Protokoll der 5. Aurora-Konferenz vom
9. Juni 99
'Am Balkan scheiden sich die Geister'
Thesen der Experten - Pressemitteilung
- Aurora - Friedrich-Ebert-Stiftung
Eine schriftliche Fassung dieses Protokolls ist ab anfang
Juli erhältlich:
Friedrich-Ebert-Stiftung - Abt. Internationaler Dialog - Godesberger Allee 149 - 53175
Bonn
Die Teilnehmer und ihre email- bzw. Web-Adressen
Gernot Erler |
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Anna Kreikemeyer |
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Gabriele Krone-Schmalz |
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Andrei Zagorski |
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Klaus Segbers |
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Galina Woronenkowa |
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Betreff: Auf Wieder-Mailen - Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Lieber virtuelle DiskutantInnen, in der Hoffnung, daß der Anlaß dieser Konferenz
uns in Zukunft nicht mehr heimsuchen moege und wir gedeihlicheren Themen zwischen russischen
und deutschen MailerInnen entgegensehen, wuensche ich Ihnen noch einen erholsamen Sommerabend.
Tschuess!
Betreff: Konferenz - Von: Bernd vd Brincken, Aurora
- Datum: 09.06.1999
Die Konferenz bleibt bis Sonntag geoeffnet. Wer noch Fragen oder gerne das letzte Wort
hat - dies ist die Chance.
Eine gedruckte Version der Konferenz wird in Kuerze bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erhaeltlich
sein.
Man beachte auch Ankuendigungen und Links auf der Aurora-Homepage www.kanka.de/aurora. Das
Thema der naechsten Konferenz im Herbst: 'Korporatismus oder Individualismus'.
Soweit Dank an alle Teilnehmer, die Friedrich-Ebert-Stiftung und an Cityguide und das Future
Point Internet Café.
Betreff: Die Konferenz geht ja noch weiter... - Von: Kai
Ehlers - Datum: 09.06.1999
Liebe Sabine Kroeger,
Sie haben da eine Frage gestellt, die mich noch einmal in die konferenz zurückgeholt
hat - abgesehen von der kleinen Ermahnung unseres Moderators, daß die Konferenz mit
der Verabschideung von Prof. Klaus Segbers nicht gleich zuende sei.
Ihre Frage: Wie sich der Krieg auf das Verhältnis unserer Bevölkerung zur USA
auswirkt.
Schwer zu beantworten zur zeit, denke ich. Dazu liegen, glaube ich, bisher keine Daten
vor. Intuitiv und aus dem persönlichen Erfahrungsbereich würde ich sagen: Man
fühlt sich ein bißchen vergewaltigt, ein bißchen überwältigt,
ein bißchen in eine Richtung gedrängt, die man nicht als die eigene erkennt.
Wohin das führt ist offen. So viel aber scheint mir sicher: Deutschland ist im Moment
im Begriff, seine Position zwischen Rußland und Amerika neu zu bestimmen und ich
denke, dies wird die politischen Debatten der nächsten Jahre bestimmen. Kann es eine
neue deutsch-russische Achse geben - ein neues Rapallo? Diese Frage wird uns beschäftigen.
Von: Eberhard Doerr - Datum: 09.06.1999
Ich wuenschte mir eine russische Soap-Opera im Fernsehen, um auch das Kultur-Ungleichgewicht
zwischen USA und RF in Deutschland zu verringern. Aber das ist wohl kein Wunsch, den
man in einem politischen Kontext stellen kann?
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Doch, aber sicher.
Betreff: Auf wiedersehen - Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Ich melde mich ab mit einem freundlichen Gruß an alle Teilnehmer und mit einem Kriegs-Witz
(der Witz ist immer noch der verläßlichste Partner bei der Verarbeitung schwer
erträglicher Erfahrungen):
Ein NATO-Präzisgeschoss hat den Kölner Dom in Schutt und Asche gelegt. NATO-Sprecher
Shea spricht von einem bedauerlichen Fehl-Targeting und kündigt eine sofortige umfassende
Untersuchung an. Sie kommt zu folgendem Ergebnis: Es gab eine Fehleingabe in den Zielcomputer
- statt Milosevic tippten die NATO-Offiziere Millowitsch ein . . .
Von: Ludger Wiedemeier - Datum:
09.06.1999
Eine englischsprachige Zeitung hatte nach dem
Angriff auf die chinesische Botschaft auch einen
Comic, in welchem ein angeheiterter Nato Offizier
im Raum fuer die festlegung der Zieleingaben wohl gerade seinen Wisky ueber die Karte
mit den Zielangaben schuettet.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Trefflicher Scherz. Vielen Dank fuer Ihre Teilnahme. Ich hoffe wir werden in Zukunft
auch in Ihrer Eigenschaft als Russland-Experte den Namen Erler oefter in den Medien
hoeren. Auf der Homepage (www.gernot-erler.de) vermisse ich noch einen Russland-Link...
Von: Markus Schupp - Datum: 09.06.1999
Als Mitarbeiter von Gernot Erler wäre ich für einen entsprechenden Hinweis
auf eine Adresse dankbar.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Mir schwebte hinter diesem Link eine Seite vor, auf der die Erfahrungen, Beitraege,
aktuelle Nachrichten und Links aus der Arbeit von Gernot Erler selbst zu Russland
zusammengefasst sind. Diese Seite muesste wohl noch (von einem Erler-Mitarbeiter)
gestaltet werden - waehrend es Inhalte dafuer genuegend geben duerfte.
Betreff: Abschied - Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Die Intensitaet der Kommunikation scheint deutlich zurueckzugehen und ich muss leider noch
einen Termin wahrnehmen.
Es hat mir wirklich Spass gemacht und ich Bedanke mich bei allen.
Sorry, wenn ich irgendwelche Frage uebersehen habe.
Bis demnachst.
Andrei Zagorski
Betreff: Beziehung zu USA - Von: Sabine Kroeger, Hannover - Datum: 09.06.1999
Jetzt moechte ich die Grundfrage der Konferenz einmal umdrehen: Wie wirkt sich die Krise
eigentlich auf Deutschlands Beziehungen zu den USA aus? Die Bevoelkerung - erst recht im
Osten - war ja mit dem NATO-Auftritt nicht so gluecklich. Wird das auf die USA uebertragen?
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 09.06.1999
Laut CNN Umfrage von heute morgen nimmt die amerikanische Bevoelkerung die sog. Waffenstillstands-
bzw. Friedensverhandlungen als Sieg auf. Die Unterstuetzung fuer den Truppenentsand
ist aber sehr viel geringer.
Negative Auswirkungen auf die Beziehungen wird es sicherlich nicht geben, nachdem Clinton
Schroeder die Gelegenheit gegeben hatte, als erster mit den Nachrichten vor die Fernsehkameras
zu treten.
Hinsichtlich der Frage der Stellung der Bevoelkerung, "Was kann die denn machen,
bzw. wie sollte sie denn eine Reaktion hervorrufen koennen."
Betreff: Auf Wiedersehen - Von: Kai Ehlers
- Datum: 09.06.1999
Ja, das war dann wohl die Einleitung des Abschieds? Vielleicht bis zum nächsten mal
oder irgendwo einmal im persönlichen gegenüber?
Beste Grüße an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer!
Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Dass Klaus Segbers sich verabschiedet, beendet - bei allem Respekt - nicht gleich die
Konferenz. Diese ist bis 19 Uhr angesetzt. Wer noch etwas zu sagen oder zu fragen hat,
moege online bleiben.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Lieber Bernd v.D. Brincken,
ich fühle mich freundlich ermahnt und kehre zurück in die Debatte.
Betreff: - Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Hier geschieht nichts Erkennbares mehr. Außer der Vermehrfachung von Gedanken.
Deshalb - poka!
Do skorogo.
K.S.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Vielen Dank fuer Ihre Teilnahme. Nebenbei: Schnelle Uebersetzung und Transskription
sind Faehigkeiten, auf die wir in kuenftigen Konferenzen gerne wieder zurueckkommen.
Betreff: Abschied - Von: Dr. Galina Woronenkowa
- Datum: 09.06.1999
Sehr geehrte KollegInnen,
ich bedanke mich fuer diese on-line Konferenz. Es tut mir leid es so kurz war, sie haben
jetzt meine e-mails (frdip@journ.msu.ru \ galina_w@df.ru ). Falls Sie noch Fragen an mich
(bzw. an neue junge Generation der Journalisten) haben, dann stehe ich immer ihnen zur
Verfugung.
Liebe Fr. Dr. Krone-Schmalz,
es tut mir leid, dass wir uns persoenlich nicht kennen. Sie waren in Moskau, als ich in
Deutschland war. Ich bewundere mich bis Heute uber ihre Publikationen aus Russland. Wenn
Sie nach Moskau wieder kommen, rufen Sie mich einfach an.
Mit besten Gruessen,
Galina Woronenkowa
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Danke, mach ich gerne, wahrscheinlich noch in diesem oder im naechsten monat. Mit herzlichem
gruss
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Vielen Dank fuer Ihre Teilnahme! - Wir senden Ihnen noch ein Konferenzprotokoll.
Ansonsten ist es immer schoen, in Moskau Leute mit guten Deutschkenntnissen zu kennen
- oder bin ich hier wieder der einzige, der nicht ordentlich russisch spricht?
Betreff: Weiter in Serbien - Von: Eberhard Doerr
- Datum: 09.06.1999
Wie geht es dann (nach einem hoffentlich erfolgreichen Waffenstillstand) in Serbien weiter.
Wird Russland der demokratischen Opposition helfen, aus dem Land ein glueckliches Mitglied
der Staatengemeinschaft zu machen? Oder was?
Es gibt doch wohl eine Identitaetsfrage, und die wird in Serbien (auch innerlich) verhandelt,
ist aber auch stellvertretend fuer die ganze Region. Laeuft alles auf eine moeglichst schnelle
"Integration" in die EU bzw. die NATO hinaus? Oder will man lieber "anders"
sein / bleiben?
Von: Dr. Galina Woronenkowa - Datum: 09.06.1999
Mit der Integration in die EU - JA. Mir NATO waere Heute zu kompliziert. Ich bin sicher,
dass Russland nicht "anders" bzw. "allein" sein \ bleiben will.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
in Russland macht sich leider noch keiner Gedanken ueber die Zukunft Jugoslawiens nach
dem Krieg. Leider...
Soweit ist nur festzustellen, dass man Milosevic weiterhin als Ansprechpartner, auch
wenn einen seht schwierigen, ansieht, solange er nicht abgewaehlt wird.
In der Tat sollte man sich schon nach den Demonstrationen in Belrgad im Zusammenhang
mit den gefaelschten Kommunahlwahlergebnissen die Frage stellen, an wessen Seite man
sich in Jugoslawien stellen sollte. Einige Politiker und Kommentatoren haben damals
die Frage gestellt, aber es hat keine Entwicklung gegeben.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 09.06.1999
Abgewaehlt wird. !! Was aber die Entwicklung sog. "Weak Ties" im Sinne
Grannovetters voraussetzen wuerde. Dazu ist es aber bislang in Serbien aus den
verschiedensten Gruenden nicht gekommen. Und es ist auszuschliessen, das Milosevic
deren Gruendung auch aus eigenem Antrieb zulassen wuerde. Vorher gibt es dann wohl
erst noch den Showdown im eigenen Land. Also ich meine direkt im Siedlungsgebiet
der Serben.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
"Weak Ties" - koenntest du etwas weniger insider-deutsch (sic) gebrauchen?
Wer ist Grannovetters? - Der Showdown, meint das einen Buergerkrieg?
Betreff: Konferenztechnik - Von: Kai Ehlers
- Datum: 09.06.1999
Hilfe, ich habe ein Problem.
Ich bekomme in der Rubrik "Neue Beiträge" beim Klick auf "Lesen"
nicht den Text, sondern nur eine blaue Fläche. Ist das nur mein Problem? Erbitte Antwort
von Aurora.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Nein, wir haben das gleiche Problem. Es handelt sich offenbar um einen ECHTEN FEHLER.
Ja, unsere Welt funktioniert nicht perfekt. Denken Sie nur an die chinesische Botschaft.
Hoffen wir, dass es nicht mehr Fehler gibt.
Von: Dr. Galina Woronenkowa - Datum:
09.06.1999
WIR HABEN DAS GLEICHE PROBLEM
Von: Gernot erler - Datum: 09.06.1999
Nein, das Problem habe ich auch.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Sie koennen auf jeden Fall jeden Beitrag auch durch blaettern ansteuern - etwas
langwierig aber es funktioniert. Nichts geht verloren. Versuchen wir mit den Fehlern
zu leben.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
ich habe auch das Problem
ich lasse einfach die Seite erneuern
Betreff: Denk-Folien - Von: Segbers
- Datum: 09.06.1999
Ich möchte diese Anregung geben:
Wir müssen uns bemühen, konzeptionelle Folien zu prüfen und ggf. zu wechseln.
Das betrifft den Staatsbegriff. Die Annahme von erfolgreicher, steuerbarer strategischer
Interaktion.
Das Rußland-Chiffre, vor allem in Deutschland. Die Rolle von Geschichte und von Mythen.
Letztlich baut sich jede/r sein "Rußland-Bild" selbst nach Bedarf zusammen.
Der Einfluß professioneler Deuter darauf ist begrenzt. Seien wir bescheiden.
Aber drehen wir doch gelegentlich die eigene Begrifflichkeit auf die andere Seite und tasten
sie nach ihrem Nutzen ab.
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Lieber Klaus Segbers, so gerne ich Ihre reflexive Anmerkung zur Begriffs- und Perzeptionskritik
in die Tat umsetzte, so muß ich mich sowohl analytisch, vor allem aber als friedensbewegter
Mensch doch damit auseinandersetzen, daß die doch noch Handelnden eine solche
selbstkritische Haltung nicht einnehmen, sondern Entscheidungen treffen, bisweilen
wie wir sehen Fatale... was tun?
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Liebe Frau Kreikemeyer,
auf die Mechanik achten, nicht auf die großen begrifflichen Wolken. Analytisch
und politisch. Friedensbewegt oder nicht (gibt's also doch noch?).
Im übrigen sind die politisch Handelnden oft eher in Dilemma-Situationen,
oder in Zeitdruck, wo adäquate und nicht verquaste politische Beratung nützlich
wäre. Und: ist.
Betreff: 5. Internetkonferenz - Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Ich habe gestern im Deutschen Bundestag in der Kosovo-Debatte die Behandlung von Viktor
Tschernomyrdin im eigenen Land angesprochen. Dabei habe ich festgestellt, daß der
ehemalige Ministerpräsident sich nicht nur um den Frieden im Kosovo, sondern auch
um das Ansehen Russlands in der Welt verdient gemacht hat. Die russischen Kolleginnen und
Kollegen aus staatsdumo und Föderationsrat habe ich in einem Appell gebeten, diese
positive Wirkung nicht durch eine brutale Kritik an Tschernomyrdin ("Verräter")
kaputt zu machen. Was sagen unsere russischen Partner zu einem solchen Appell?
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Ich wuerde nur zustimmen.
Von: Dr. Galina Woronenkowa - Datum: 09.06.1999
Das ist ein Gesichtspunkt der kommunistischen Fraktion in der Staatsduma. Selbstverstandlich,
ist Tschernomyrdin kein "Verraeter". Er hat eigentlich versucht zu beweisen,
dass Russland kein Land der Dritten Welt ist.
Das Problem besteht darin, dass russische Medien nicht ausfuehrlich daruber berichtet
haben. Ich habe an Sie auch eine Frage. Meinen Sie nicht, dass die NATO-Staaten wegen
des Kosovo-Konflikts gruenes Licht fur den eventuellen Wahlsieg der Kommunisten gegeben
haben?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Wie sehen denn die Kommunisten die Vermittlungsbemuehungen? Halt sie diese fuer
"Verrat"? Wuerden sie - wenn sie an der Macht waeren - eher auf Konfrontationskurs
gehen?
Von: Dr. Galina Woronenkowa - Datum:
09.06.1999
Die Kommunisten wuerden auf Konfrontationskurs gehen, aber ich bin doch nicht
ihre Sympatisantin. Wie gesagt, die prokommunistisch gestimmten Fraktionen
halten es fur einen Verrat.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Abgesehen von der Tatsache, das wir von der Seite der Kommunisten wirklich
schreckliche Vorschlaege gehoert haben: Waffenlieferungen und sogar militaerischer
Beistand fuer Milosevic, Aufnahme Jugoslawiens in die Union mit Belarus, das
"Wiedertargeting" der nuklearen Waffen...
Bei all ihrem Mitfuehlen mit Milosevic, bei all ihrem Antiamerikanismus glaube
ich kaum, dass eine Konfrontation mit dem Westen fuer die Kommunisten eine
Option waere, haetten sie die Politik Russlands gestalten koennen.
Die Angriffe auf Tschernomyrdin deute ich eher als ein politisches Maneuver:
endlich koennen sich die Kommunisten von der Regierung in der Kosovo-Frage
WESENTLICH distanzieren.
Ob dies der KPRF bei der Werbung um Stimmen bei den Wahlen hilft, bezweifele
ich. Bei denen geht es bergab.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 09.06.1999
Wirft aber auch die Frage auf, inwieweit der russische Buerger ueberhaupt von der
ganzen Diskussion beruehrt wird und ob der sich nicht eher auf die Frage des "taeglichen
Ueberlebens" konzentriert. Damit wird er wohl eher, westliches Verhalten von
Rationalitaet unterstellt und vorausgesetzt er geht ueberhaupt zur Wahl, sich doch
wohl nach welchen umschauen, die den Ausweg aus den inneren Problemen weisen.
Diese Partei muss bis jetzt auch noch nicht einmal vorhanden sein.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Parteien zur Wahl, eine kleine Bemerkung: Im Februar hatten wir hier eine Ausstellung
einer Moskauer Fluxus(so nenne ich es)-Kuenstler-Gruppe namens "Ausserparlamentarische
Kontrollkommission", Motto: 'Gegen alle Parteien'. Weiteres unter http://www.kanka.de/aurora/gap
.
Betreff: Grundsatzfrage - Von: Bernd von den Brincken
- Datum: 09.06.1999
Um die Diskussion zu fokussieren: Wird das Verhaeltnis zwischen Deutschland und Russland
durch den Kosovo-Konflikt BESSER oder SCHLECHTER?
Von: Dr. Galina Woronenkowa - Datum: 09.06.1999
Sehr geehrter Herr von den Brincken,
auf jeden Fall nicht besser. Gluecklicherweise nicht schlechter. Die internationale
Beziehungen koennen wegen des Konflikts in Kosovo sowieso nicht besser werden. Aber
eine Katastrophe erwarten wir nicht.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Das ist so nicht zu beantworten.
Die real interagierenden Personen und Gruppen tun das natürlich weiter - Studierende,
Kommunen, Betriebe, Kriminelle, Touristen, Prostituierte, Gouverneure, die Bewohner
von Chat-Rooms usw.
Und aus meiner Sicht kommt es darauf genau an. Das ist von Kosovo unbeeinflußt.
Das ideologische Geraune über gesellschaftliche Großstimmungen sagt wohl
mehr über die aus, die es suchen und empfangen...
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Herr Segbers hat ganz recht.
Wir müssen uns bemühen, konzeptionelle Folien zu prüfen und ggf.
zu wechseln.
Das betrifft den Staatsbegriff. Die Annahme erfolgreicher, steuerbarer strategischer
Interaktion. Das Rußland-Chiffre, vor allem in Deutschland. Die Rolle von
Geschichte und von Mythen.
Letztlich baut sich jede/r sein "Rußland-Bild" selbst nach Bedarf
zusammen.
Der Einfluß professioneler Deuter darauf ist begrenzt. Seien wir bescheiden.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Segbers sagt: "Segbers hat ganz recht?" - Glaub ich nicht, halte
ihn fuer eher bescheiden. Wohl ein Tippfehler, bitte die richtige Identiatet
nachreichen!
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Er ist bescheiden und kommunikativ. Solange seine Gedanken ihm Raume stehen,
setzt er sich gerne selbst mit ihnen auseinander. Sonst ist ihnen einsam. So
deute ich ihn jedenfalls.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Ihre Identifikationsübertragung ist sehr deutlich.
Wie lange wollen Sie Russinnen und Russen an die wohlmeinende helfende Hand
nehmen? Handelt es sich nicht um erwachsene Menschen? Wenn einige davon enttäuscht
sind, so what? Dann sehen die jetzt klarer, nicht?
Was soll der böse/ gute Westen denn alles dort noch richten?
Lassen Sie die mal machen.
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Lieber Andrei, lieber Klaus Segbers, d'accord, es kommt gerade im Zeitalter
von Globalisierung etc. auf die persönlichen, virtuellen Kontakte an,
hauptsache es bewegt sich etwas oder nichts (Sinnvolles/-loses), die Politikferne
nimmt zu, die Selbstbestimmung und ihre Räume auch, aber was tun, wenn
Politik gleich auf welcher Ebene, Entscheidungen trifft oder gar nicht mehr
trifft, Menschen zu ermorden.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Lassen Sie mich kurz Ihre Kreise stoeren. Freilich gibt es nichts zu 'richten'.
Fuer mich persoenlich ist es einfach _spannend_, die Entwicklung dort zu verfolgen,
Anteil zu nehmen. Es ist eine schoene Geschichte. Ich denke an den Mythos des
wilden Westens, der uns / mich (als Kind, Bonanza-Freak usw.) gepraegt hat.
Ich setze auf eine offene Zukunft (mit Schwarzenegger in terminator II, mit
Niklas Luhmanns 'Kontingenz'). Fuer diese Zukunft kann ich mir eine (dann zum
Mythos gereifte) Geschichte des 'wilden Ostens' gut vorstellen. Sei es nur
als heilsamen Gegenpol zu Bonanza und einer Bonanza-Welt.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Hallo, Anna
Die Politikferne. Jawohl, das mag die richtige Beurteilung davon sein. Es ist
festzustellen, dass die russlaendische oeffentliche Meinung sich weitgehend
von der Politik und von der Regierung abgekoppelt hat. Um das zu aendern, muss
man das Land wieder dicht machen. Und gerade das ist gluecklicherweise nun
unmoeglich, wo jaehrlich ungefaehr 25 Millionen RussInnen im Ausland unterwegs
sind.
Die schwierige Frage, natuerlich, ist: was kann die oeffentliche Meinung mit
der Politik anfangen. Da gibt es leider zu wenig Interaktion - gerade wegen
der Politikferne.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Die Frage der Strukturierung wird uns in der naechsten Konferenz noch beschaeftigen.
Es geht dann insbesondere darum, ob die Privatisierung und Zerschlagung der
frueheren korporalen Systeme in Russland wirklich unvermeidliche "Reformen"
im Zuge des "Transformationsprozesses" sind - ob "der Staat"
eins sein soll mit "dem System" und welche Systeme man anspricht
und identifiziert.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Deutsche werden solange freundschaftliche Beziehungen mit Russen in Rußland
oder umgekehrt in Deutschland pflegen können wie die Politik das zulaesst.
Der Hinweis auf die vielen informellen Kontakte erledigt doch nicht die Frage nach
den gesellschaftlichen Kräften, die durch den Krieg in Bewegung gesetzt werden.
Direkte Frage: Halten Sie es für ausgeschlossen, daß Deutschland als
neues Herz / erneuertes Herz Europa und Rußland im Ergebnis dieses Krieges
engere Verbindungen eingehen?
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Wie verläßlich doch die Unterschiede sind.
Was "Politik" zuläßt oder nicht - wen kümmert's?
Die, die etwas Sinnvolles zu tun haben - in Redaktionen, Ämtern, auf Börsen,
im Netz, usw. - werden sich davon nicht abhalten lassen.
Die, die Zeit haben, die großen Legosteine zwischenstaatlicher Beziehungen
oder zwischengesellschaftlicher Interaktionen zu bewegen, sind eine andere
Gruppe.
Es geht bei all dem nicht primär um Politik oder Ideologie, sondern zunachst
um die analytischen Annahmen, die jede/r (un)gewollt macht. Die Kategorien
"Staat", "Regierung", "Gesellschaft" sind so
grob, daß sie auf alles und nichts passen und vor allem dazu taugen,
eigene Sehn-Deutungen zu befördern.
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Das hört sich alles sehr "cool" an und ich will mich auch nicht
an ideologischem Geraune etc. beteiligen, aber es ist doch eine Tatsache, dass
Russen aus unterschiedlichsten Bevoelkerungsschichten von westlichem Verhalten
masslos enttaeuscht sind, nicht zuletzt auch von deutschem Verhalten. Was z.B.
die Berichterstattung betrifft, so verstehen viele meiner russischen Kollegen die
Welt nicht mehr, weil wir zur Zeit genau das praktizieren, was wir ihnen frueher
und zum Teil auch heute vorwerfen. Nur, bei uns ist es gut und bei ihnen war es
verwerflich und "typisch". Und so wichtig all die informellen und privaten
Kontakte sind - bei denen man es selbst in der Hand hatte Vertrauen aufzubauen
- Sie wissen doch auch, dass die nicht mehr das wert sind, was sie wert sein koennten,
wenn die politischen Beziehungen einfrieren. Und da ist es dann auch schon egal,
ob die aus boeser Absicht oder aus Dusseligkeit einfrieren.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Die Enttaeuschung gibt es schon, insbesondere in der Intelligenz unt in der
politischen Klasse. Nur, Klaus Segbers hat recht: die direkten Kontakte sind
wirklich von Bedeutung. Die Umfragen zeigen, dass trotz der emotionalen Ausbrueche
in den ersten zwei Wochen des Krieges die oeffentliche Meinung in Russland
generell kaum deutlich antiwestlicher oder antiamerikanischer geworden ist.
Nicht zuletzt: auch die Schlangen fuer ein Visum in die USA oder nach Westeuropa
sind nicht kuerzer geworden.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Ja, es ist eine Tatsache, daß die russische Bevölkerung in ihrer
Mehrheit durch das verhalten der Deutschen, die sich - so wird es noch verstanden
- durch die USA in diesen krieg ziehen lassen, maßlos enttäuscht
sind. Das Bild des Westens, das in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren
trotz Enttäuschung über die Demokraten im Lande selbst doch immer
noch gleichbedeutend mit Zivilisation, Aufbruch in eine andere Zukunft usw.
war, ist nunmehr auch in globalen Rahmen zerstört, zumindest schwer beschädigt.
An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei.
Nun könnte man meinen,
daß diese doppelte Desillusionierung Rußlands - wie auch anderer
Länder des ehemaligen sowjetischen Lagers - zur Identitätsfindung
auf einem eigenen Weg beitragen könnte. Das wird es vermutlich auch -
indem es die Kräfte eines nationalen Weges stärkt. Aber das ist vermutlich
nicht das, was die Strategen des krieges gewollt haben? Oder haben sie es gewollt?
Oder haben sie vielleicht gar nicht darüber nachgedacht? Manchmal fragt
man sich tatsächlich, wieviel der Westen glaubt, diesem Rußland
noch zumuten zu können. Irgendwann ist dann plötzlich die Grenze
erreicht, in der sich allgemeiner Unmut über die Abhängigkeit, Enttäuschung
über die entartete Demokratie usw. zu einem Syndrom verbindet, das man
am besten mit den Empfindungen vergleicht, die seinerzeit im weimarer Deutschland
nach dem Friedensschluß von Versailles hoch kamen.
Dies soll keine historische Gleichsetzung sein, nur ein Hinweis darauf, daß
man diese Kärfte nicht unterschätzen sollte.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
ich haette eine komplexe Antwort.
1. Zwar hat der Krieg das Verhaeltnis belastet, die Kritik in Moskau wird aber fast
ausschliesslich an die USA und pauschal an die Nato, teilweise an die Briten gerichtet
und verschont weitgehend andere Europaeer.
2. Aus unterschiedlichen Gruenden war es in diesen Kritischen Wochen und Monaten gerade
Deutschland, das zum Hauptpartner Russlands in den Verhandlungen geworden ist. Dies
soll, langfristig gesehen, das gegenseitige Vertrauen gestaerkt haben.
3. Die europaeische Ausrichtung in der russischen Politik soll nach dem Konflikt staerker
gepraegt werden. Zwar wuerden die linken Parteien diese Ausrichtung eher im Kontext
ihres Antiamerikanismus sehen, [jedoch] ist die einfache "PRO-EUROPA" Tendenz
fuer mich immer deutlicher. Dies soll den Beziehungen zugute kommen.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 09.06.1999
Es sei darauf verwiesen, das die finnische Regierung fuer Ende des Jahres wohl
einen Abschluss ihrer Praesidentschaft in der Art vorbereit, dass dazu auch die
Praesidenten der USA und Russlands eingeladen werden sollen.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
waere ja sehr schoen. ich wuerde aber von diesem Termin kaum viel erwarten.
Wir haben die Duma-Wahlen. Ich zweifele daran, dass Praesident Jelzin ueberhaupt
kommen kann. Sollte er durch Stepaschin vertreten werden (wenn er bis dahin
als Ministerpraesident ueberlebt), waere es wirklich eine verlorene Chance.
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Wenn das alles an Europaeischer Arbeit an einer neuen Friedensodnung sein soll
...
Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Ich mache mir Sorgen um Russlands Rolle bei den "Sicherheitspräsenzen"
im Kosovo. Offiziell redet Iwanow von 10.000 russischen Soldaten (das wären
20 Prozent der vorgesehenen Gesamtstärke), was 150 Mio. USD kosten soll. Aber
Moskau hat in Bosnien nie mehr als 1500 Soldaten gehabt, Moskau braucht wohl Monate,
um diese 10.000 Mann marschfertig zu machen und Moskau hat auch Mühe, die
Kosten aufzubringen. Was für ein virtueller Konflikt: Man streitet um Kommandostrukturen,
ohne daß die hardware in Sicht wäre! Wie peinlich, wenn dann alle Welt
erfährt, daß tatsächlich "ni pischtscha, ni kascha" der
Hintergrund ist. Kann man nicht die Diskussion auf ein realistisches Kontingent
konzentrieren, das aber von der ersten Minute an dabei ist? Russland hat so viel
beigetragen zur Friedensvermittlung, es muss jetzt (nicht ab September oder Oktober)
bei der Absicherung des Friedens im Kosovo dabei sein. Das ist von der Außenwirkung
wichtig, aber auch als psychologisches Signal für die verschiedenen Kosovo-Ethnien,
die ja wieder zusammenleben sollen und nicht alle das gleiche Vertrauen gegenüber
den NATO-Friedenskräften aufbringen.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Lieber Gernot,
stimme ich voellig zu. Man sollte realistischere Massstaebe setzen. Ich weiss
nicht genau ueber die eventuellen Kosten: in Russland kann anders kalkuliert
werden, aber 10.000 ist natuerlich keine realistische Groessenordnung. Dasselbe
war ja auch mit Bosnien der Fall: der Gratschew wollte doch ganze 20.000 hinschicken,
um nicht schlimmer als die Amerikaner auszusehen. Dann musste man wegen der
Kosten realistischere Massstaebe setzen.
Ich mache mir aber die groessten Sorgen darum, wie das getrennte Kommando funktionieren
wird.
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Erler, was Sie zur Recht als "virtuellen Konflikt" bezeichnen
ist doch im Grunde die strukturell chronische Schwäche der russischen
Außen- und Sicherheitspolitik, der die Substanz, das Potential real geschwunden
ist. Eine symbolisch kleine Zahl von russischen Friedenstruppen a la IFOR halte
ich aber für den nächsten Schritt hin zu einer therapeutischen Einbeziehung.
Wie wäre es zu sagen: wir haben da ein gesamteuropäisches Problem,
dem eine Asymmetrie zugrundeliegt, das müßte man/frau anpacken:
kurz multinationale Friedenstruppen und Polizeikräfte schaffen und NATO-Ausgaben
kürzen.
Betreff: allgemein - Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
ich stimme Herrn Hufen zu - das Verfallsdatum der aktuellen Ereignisse ist in der Tat zu
kurz um sinnvoll Gegenstand einer solchen Konferenz sein zu können. Wir brauchen mit
Blick auf die Zukunft m.E. Antworten auf folgende Fragen:
- was hat die NATO erreicht?
- wodurch zeichnet sich eine ernstgemeinte Partnerschaft mit Russland aus? also was muss
da konkret passieren, auch strukturell
- darf/muss man einen Krieg in Kauf nehmen, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern
- bzw. wie kann man diesen Dingen ohne Krieg Einhalt gebieten?
Und noch etwas: was halten die Beteiligten denn von der Überlegung, dass der NATO
Einsatz im Kosovo viel mehr mit der eigenen Identitätsfindung und Existenzberechtigung
zu tun hat als mit allem anderen was da angeführt wird.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Identitaetsfindung der NATO - ist das eine reale Triebkraft? - Was meinen die Experten?
Herr Erler, Frau Kreikemeyer, Herr Zagorski?
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Den Begriff der "Identitaetsfindung" auf die Entwicklung der NATO seit
1991 anzuwenden, scheint mir ein wenig verharmlosend. Eine Analyse der NATO für
die letzten acht Jahre zeigt mir bei aller Transformationsrhetorik (oder auch Substanz)
die faktische Resistenz militaerischen Potentials, gerade was die Anpassung an
moderne Ruestungstechnologie (keine radikale Kuerzungen der Verteidigungsausgaben
oder Beschraenkungen der Ruestungsindustrie, des -exports) und die zugehoerige
neue Doktrin anbelangt.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Guten Tag, Frau Krone-Schmalz,
ich verstehe Ihre Sentimente schon. Wir mögen uns ärgern, ungehört
vorkommen, auch beleidigt sein - warum nicht.
Aber die reale Mechanik von Politik in Zeiten von Mehrebenenspielen läßt
sich dadurch nicht beeinflussen.
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Wahrscheinlich haben Sie recht. Aber das heisst doch dann nichts anderes als:
im Grunde bleibt nur Resignation. Machtspiele bestimmen die reale Mechanik
von Politik und der Rest muss sich eben einrichten und wenn wir Glueck haben,
schrammen wir an heissen krisen gerade so vorbei... ist es das? Was heisst
das um Himmels Willen für die Funktionsfaehigkeit von Demokratie?
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Ja, teilweise muß man sich einrichten. Es gibt große opraktische
und analytische Probleme. Und doch ist auch voranzukommen. Die Sozialwissenschaften
sind in den letzten Jahren aus meiner Sicht erheblich vorangekommen und sehr
kreativ. Strange, Appadurai, Scharpf, Cerny u.v.a. Sie sind nur nicht so bekannt,
weil nicht so gängig. Aber das gibt es schon viel. Auch übrigens
ein paar wache PolitikerInnen.
Von: Dr. Galina Woronenkowa - Datum:
09.06.1999
Sehr verehrte Experten,
Triebkraft der Weltpolitik ist am haeufigsten Wirtschaft. Und in diesem Zusammenhang
ist das nicht uninteressant, wer von dem Kosovo-Konflikt profitiert? NATO-Waffenlobby?
Galina Woronenkowa, Moskau
Von: Igor Trushkin - Datum: 09.06.1999
Das ist doch kein Geheimnis: USA bezahlen den Krieg, und Europa bezahlt den
Wiederaufbau in Jugoslavien.
Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Zur Frage Kosovo-Krieg als Identitätsfindung der NATO: Fast umgekehrt wird
ein Schuh draus! Der Kosovo-Krieg hat die NATO kalt erwischt, hat ihr ihren lange
vorbereiteten Jubiläumsgipfel am 23./24. April verhagelt und Null Aufmerksamkeit
für die Neue NATO-Strategie übriggelassen, ja sogar die Feiern zur Aufnahme
der drei neuen Mitglieder Polen, Tschechien und Ungarn verdüstert. Kriegsbeginn
und Kriegsdauer sind nur mit Fehleinschätzungen der NATO zu erklären:
Die Drohung sollte bei Milosevic wirken (sie tat es im Oktober 1998) und dann sollten
ihn ein paar Luftschläge zur Einsicht bringen. Ganz offensichtlich glaubte
niemand, daß sich Milosevic ernsthaft auf einen Krieg mit der stärksten
Militärallianz der Welt einlassen würde. Und die Eskalation, zu der sich
die NATO durch die anhaltende Weigerung Milosevics, einzulenken und seinen Vertreibungsfeldzug
gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen, gezwungen sah, hat die Identität
der NATO in einer heute noch nicht absehbaren Weise beschäftigt.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Die 'Eskalation, zu der sich die NATO gezwungen sah', ist wohl genau das Phaenomen,
das ein irrationales, nicht zielfuehrendes Verhalten der NATO ausmacht und
dass damit zu der Suche nach einer 'psychologischen' Deutung ihres Verhaltens
('Identitaetsfindung') Anlass gibt.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Hallo Gernot.
Stimmt. Eine sinnvolle Korrektur der Verschwörungs- und Allmacht-Annahmen.
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Erler, wenn der Kosovo-Krieg die NATO kalt erwischt hat, dann ist
es ja noch schlimmer. Sie wissen sicherlich besser als ich, welche Warnungen
es gegeben hat. Ein Militärbuendnis, das in bestimmten historischen Zeiten
gute Arbeit geleistet hat, darf sich doch nicht darauf verlassen, in der gleichen
Konstruktion innerhalb einer total veraenderten Welt gleichermassen gute Arbeit
leisten zu koennen. Nur alle, die in dieser Richtung versucht haben zu diskutieren,
sind doch in aberwitziger Weise abgebuegelt worden, weil man bei diesem heiklen
Thema immer mit einem Bein im Lager der Anti-Amerikanisten steht - ganz gleich,
ob man da hingehoert oder nicht. Ausserdem - es hat in NATO-Kreisen sehr wohl
deutliche Hinweise darauf gegeben, dass es mit einer Blitz-Bombardierung nicht
getan sein wird, nur konnten sich diese Kreise - aus welchen Gruenden auch
immer - nicht durchsetzen. Was ist mit den Erfahrungen im Irak? Hat das irgendetwas
geaendert oder gar verbessert.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Sehr geehrter Herr Erler,
hat´s die NATO kalt erwischt? Ja, ich denke, es hat sie kalt erwischt.
Und wenn n in NATO und EU argumentiert wird, die NATO müsse die Menschenrechte
v e r t e i d i g e n, dann ist das sehr wahr - bloß verteidigen wogegen?
Verteidigen doch nicht gegen Verletzungen der Menschenrechte - dann wäre
der Verteidigungsfall ja schon lange vorher und schon sehr oft gegeben gewesen
und wird es auch in weiterer Zukunft sein. Nein, verteidigen gegen die Infragestellung
der europäisch-atlantischen Hegemonie durch Länder wie Rußland,
China, Japan usw.usw. alle die Länder und Staten, die da am Horizont einer
nicht von den USA und ihrem Juniorpartner Europa beherrschten Welt auftauchen.
Da muß man ja nur lesen, was Beszinski, Huntington usw. für Visonen
entwickeln, um zu erkennen, in welchen Dimensionen da gedacht wird.
Von: Ulrich Hufen - Datum: 09.06.1999
Geehrte Frau Krone-Schmalz,
große Fragen, man könnte Monographien schreiben, aber natürlich ist
es einen Versuch wert kurz zu sein. ich will allerdings nicht verhehlen, dass ich die
frage nach der eigenen identitaet am interessantesten finde. also:
-die nato hat ein land zerstört und, nebenbei, die rechtliche grundlage der weltordnung.
in zukunft wird sich jeder, der nur maechtig genug ist, darauf berufen koennen, das
irgendwer irgendwo menschenrechte verletzt (ich hoffe keiner missversteht mich hier,
natuerlich verletzt milosevic menschenrechte, doch die von sharping/fischer/schroeder
erzwungene schwarz-weiss-logik ist doch wirlich das fatalste)
--schwer zu sagen, ob man krieg in kauf nehmen soll, darf (wer entscheidet dass). in
diesem fall meiner meinung nach ganz bestimmt nicht. abgesehen davon, dass es darum
kaum ging. noch tage vor kriegsbeginn galten fluechtlinge aus dem kosovo als nicht
asylberechtigt in deutschland!
--identitaet: ist doch sehr praktisch, so ein krieg im namen der menschenrechte, ganz
besonders, da es um die rechte einer muslimischen gruppe geht. da kann man doch mal
so richtig deutlich machen, was wir fuer eine tolerante gesellschaft sind. herkommen
duerfen diese selben muslime natuerlich nicht, das ware zu gefaehrlich.
ansonsten tut dieser krieg, was alle tun: er schweißt auf einer symbolischen
ebene zusammen, was sonst zunehmend auseinanderfaellt. imaginaer also.
gruß
ulrich hufen
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Hufen, genau - die erzwungene schwarz-weiss-Logik ist in der Tat das
Fatalste. Und dass man bei Diskussionen immer erst Bekenntnisse abgeben muss, die
eigentlich selbstverständlich sind: ... natuerlich verurteile ich die Vertreibungspolitik
von Herrn Milosevic, aber...
Obwohl ich keine Pazifistin im klassischen Sinne bin, halte ich Krieg nicht für
ein adaequates Mittel. Es hat sich noch nie "ausgezahlt" das eine Unrecht
gegen das andere aufzurechnen. Und bei allem moralischen Verstaendnis dafuer, dass
man sich nicht von "Vorschriften" abhalten lassen sollte, wenn es um
die Rettung von Menschenleben geht, glaube ich, dass hier ein Dammbruch mit unuebersehbaren
Folgen eingeleitet wurde. Was heisst denn das praktisch: wenn es mit gesetzlichen
mitteln nicht gelingt, jemanden hinter gitter zu bringen, betreiben wir Lynchjustiz,
oder was? - In dem Zusammenhang, fast alle beklatschen die Anklageerhebung gegen
milosevic vor dem den haager gerichtshof und kaum einer weist darauf hin, wie laecherlich
es einerseits ist, weil die Machtmittel fehlen und wie kontraproduktiv es ist,
was eine moegliche loesung des Problems betrifft. Auch hier gilt die schwarz-weiss-Logik.
Wer an der Entscheidung herumkrittelt, auf den darf man moralisch herabsehen.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Liebe Frau Dr. Krone-Schmalz,
der Krieg der NATO im Kosovo hat sicher mit der Identitätsfindung der NATO zu
tun. Das steht für mich außer Frage. Aber er hat auch in einem weiteren
Sinne nur mit Identitätsfindung zu tun, nämlich Identitätsfindung Großeuropas
in einer sich globalisierenden Welt - in der Europa zum einen noch Partner der USA
ist, andererseits einen eigenen Weg in der sich ankündigenden multipolaren Welt
sucht. Das Problem setzt sich innerhalb Europas fort...
Generell haben wir nach dem Ende der Systempolaritäten und -zwänge unter
dem Siegeszug der Globalisierung ja andererseits die Notwendigkeit, sich selbst, seiner
eigenen Gruppe, seinem eigenen Kulturkreis usw. einen Platz auf diesem sich tendenziell
nivellierenden Erdenrund zu suchen. Will sagen, zwei Pole: Globalisierung mit entsprechender
kultureller und politischer Nivellierung auf der einen, in diesem Zuge Identitätsfindung
auf der anderen. Das macht die Zukunftsqualität dieses Konfliktes - es war vermutlich
nicht der letzte, sondern der erste dieser Art. Höchste zeit, andere Methoden
zu seiner Lösung zu finden.
Grüße, Kai Ehlers
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
zur Partnerschaft mit Russland:
1. Das Verhaeltnis mit der Nato ist sicherlich ernsthaft gestoert worden. Wir muessen
uns Gedanken machen, wie wir es nach der Beendigung des Konflikts graduell wiederherstellen
sollen. Ich hoffe, wir koennen mit substanziellen Sachen anfangen, die implizit uns
in die Richtung fuehren wuerden. Beispiel: Nach den Absprachen in Bonn sollen wir dringend
miteinander sprechen, wie man die Kooperation der Russland- bzw. der Nato-Truppen im
Kosovo organisiert.
2. Mehr Aufmerksamkeit fuer positive Instrumente: die EU- und die russlaendische Strategie
im gegenseitigen Verhaeltnis sollen aneinander angepasst werden, gemeinsame Ziele fuer
die Zukunft sollen gesetzt werden (z.B. freier Handel). Der EU-Track soll betont werden.
3. Koennen wir die aussenpolitische Dimension im Rahmen der G8 in die Zukunft projezieren
und ausbauen? Das waere ein neues aber wichtiges Instrument fuer die Integration Russlands.
Betreff: Zoran Djinjic ? - Von: Dr. Galina Woronenkowa
- Datum: 09.06.1999
Ich wuerde mich freuen, wenn wir die Meinung unseren jugoslawischen Kollegen Zoran Djinjic
zum Kosovo-Konflikt zu horen. Sehr geehrter Herr Djinjic, betrachten Sie diesen Konflikt
als Krieg gegen den jugoslawischen Diktator Milosevic oder gegen das jugoslawische Volk?
Galina, Moskau
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
(Statt einer Antwort) - Es scheint dass eine Telefon- und damit Internet-Verbindung
nach Montenegro momentan nicht aufzubauen ist. Wir sollten das nicht symbolisch nehmen...
Betreff: allgemein - Von: Ulrich Hufen,
Slawist, Köln - Datum: 09.06.1999
Guten Tag allerseits,
ich würde vorschlagen, die Diskussion von akuten, tagespolitischen Details, wie z.B.
die UNO-Resolution, auf ein Minimum zu beschränken. Zum einen weil diese Dinge wirklich
eine zu rasante Verfallsgeschwindigkeit haben, zum anderen, und wichtiger, weil man den
Politikern der Bundesregierung zwar nicht viel Weitsicht aber doch das Geschick und die
Machtmöglichkeiten zusprechen darf, die gefundene "Lösung", den "Fischer-Frieden"
oder wie auch immer sie das Ganze nennen werden, nun auch durchzusetzen.
Wichtiger sind doch tatsächlich die langfristigen Konsequenzen des Krieges.
a) die Wirkung als Präzedenzfall für nicht von der UNO, dafür aber von vorgeblichen
humanitären Zwängen sanktionierte gewaltsame Form der Konfliktlösung. Damit
verbunden: die Zerstörung der Rechtsgrundlagen der Nachkriegsweltordnung
b) und, was Rußland betrifft: wie mir viele Freunde in Moskau mitteilen, versteht
man das Vorgehen der Nato dort allgemein als Zeichen dafür, daß eine Integration
Rußlands überhaupt nicht mehr vorgesehen ist. Die Rechtfertigungen der Nato
gelten als fadenscheinig.
Von: Eberhard Doerr, Ratingen - Datum:
09.06.1999
Zum Punkt b) sei bemerkt, dass der ehemalige Aussenminister Kinkel immerhin deutlich
auf die Abhaengigkeit zum Beispiel von dem Machtgefuege zwischen Duma und Praesident
in Moskau hingewiesen hat: Wenn der Westen mit Bodentruppen eingreife, "kippe"
(meine Formulierung) Jelzins Position und der Strom der NATO-Gegner wuerde sich durchsetzen
(der mehr an Konfrontation als Verhandlung interessiert ist). - Mich wuerde einmal
interessieren, ob die jetzige Bundesregierung bzw. Aussenminister Fischer auch eine
solche Aufmerksamkeit fuer die russische Lage hat. - Herr Erler, koennen Sie etwas
dazu sagen?
Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Auf die Frage von Eberhard Doerr: Kein Land hat sich im Kosovo-Krieg so dafür
eingesetzt, die russische Politik wieder in die Friedensbemühungen einzubeziehen,
wie die Bundesregierung. Das NEIN zum Bodentruppen-Einsatz beruht allerdings in
erster Linie auf Sicherheitserwägungen: Eine Infanterie-Intervention hätte
in jedem Fall zahlreiche eigene Opfer erfordert und wäre dann möglicherweise
an einer kippenden öffentlichen Meinung im eigenen Land gescheitert. Dieses
NEIN war so grundsätzlich und entschieden, daß die berechtigte Frage
nach einer Fernwirkung in Moskau eine eher nachrangige Rolle gespielt hat.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Die Frage nach dem Prezedaenzfall ist sicherlich von Bedeutung. Deswegen sind zwei
Fragen wichtig:
1. die politische Regelung soll in den VN-Rahhmen zurueck (wir sind unterwegs dahin).
2. Wie wird das neue strategische Konzept der Nato ausgelegt. Es scheint etwas ambivalent
zu sein, obwohl Hinweise auf das Voelkerrecht und die VN integriert worden sind.
Eine nicht weniger wichtige Frage ist aber: wie kann das internationale System weiterentwickelt
werden: Welche instrumente friedlicher Intervention in Faellen des Verstosses gegen
die Menschen- bzw. Minderheitenrechte kann sich die Staatengemeinschaft zulegen, so
dass man nicht gleich zu Waffen zu greifen braucht?
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Bei allem Respekt, dies ist eine Frage, die sich die Vereinten Nationen stellen
muessen - in dieser Konferenz geht es weniger um die Frage, wie der Konflikt geloest
(und ein keunftiger vermieden) werden kann, sondern um die Auswirkungen auf die
deutsch-russischen Beziehungen.
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Als Politologin interessieren mich die tagespolitischen Entwicklungen ebenso wie die
sichtbar werdenen Trends. Für das positive Szenario,daß die G-8/UNO-Variante
zu einem Waffenstillstand und einer Friedenstruppe führen sollte, könnte
die Krise in der Tat den Keim zu einer Reform europäischer Sicherheitspolitik
in sich bergen.Was aber fehlt sind parallel konzeptionelle Schritte hin zu einer solchen
Friedensordnung. Zu viel day to day action, von den Tagesereignissen und der normativen
Kraft des faktischen (NATO "SCHLAGkraft") beHERRscht werden.
Von: Ulrich Hufen - Datum:
09.06.1999
ganz klar, natuerlich ist es wichtig die einzelheiten zu verfolgen, nur glaube
ich, daß dazu heute wenig substanzielles gesagt werden kann.
ihre großschreibungen sparen viel platz und sind deutlich genug. dazu braucht
man wenig zu sagen. von der nato darf man sicherlich wenig erfreuliches erwarten.
zuletzt gab es ja auch erschreckende informationen darueber, wer wieviel geld an
der nato osterweiterung verdient, und wie da rüstungskonzerne und natostrategen
teilweise in personalunion agieren.
schauerlich.
ulrich hufen
Betreff: Fragen - Von: Walter Kaufmann - Datum:
09.06.1999
Schönen guten Tag,
mein Name ist Walter Kaufmann, ich arbeite als Osteuropa-Referent in der Heinrich-Böll-Stiftung
in Berlin.
Ich möchte für die Diskussion folgende Fragen aufwerfen:
1) Sicherlich ist Herrn Segbers zuzustimmen, daß es "die russische Außenpolitik"
in einem kohärenten Sinne und getragen von einer öffentlichen Debatte so nicht
gibt. Dennoch werden ja - wie zuletzt gestern - durchaus Entscheidungen getroffen, die
zumindest den Anschein außenpolitischer Handlungsfähigkeit erwecken. Meine Frage:
Hat die Kosovo-Krise und die Selbstmandatierung der NATO auch aus russischer Sicht eine
Reform der UNO dringlicher gemacht, wie dies von Herrn Erler und vielen anderen zu Recht
gesehen wird, oder ist von russischer Seite eher mit einer Blockade von Reformversuchen
zu rechnen, da schließlich auch das russische Veto-Recht zur Debatte gestellt werden
müßte?
2)In Rußland wurden mir gegenüber mehrfach die globalen Interventionsmöglichkeiten
der NATO beklagt, sollte die Schwächung der UNO durch Kosovo dauerhaft bleiben. In
diesem Zusammenhang wurde mehrfach auf die zahlreichen Konfliktpotentiale im Kaukasus bzw.
in den transkaukasischen Staaten hingewiesen; eine Region, in der rein ökonomisch
durch die kaspischen Ölvorkommen mehr "auf dem Spiel steht" als auf dem
Balkan. Ist das "Kaukasus"-Szenario also nur eine propagandistische Drohkulisse,
oder steigen tatsächlich die Gefahren zukünftiger militärischer Interventionen
in dieser Region ohne UN-Mandat
- durch Rußland
- durch die NATO?
Herzliche Grüße
Walter Kaufmann
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Die Frage der UNO-Reform, ja vielmehr die Frage einer umfassenderen Reform des aktuellen
internationalen Systems sollte mit der Beendigung des Konflikts in den Vordergrund
ruecken. Soweit gibt es aber keine ernsthafte Debatte in Russland darueber. Ich befuerchte,
dass der Konflikt eine Entwicklung in Russland in diese Richtung eher gebremst hat.
Soweit ist die Reaktion eindeutig: die gebrochene Rechtsordnung soll wiederhergestellt
werden und daran darf nicht mehr geruettelt werden. Nicht zuletzt auch wegen des Veto-Rechts.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Guten Tag, Herr Kaufmann.
Zu 1.: Ja. Irgendwer trifft irgendwelche Entscheidungen, telefoniert ein paar mal,
andere treffen andere. Das ist strukturell nicht organisierbar. Fast alle westlichen
Beobachter machen Konsistenzannahmen bezogen auf russische Politik, die idealistisch
sind. Wahrscheinlich, weil man/frau sich konzeptionell sonst nicht recht zu helfen
weiß.
Zu 2: Ich will das neutraler fassen. Welche Interventionen eine Gefahr darstellen und
welche nicht, und jeweils für wen, ist sehr die Frage.
Wieso wird eigentlich in Zeiten überall abnehmender staatlicher Regulierungskraft
von vielen so ungebrochen an dem Souveränitätspostulat festgehalten? Das
wird ohnehin fiktiv - ist es in vielen Bereichen schon. Das heißt auch, daß
internationale Organisationen und Regime, die regulieren wollen/sollen, neue Mechanismen
der Einwirkung entwickeln müssen - jenseits von Einstimmigkeit und Verabsolutierung
der "Soueränität".
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Kaufmann, was die kaukasischen Risiken anbelangt, so sind die Wechselbezihungen
zwischen Erdölressourcen und strategischen Interessen komplex (RF, USA, Aserbaidschan,
Armenien, Iran, Türkei etc.) Die russischen und die chinesischen Waffenlieferungen
an Armenien machen mir dabei ebenso Kopfschmerzen wie die Rolle der NATO im Wunschdenken
Aserbaidschans. Seit vielen Jahren stagniert die Konfliktregelung im Karabach-Konflikt.
Auch hier keine langfristige Konzeption für eine (gesamt-)europäische Sicherheitspolitik
in Sicht, die USA sind hingegen wieder einmal "schon da".
Von: Igor Trushkin - Datum: 09.06.1999
Frau Kreikemeier, vielleicht exisiert sie noch nicht, die europaeische Sicherheitspolitik?
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Habe ich doch gesagt. Sie EXISTIERT nicht.
Betreff: Thesen von Herrn Segberts - Von: Igor Trushkin, Aurora e.V. - Datum: 09.06.1999
1.Wie kommt die oeffentliche Meinung im Westen zu der Idee, dass "Russland militaerisch
nicht beeindrueckend" ist? Das ist doch ein gefaerlicher Irrtum.
2.Sie meinen dass "slawische Identitaet eine Fiktion" ist. Das moechte ich bezweifeln.
Was stimmt ist, dass die Mehrheit der Russen sich fuer diesen Krieg nicht interessieren,
denn sie haben andere Sorgen.
Insofern neige ich zu der Idee, dass viele westliche Massenmedien sowie Politikwissenschaftler
sich in der Einschaetzung der Situation in Russland sehr irren.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Lieber Klaus [Segbers],
Von einer mindestens "relativen" militaerischen Schwaeche Russlands kann
man doch schon sprechen. Unter der nuklearen Schwelle gibt es in einer solchen Lage
keine vertretbare militaerische Option. Und vom eventuellen Einsatz von Nuklearwaffen
schreckt man sich selbst zurueck.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Zu 1: Die öffentliche Meinung hat davon keine Ahnung, wie sollte sie. Ich vertrete
sie auch nicht. Daß "Rußland" militärisch konventionell
nicht projektionsfähig ist, wissen alle, die sich damit ernsthaft befassen. Daß
es deshalb die Einsatzschwelle für taktische Nuklearwaffen - schlecht gewartet
- abgesenkt wird, ist ein Unglück, aber kein Zeichen für Stärke. Im
Gegenteil, nicht?
Zu 2: Fragen Sie mal Polen, sibirische Russen, Serben, Sorben usw., wie sie diesen
Begriff der slawischen Identität füllen. Das ist ein Mythos, und deshalb
ohne Substanz. Was nicht bedeutet, daß nicht gelegemtlich versucht wird, ihn
auszubeuten.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Zugestimmt.
Betreff: - Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Passiert hier noch etwas, oder ist eine Pause?
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Die vermeintliche Pause sind tatsaechlich Antworten, die nicht oben erscheinen, weil
sie sich auf andere Beitraege beziehen - bitte waehlen Sie den Link "Neue Beiträge"
(links oben), um eine chronologisch sortierte Liste aller Beiträge (auch der Antworten)
zu bekommen !
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
wir warten auf einleitende Kommentare und unterhalten uns inzwischen unten auf der
Seite.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Hallo Andrej.
Wie geht's?
Gibst Du uns eine Einschätzung, wer in Moskau strategisch interaktionsfähig
ist in der Kosovo- oder in anderen Fragen?
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Hallo, Klaus
von der Strategie keine Rede. Reines Maneuvrieren unter gegebenen Umstaenden.
Von: Segbesr - Datum: 09.06.1999
Genau so ist es.
Was niemanden abhält, doch danach zu suchen.
Nun ja.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Und "Jede Suche endet mit einer Findung". Ich kann nur dafuer plaedieren,
die inhaltliche Diskussion in dieser Konferenz soweit ernst zu nehmen (und
zu befruchten), als sie ein Weg und _darin_ das Ziel sei.
Betreff: 5.Konferenz - Von: Zagorski - Datum:
09.06.1999
Das juengste Treffen der G8 Aussenminister in Bonn hat dazu beigetragen, dass die bis dahin
offenen Details, wenn auch kontrovers, aber doch geregelt worden sind. Mit der Verabschiedung
des Entwurfs der Resolution des Weltsicherheitsrates haben wir eine festere Grundlage fuer
eine gemeinsame Position. Das heisst, wir sind eindeutig auf einem kooperativen track [Schiene].
Die kritischen Fragen bleiben doch:
1. wann und ob es ein Resultat in den Gespraechen des Militaers ueber die Details des Abzuges
bzw. des Einzuges der Friedenstruppen gibt. Solange es da kein Resultat gibt, wird der
politische Prozess im Weltsicherheitsrat nicht eingeleitet (solange die Anschlaege nicht
aufgehoert haben).
2. welche Revisionsvorschlaege kann man noch im Weltsicherheitsrat, u.a. von China erwarten.
Wird es den Prozess bremsen? Wie lange und wie ernsthaft?
Betreff: Neues Lesen - Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Technischer Hinweis: Um die jeweils neuesten Beitraege zu sehen, sollte man auf die Taste
"Reload" oder "Neu laden" (meist drittes Symbol von links auf dem Browser)
druecken.
Alternativ kann man Liste aller Beitraege nach Zeit abrufen ueber den Link "Neue Beitraege"
(links oben).
Betreff: 5. Konferenz - Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Guten Tag aus Freiburg.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Also sind Sie doch schon online - fein !
Von: Zagorski - Datum: 09.06.1999
Hallo
Betreff: Konferenz - Von: Klaus Segbers
- Datum: 09.06.1999
Guten Tag aus Berlin!
Von: Zagorski - Datum: 09.06.1999
Hallo nach Berlin
Betreff: Willkommen ! - Von: Bernd von den Brincken, Aurora
- Datum: 09.06.1999
Willkommen zur 5. Internet-Konferenz von Aurora und der Friedrich-Ebert Stiftung! Von Herrn
Djindjic gibt es eine Zusage zur Teilnahme, allerdings momentan kein Telefonkotakt (mit
Montenegro), seine Teilnahme ist also nicht sicher. Herr Erler wird sich ab 17:00 einschalten
- alle anderen Experten sind online.
Noch ein Wort zur Technik: Bitte verwenden Sie nicht die deutschen Umlaute (äöü),
denn diese koennen in Moskau nicht angezeigt werden, schreiben Sie bitte oe, ue, ss usw.
---
Zum Thema: Wir haben nicht den Anspruch eines Nachrichtenmediums, aber angesichts der aktuellen
Entwicklung moechte ich den Experten die Gelegenheit geben, einen _kurzen_ Kommentar zur
aktuellen Lage zu geben. Danach koennen aus der Oeffentlichkeit oder untereinander Fragen
diskutiert werden.
Betreff: Fragen an die Referenten - Von: Kai
Ehlers - Datum: 09.06.1999
Liebe Teilnehmerinnen, liebe Teilnehmer dieser Konferenz - Guten Tag!
Ich bin Kai Ehlers, Publizist, habe an den letzten vier Foren teilgenommen, bin soeben
aus Moskau zurückgekehrt, wo ich zum "kak ras", also genau zum Thema zwei
Wochen recherchiert habe.
Meine Fragen:
1. Herr Erler, MdB
Was verstehen Sie konkret unter "Einbindung statt Ausgrenzung"? Wer soll da wen
einbinden? Darf die Einbindung mit Gewalt erfolgen? Hieße es nicht besser: Kooperation
statt Zwangsintegration?
Zweite Frage: Wie weit geht Ihrer Meinung nach Europa?
2. Frau Dr. Kreikemeyer,
Selbst-Isolierung Rußlands? Geht das nicht an denn Tatsachen vorbei? Erst NATO-Ost-Erweiterung,
dann NATO-Selbstmandatierung - jetzt NATO-Friedenstruppen? Ist nicht eher Frau Krone-Schmalz
zuzustimmen, daß Rußland mit seinem Veto in der UNO die Notbremse gezogen hat?
3. Frau Dr. Krone-Schmalz,
Danke! Da spricht mir doch mal jemand aus dem Herzen!
Jedoch eine Frage: Haben wir
Rußlands Situation wirklich "verpennt"? Ist die Einkreisung Rußlands,
dann seine Umgehung, schließlich seine Brüskierung in den Friedensverhandlungen
nicht Politik?
Zweite Frage: Was meinen Sie mit der "neuen Sicherheitsstruktur"?
Ich verstehe darunter das, was unter dem Stichwort "multipolar" heranwächst.
Glauben Sie, daß der Westen unter Führung der USA bereit ist, eine solche Perspektive
zu akzeptieren?
4. Herr Dr. Sagorski,
Sind Sie bei der Skizze der Haltung Rußlands zum NATO-Krieg nicht etwas sehr zurückhaltend?
Der krieg wird doch in Rußland nicht nur als "Verstoß" gegen die
UN-Charta, nicht nur als "keine Lösung" verstanden, sondern eindeutig auch
als Agression?
5. Herr Professor Segbers,
Ich glaube Sie irren, wenn sie meinen, die deutsch-russ. Beziehungen würden sich durch
den krieg nicht ändern. Tatsache ist: die NATO wird als USA wahrgenommen, ja, aber
tatsache ist auch, daß von Deutschland erwartet wird, sich von der NATO abzusetzen
- mehr als zuvor. Und im Hintergrund steht die Warnung: Wenn ihr Euch am Bodenkrieg beteiligt,
ist das für uns die Wehrmacht.
6. Frau Dr. Wororenkowa,
Ist Rußland Ihrer Meinung nach heute schwach oder (noch) stark?
Viele russische Analytiker meinen ja sogar, Rußland werde durch den krieg - solange
er kein heißer werde - gestärkt: Erstens innenpolitisch um eine gemäßigte
nationale Politik zusammengeschweißt, zweitens international in seiner Rolle als
Protagonist für eine multizentrale neue Weltordnung gestärkt.
Soweit,
bin auf Ihre Antworten gespannt.
Beste Grüße,
Kai Ehlers
Von: Zagorski - Datum: 09.06.1999
Der Verstoss gegen die VN Charta wird ja auch als Aggression qualifiziert.
Es gibt ja genuegend Stimmen in Russland, die den Krieg von aggressiv bis maessig negativ
einschaetzen. Nur, die offizielle Politik Russlands hat doch relativ frueh zu einer
kooperativen Linie zurueckgefunden, und im Rahmen der G8 Treffen sowie im Rahmen des
Weltsicherheitsrats geht es ja um die Wahrnehmung der Interessen, die ich in mainem
Paper zu beschreiben versucht habe.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Dr. Sagorski,
da haben Sie sicher recht. Aber wie erklären Sie in diesem Zusammenhang das
Doppelspiel: Tschernymrdin - Iwanow? Ist das nicht Ausdruck der tatsache, daß
sie Rußland verschiedene Optionen offen hält - die westliche, wie auch
die eher auf das "multipolare" und nach China orientierte?
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
Die unterschiedlichen Ansaetze gibt es ja schon. Es waere falsch, etwas anderes
zu erwarten. Nur:
1. bei den internen Unterschieden im Rahmen der offiziellen Position geht es
darum, wie man besser ans Ziel gelangt. Ueber das Ziel ist man sich einig.
Man hat schnell gelernt, dass es keine ernsthafte Option fuer einen Auftritt
auf der Seite von Milosevic oder fuer eine "neutrale" Vermittlung
gibt. Moskau hat keinen Einfluss auf Milosevic oder auf den Westen.
2. Wenn es Unterschiede geben soll (inwiefern wissen wir nicht genau), hat
Aussenminister Ivanow in Bonn von der Position aus weiterverhandelt, die Tschernomyrdin
besiegelt hat.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Aber hat nicht Iwanow gerade in China wieder die "multipolarten"
Visionen einer neuen Weltordnung beschrieben, während Tschernomyrdin mit
der NATO konferiert?
Auch Primakow war doch eher auf die Verfolgung einer multipolaren Ordnung orientiert.
Mir scheint nur einfach, dieser Konflikt wird gegenwärtig verwischt.
Von: zagorski - Datum: 09.06.1999
es ist weniger wichtig, wofuer man plaediert. wichtig ist, dass Ivanov im guten
Verstaendniss russlaendischer Interessen im Rahmen der G8 mitkonferiert.
Dies ist ja auch eine Antwort auf die eigentlich kuenstliche Debatte ueber
die Multipolaritaet. Interessanterweise aber hat der Konflikt weitgehend dazu
beigetragen, dass Russland eindeutig eine Europaeische Orientierung in seiner
Politik betont.
Von: Peter Scheible - Datum: 09.06.1999
Hallo Herr Ehlers,
1. Was hat es damit auf sich, daß Sie Krieg klein schreiben?
2. Ist es kein heißer Krieg?
Grüsse, Peter Scheible
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Lieber Peter Scheibe,
ja, selbst im Krieg sollte man scherzen..
Nein, es ist noch kein heißer Krieg, es ist bisher die Demonstration dessen,
was möglich wäre, wenn Rußland sich langfristig nicht kooperativ
zeigen würde.
Kosovo ist nur ein Beispiel, eine Demonstration.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Hören wir da Verschwörungstheorien?
Davon ist schwer ablassen.
Viel schwieriger wäre es, das reale GESTOLPER der vermeintlich großen
Politik analytisch zu begreifen und politisch zu deuten.
Von: segbers - Datum: 09.06.1999
Ich glaube, daß SIE irren. Einzelne Experten, die sich als Internationale Spezialisten
reproduzieren, formulieren solche Erwartungen an D oder an wen auch immer. Ansonsten
ist das alles nicht so wahnsinnig wichtig, von Kosovo bis Kakanien. Und welche Bedeutung
hat das, wenn einzelne Stimmen WK 2 - Vergleich ziehen? Sollen sie doch. Instrumentalisierung
beobachtet man und bleibt gelassen.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Ich rede nicht von offiziellen Stimmen oder Demagogen, die Erinnerungen an die
Wehrmacht instrumentalisieren.
Tatsache ist, daß die Bevölkerung auf unterschiedlichsten Ebenen sich
angesichts des in letzter Zeit so guten Verhältnisses zu den Deutschen nicht
vorstellen kann, daß die Deutschen sich mit eigenen Motiven an diesem Krieg
beteiligen. Insofern geht die Hauptlast der Kritik auf das Konto der USA.
Es baut sich aber eine Erwartung an die Deutschen auf, sich von den Vorgaben der
USA zu trennen. Das ist das Erste.
Das Zweite ist, daß der NATO-Krieg als Versuch der USA begriffen wird, einen
Keil zwischen Deutschland und Rußland zu treiben und die Erwartung formuliert
wird, daß man das gemeinsam abwehren müsse.
Deutschlands Position zwischen USA und Rußland wird neu definiert - im Verstädnis
der Leute und in der Politik.
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Woher wissen Sie, was sich die Bevölkerung auf verschiedenen Ebenen vorstellt?
Meine Frage bleibt offen: Wozu benötigt man diese Verschwörungsdeutungen,
das Suchen nach den Meisterplänen und den grand designs, wenn sie die
realen Entwicklungen viel weniger opernhaft erklären lassen?
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Lieber Prof. Segbers,
ich habe gerade zwei Wochen in Rußland mit der Frage recherchiert - und
zwar auf verschiedenen sozialen und politischen Ebenen, einschließlich
der Meinungsforscher und Analytiker. Das gibt doch wenigstens einen ungefähren
Eindruck von dem, was die Menschen denken.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Aus meinen Gespraechen mit Russen in den letzten Monaten habe ich jedenfalls
eines wahrgenommen: Dass das Verhaeltnis zwischen D und RF von seiten der Russen
mit mehr Aufmerksamkeit verfolgt wird als umgekehrt. Das geschieht rational
und emotional und jedenfalls ohne "Masterplan".
Von: Segbers - Datum: 09.06.1999
Jede/r hat seine Russen und Wahrnehmungen.
Ihr Befund mag sogar zutreffen. Aber was besagt das? Wieso sollte es eine "Balance
der Aufmerksamkeit" oder des Interesses geben?
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Sehen Sie darin eine Veränderung gegenüber der Zeit vor dem Kosovo-Krieg?
Ich habe immer wieder mit Bedauern festgestellt, daß das Interesse "meiner
Landsleute" an Rußland ärmlich ist, ja seit 1993 wieder rapide
abnimmt.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Dem muss ich mich anschliessen. Dies war einer der Gruende fuer die Gruendung
der Aurora Initiative.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Liebe Dr. Kreikemeyer,
ja, ich sehe eine Veränderung.
Vor dem krieg wurde man als Deutscher in Rußland mit Demokratie, Frieden
usw. identifiziert. Sinngemäß: "Ihr lebt ja schon im Pradies"
Jetzt muß ich den russischen Gesprächspartner/innen erklären,
daß nicht alle Deutschen den krieg befürworten...
Von: Gernot Erler - Datum: 09.06.1999
Ausschluß aus der OSZE als Strafe, Verringerung diplomatischer Kontakte bis zur
Visa-Verwehrung als Strafe, überhaupt Verbrauch aller denbkbaren Strafen bis keine
Drohung mehr wirkt - das ist im Fall Jugoslawiens die westliche Reaktion auf das Fehlverhalten
der serbischen Führung gewesen, die selbst zahlreiche Schritte zur Selbstisolierung
gemacht hat. Und diese westliche Reaktion war falsch, sie brachte Milosevic in eine
trotzige No-Win-Situation.
Der ganze Balkon gehört zu Europa.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Das Element des TROTZ als erkanntes Phaenomen politischen Verhaltens zu nennen,
hatte ich weniger von einem ihrer prominenten Vertreter erwartet. Mein Eindruck
war eben auch, das solche - im zwischenmenschlichen und etwa wirtschaftlichen Bereich
- akzeptierten Verhaltensweisen in der Argumentation des westlichen Buendnis (/der
Aussenminister) ausgeblendet wurden - Als ob man nicht mit der Reaktion Serbiens
auf die Bombardements haette rechnen koennen / muessen.
Von: Kai Ehlers - Datum: 09.06.1999
Sehr geehrter Herr Erler,
meine Frage nach der "Einbindung" bezog sich nicht nur auf Serbien -
weitergehend auf Rußland, insofern Serbien ja nur ein Beispiel für die
Konflikte ist, die tendenziell in den nächsten jahren auf uns zukommen, die
die Russen auf sich zukommen sehen.
Daher auch noch einmal die Frage: Wie weit recht Groß-Europa?. Ist Rußland
Europa?
Könnte es nicht sein, daß ein Großteil der jetzigen Konflikte
darin liegt, daß Europa die Welt zu sehr aus seiner eigenen Perspektive begreift,
ja, ihr seinen Stempel aufzudrücken versucht?
Von: Anna Kreikemeyer - Datum: 09.06.1999
Lieber Kai Ehlers, nicht zufällig haben Sie in Ihrer Frage die Klammern von (Selbst-)Isolierung,
die ich in meinen Thesen verwendet habe,übersehen. Ich betone damit das Ineinandergreifen
von unguten, kooperationsfeindlichen Haltungen auf beiden Seiten. Die Themen NATO-Osterweiterung,
NATO-Selbstmandatierung und NATO-Friedenstruppen können wir gerne en detail ansehen.
Pauschalantworten wären hier nicht hilfreich.
Von: Gabriele Krone-Schmalz - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Ehlers,
es freut mich, dass ich ihnen aus der seele spreche - bei der Gelegenheit: ich habe
die - wie ich finde - schlimme Erfahrung gemacht, dass ich damit ziemlich vielen Journalistenkollegen
und anderen aus der Seele spreche, aber nur Unterstützung dafür bekommen,
wenn gerade kein Mikrophon und keine Kamera eingeschaltet sind...
aber zu ihren Fragen. "Verpennt" insofern, weil wir real existierende chancen
ungenutzt vorbeiziehen haben lassen. Es wurde ausfuehrlich darüber debattiert,
dass wir nicht so weitermachen koennen wie bisher, aber es wurden nicht die richtigen
konsequenzen gezogen. Es wundert mich manchmal auch, wie oft Traegheit, Inkompetenz
und schlichte intellektuelle ueberforderung dafür verantwortlich sind, dass sinnvolle
und notwendige politische schritte nicht unternommen werden. Manchmal hat es - pardon
- mehr mit dummheit als mit boeser absicht zu tun. Aber in diesem Fall kommt wohl beides
zusammen, also: verpasste gelegenheiten und gezielte Politik.
Zum Stichwort multipolar. Genau das ist es. In groben Zuegen ist sowohl das europaeische
als auch das russische interesse das einer multipolaren weltordnung. das amerikanische
interesse ist nach wie vor ein anderes. meiner meinung nach ist es an der zeit, das
auch offensiv anzusprechen und das gebuendelte europaeische gewicht - inklusive russland
- in die Waagschale zu werfen.
Von: KaiEhlers - Datum: 09.06.1999
Liebe Frau Dr. Krone-Schmalz,
in der Tat: Es ist an der Zeit, diese Dinge deutlich auszusprechen. Nach dem Ende
des Systempolaritäten ist eben nur eine Welt übriggeblieben, die die
USA in ihrem Sinne jetzt zu stabilisieren versucht. Dem stehen die faktischen Interessen
anderer Mächte, Kulturkreise und Wirtschaftsräume gegenüber, die
an der Entstehung einer neuen Ordnung auf diesem Globus nicht nur interessiert
sind, sondern bereits dazu herangewachsen sind. Ich denke, der gegenwärtige
Krieg im Kosovo ist in seiner ursächlichen Zügen von dieser Konstellation
bestimmt.
Es ist aber bemerkenswert, daß diese Sicht der Dinge in europäische,
"westliche" Köpfe nicht hineingeht - und wenn, dann als Feindbild.
Da meine ich, sollte die Debatte fortgesetzt werden.
Von: Dr.Galina Woronenkowa - Datum: 09.06.1999
Sehr geehrter Herr Ehlers, ich bedanke mich fuer Ihre Frage. Sowohl wirtschaftlich,
als auch politisch ist Russland heute schwach. Was aber die militatrische Starke angeht,
so ist - nach Meinung der militarischen Experten - Russland fast genauso stark wie
noch vor 10 Jahren.
Meiner Meinung nach will Russland kein militaerischer Protagonist sein. Andererseits
will Russland nicht als Land der Dritten Welt betrachtet werden. Das hat Herr Tschernomyrdin
schon gezeigt.
Vielen Dank,
Galina
Betreff: 5.Konferenz - Von: Andrei Zagorski -
Datum: 09.06.1999
Hallo,
Ich dachte, wir machen die Probe auf der Interna, wo ich auf alle gewartet habe.
Betreff: Schoenen Guten Tag aus heissen Moskau - Von: Dr.Galina
Woronenkowa - Datum: 09.06.1999
Gluecklicherweise bin ich da. Evt. funktioniert unsere Verbindung. Ich freue mich, mit
Ihnen zu diskutieren.Galina
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 09.06.1999
Glueckwunsch, um 16:00 (18:00 Moskauer Zeit) beginnen wir hier. Probieren Sie doch
einmal für tests das Forum "Aurora-Interna" (links oben).
Betreff: test - Von: Peter Scheible
- Datum: 09.06.1999
Hallo, ich bin nicht an meinem eigenen Komputer, sondern in der UB. Hier gibt es mit dem
mailen gewisse Probleme, deswegen will ich mal sehen, ob ich jetzt auch aktiv oder nur
passiv teilnehmen kann. Dazu dient diese testmail.
Von: Bernd von den Brincken - Datum: 09.06.1999
Lieber Herr Scheible,
Sie haben keinen testmail, sondern den ersten Beitrag in der Konferenz geschrieben.
Eigentlich war der Gedanke, dass derartige Tests in dem Forum "Aurora-Interna"
(Links oben) gemacht werden. Aber nicht für ungut - um 16:00 wird die Konferenz
eröffnet, Ihre Fragen oder Beiträge sind dann willkommen - der Test war ja
erfolgreich ...