine engere Kooperation
anzustreben. Nur so können wir zur Stabilisierung des Landes beitragen und
damit zur Sicherheit in Europa – zumal Putin die Zusammenarbeit mit dem Westen
sucht.
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