Aurora e.V. - Friedrich-Ebert Stiftung

 Am Balkan scheiden sich die Geister
Der Einfluß des Kosovo-Kriegs auf Rußlands Beziehung zum Westen
Internet-Konferenz am Mittwoch, 9. Juni 99, ab 16 Uhr MEZ
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Pressemitteilung - Bedienungshinweise

Die Thesen der Experten


Fragen zur 5. Internet-Konferenz "Am Balkan scheiden sich die Geister":

  1. Welche Rolle spielte Rußland für das Verhalten Serbiens vor dem Beginn des Krieges und nun für eine mögliche Beendigung?
  2. Wie wurde die Rolle Rußlands von den NATO-Staaten vor Beginn des Konflikts eingeschätzt; hat sich diese Einschätzung bisher geändert?
  3. Inwieweit verändert der Krieg die Haltung der russischen Bevölkerung und Politik zu Deutschland und den Deutschen?
  4. Wird der Kosovo-Konflikt die Identität einer slawischen Völkergemeinschaft stärken - oder wird er im Ergebnis eher zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur führen?
  5. Wie kann eine Sicherheitsorganisation aussehen, die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts verhindert oder ahndet?
  6. Was muß von den westlichen Staaten, was von Rußland getan werden, damit sich die gegenseitigen Beziehungen verbessern?
  7. Von der Allianz und von Deutschlands Außenminister Fischer wird der Einsatz für die Menschenrechte als Grund für die Kriegführung und damit als ultima ratio der Politik angeführt. Auf welche - anderen - Werte und Grundsätze würde sich ein Gegenentwurf dieser Weltordnung stützen?


Gernot Erler -

  1. Welche Rolle spielte Rußland für das Verhalten Serbiens vor dem Beginn des Krieges und nun für eine mögliche Beendigung?

Antwort: Moskau hat vor und während der Verhandlungen von Rambouillet und Paris der serbischen Position einer Ablehnung jeglicher Stationierung von bewaffneten Friedenstruppen im Kosovo Deckung gegeben und insofern Milosevic in seiner negativen Haltung zu dem Vertragsentwurf bestärkt. Inzwischen hat Rußland am  6. Mai mit der G-8-Erklärung eine andere Position übernommen und leistet vor allem durch die diplomatische Mission des ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin wichtige Vermittlungsdienste.

  2. Wie wurde die Rolle Rußlands von den NATO-Staaten vor Beginn des Konflikts eingeschätzt; hat sich diese Einschätzung bisher geändert?

Antwort: Vor allem die Vereinigten Staaten  haben noch im Verlauf des Jahres 1998 damit gerechnet, den Konflikt allein und mit Hilfe ihrer Shuttle-Diplomatie unter Kontrolle bringen zu können. Erst als dies scheiterte, wurde die Balkan-Kontakt-Gruppe reaktiviert, an der Rußland teilnimmt. Inzwischen halten die europäischen NATO-Mitglieder eine Lösung des Kosovo-Konflikts ohne eine Beteiligung und Einbindung Rußlands für unmöglich.

  3. Inwieweit verändert der Krieg die Haltung der russischen Bevölkerung und Politik zu Deutschland und den Deutschen?

Antwort: In der russischen Gesellschaft herrscht Pluralismus. Vor allem die kommunistische und nationalistische Mehrheit der politischen Klasse profiliert sich mit bekannt klingenden Vorwürfen und Verschwörungstheorien gegen die Vereinigten Staaten und die NATO. Die Fixierung auf die westliche Führungsmacht wirkt sich in diesem Fall schonend auf die deutsch-russischen Beziehungen aus: Deutschland steht nicht im Mittelpunkt der Kritik.

  4. Wird der Kosovo-Konflikt die Identität einer slawischen Völkergemeinschaft stärken - oder wird er im Ergebnis eher zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchtektur führen?

Antwort: Die slawischen Völker bilden keine Völkergemeinschaft und das in Moskau eher zurückhaltend aufgenommene Projekt einer Union Rußland-Weißrußland-Jugoslawien wird in der Praxis die abnehmende Bedeutung der GUS nicht übertreffen. Die Erfahrungen des Kosovo-Krieges werden die Entschlossenheit der europäischen Länder bestärken, ihre Sicherheit in Zukunft auf jeden Fall gemeinsam mit Rußland und mit der Ukraine zu organisieren.

  5. Wie kann eine Sicherheitsorganisation aussehen, die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts verhindert oder ahndet?

Antwort: Es gibt keine überzeugende Alternative zu einer Stärkung der Vereinten Nationen und ihrer letztlichen Ausstattung mit einem global gültigen Gewaltmonopol. Dazu ist allerdings eine grundlegende Reform der UNO Voraussetzung. Im Sinne des Prinzips "Prävention statt Intervention" müssen außerdem wirksame Instrumente einer vorausschauenden Friedenspolitik entwickelt werden, wie sie z.B. in der unzureichend ausgestatteten OSZE angelegt und wiederholt erprobt worden sind.

  6. Was muß von den westlichen Staaten, was von Rußland getan werden, damit sich die gegenseitigen Beziehungen verbessern?

Antwort: Rußland erwartet vom Westen, als Partner auch zur Regelung internationaler Probleme und Konflikte ernst genommen zu werden. Wenn wir dies tun, stärken wir zugleich die demokratischen Kräfte in Rußland. Widersteht Moskau in der Kosovo-Frage der Versuchung, die schwieriger werdende Lage der NATO auszunutzen, kann sich daraus eine umfassende Sicherheitskooperation für die Zukunft entwickeln.

  7. Von der Allianz und von Deutschlands Außenminister Fischer wird der Einsatz für die Menschenrechte als Grund für die Kriegsführung und damit als ultima ratio der Politik angeführt. Auf welche - anderen - Werte und Grundsätze würde sich ein Gegenentwurf dieser Weltordnung stützen?

Antwort: Einsatz für Menschenrechte, und das notfalls mit Krieg, machen noch keine Weltordnung - und das behauptet auch niemand. Grundvoraussetzungen für eine stabile Weltordnung sind: Eine starke Krisenprävention und eine vorausschauende Friedenspolitik der Einbindung statt Ausgrenzung und der Verzicht auf Versuche, mit Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung politische Ziele zu erreichen, es sei denn durch eine reformierte Weltorganisation der Vereinten Nationen, die über ein tatsächlich wirksames Gewaltmonopol verfügt. An all dem hat es beim Kosovo-Konflikt gefehlt. Daraus sind Lehren zu ziehen.
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- Anna Kreikemeyer -

  1) Welche Rolle spielte Rußland für das Verhalten Serbiens vor dem Beginn des Krieges und nun für eine mögliche Beendigung?

Die russische Politik gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien weist Kontinuitätslinien auf, die der serbischen Führung eine gewisse Berechenbarkeit ermöglichten. Folgende Faktoren spielen hier eine Rolle:

  2) Wie wurde die Rolle Rußlands von den NATO-Staaten vor Beginn des Konflikts eingeschätzt; hat sich diese Einschätzung bisher geändert?

Die NATO-Staaten gingen offensichtlich davon aus, daß ihre Luftangriffe den serbischen Präsidenten wie in der Bosnien-Krise relativ rasch zum Einlenken bewegen würden. Moskaus Protest gegen die Selbstmandatierung und die Unverhältnismäßigkeit der gewählten Mittel schien ihnen letztlich deklaratorischer Natur, also kalkulierbar zu sein. Weder angesichts der Luftschläge gegen die Serben im Konflikt in Bosnien-Herzegowina, noch angesichts der NATO-Osterweiterung war die Jelzin-Führung über Protest- und Drohpolitik hinausgegangen. Letzlich hatte sie das Vorgehen des Westens bisher immer hingenommen. Ohnehin befand sich Moskau seit der Finanzkrise vom August 1998 in einem Schwächezustand. Die Kredit- und Umschuldungsverhandlungen mit dem IWF stagnierten Ende März 1999 und Rußlands Gestaltungsenergie in den internationalen Beziehungen schien sich auf Obstruktionshaltungen und Rückzugsgefechte zu beschränken.

In dem Maße wie die Luftschläge gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht den gewünschten schnellen Erfolg zeitigten und intensiviert wurden, drohte ein Abbruch der Beziehungen zwischen Moskau und den NATO-Staaten (Abbruch einer Reise des vormaligen Ministerpräsidenten Primakov in die USA, Suspension der Mitarbeit im NATO-Rußland-Rat, Fernbleiben Moskaus beim 50-jährigen Jubiläum der NATO in Washington). Die in dieser Zeit aufscheinende Gefahr einer potentiellen (Selbst-)Isolierung Rußlands mitsamt einer Rückkehr zu altem Denken auf beiden Seiten führte schließlich zu einer Wiederaufnahme der bereits aus der Bosnien-Krise oder aus der Krise um die NATO-Osterweiterung bekannten russischen Kooperation bei dem Konflikt und der westlichen Einbeziehungsbereitschaft mitsamt Finanzunterstützung.

Das im Kosovo-Krieg bisher reinszenierte Konfliktmuster zwischen Rußland und den NATO-Staaten macht deutlich, daß beider Hürden vor einer gleichberechtigten Partnerschaft und gemeinsamen Verantwortung für die Sicherheit in Europa, die Machtverhältnisse in Rußland einerseits und der politische Wille der NATO-Staaten andererseits noch nicht aus dem Weg geräumt sind.

  3) Inwieweit verändert der Krieg die Haltung der russischen Bevölkerung und Politik zu Deutschland und den Deutschen?

Die verbreitete Ablehnung der NATO-Luftangriffe in der russischen Bevölkerung richtet sich primär gegen die NATO an sich und hier vor allem gegen die USA, als deren Instrument das Militärbündnis hauptsächlich wahrgenommen wird. Nach Meinungsumfragen haben die proamerikanischen Sympathien des Jahres 1993 beträchtlich abgenommen. Diese Antipathien erstrecken sich offensichtlich nicht auf die Europäer. Obwohl in den russischen Medien durchaus eine neue deutsche Führungsrolle im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel konstatiert wird, sind Aversionen gegenüber Deutschen infolge deren Beteiligung an den NATO-Bombardierungen nicht verbreitet.

Vergleichbar gestaltet sich die Haltung der russischen Führung. Die Ablehnung der NATO verstärkt eher das ohnehin seit Herbst 1998 verschlechterte amerikanisch-russische Verhältnis. Folge davon ist eine phasenweise stärkere Hinwendung zu Europa und hier zur EU, die nun als eigentliches Gravitationszentrum europäischer Sicherheit angesehen wird. Die Bundesrepublik, die trotz der Kosovo-Krise kontinuierlich seit 1991 das Konzept der Einbeziehung Rußlands in den gesamteuropäischen Prozeß propagiert, wird hier zusammen mit Frankreich als wichtigste Brückenmacht zur EU angesehen. Gleichwohl gab es für Präsident Jelzin deutliche Veränderungen im Verhältnis zur Bundesregierung. Die demonstrative Männerfreundschaft mit Helmut Kohl wurde von Gerhard Schröder bewußt nicht fortgesetzt. Die Bundesregierung machte deutlich, daß sie die Beziehungen zu Rußland auf eine breitere Grundlage stellen will.

  4) Wird der Kosovo-Konflikt die Identität einer slawischen Völkergemeinschaft stärken - oder wird er im Ergebnis eher zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur führen?

Die Entweder - oder Struktur der Frage stellt sich in dieser Entgegensetzung nicht.
Das Ergebnis der Vertreibungen und des Krieges wird, sofern er überhaupt noch durch einen Waffenstillstand zu beenden sein wird, keine neuen Wellen slawischer Verbrüderung/Verschwesterung nach sich ziehen. Der Panslawismus hat keine Realebene (vgl. Frage 1). Die kollektive Identifikation breiter slawischer Bevölkerungskreise mit der Vorstellung, ein gedemütiges Volk zu sein oder mittelfristig das Verfolgen irredentischer Ziele, scheint bei allem virulenten Nationalismus unter postsowjetischen Nationalitäten im Zeitalter der Globalisierung mit seinen vielfältigen Identifikationsangeboten unwahrscheinlich.

Der Keim zu einer neuen europäischen Friedensordnung könnte nur gelegt werden, wenn die NATO-Staaten zu einem möglicht frühen Zeitpunkt durch eine Einigung mit Rußland den Weg für eine UNO-geführte Friedenserzwingung und -sicherung frei machen und gleichzeitig die (vgl Frage 6) erwähnte umfassende Sicherheitskonferenz sowie die Entwicklung einer wirksamen Friedensordnung (vgl. Frage 5) mittrügen.

  5) Wie kann eine Sicherheitsorganisation aussehen, die die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts verhindert oder ahndet?

Am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik wurde in den Jahren 1993-1995 ein Modell einer Europäischen Sicherheitsgemeinschaft (ESG) entworfen, dem die Abkehr vom Recht des Stärkeren und die Hinwendung zur Stärke des Rechts zugrundeliegt. Es zielt darauf, sowohl Verletzungen der Menschenrechte als auch des Völkerrechts zu verhindern. Einige zentrale Grundsätze werden hier angeführt:

  6) Was muß von den westlichen Staaten, was von Rußland getan werden, damit sich die gegenseitigen Beziehungen verbessern?

Sicherheit
Nur nach einer raschen Rückkehr zu politischen Mitteln der Konfliktaustragung kann der Kosovo-Krieg den Keim zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Rußland und den NATO-Staaten und damit zu einer Weiterentwicklung der europäischen Sicherheit in sich bergen.

Anknüpfend an die Verhandlungen um einen Stabilitätspakt auf dem Balkan sollten die EU und Rußland eine umfassende Sicherheitskonferenz im Rahmen der OSZE initiieren.
Sicherheitskooperation mit Rußland darf sich nicht länger in einer therapeutischen Simulation von Partnerschaft erschöpfen. Die bestehenden Formen der Einbeziehung und Einbindung Rußlands in den gesamteuropäischen Kooperations- und Integrationsprozeß dürfen nicht länger die Funktion von Stillhalteabkommen haben. Eine Zusammenarbeit, der nur die phasenweise verantwortliche Zurückhaltung außenpolitischer Eliten in Moskau zugrundeliegt, kann kein Fundament einer europäischen Friedensordnung sein.

Wirtschaft
Notwendig ist es, die russische Bevölkerung zu motivieren und zu unterstützen, ihre demokratischen Rechte auszuüben und eine Zivilgesellschaft aufzubauen (vgl. IFSH-Studie 1999). Wenn russische Menschen Perspektiven sehen, ihr wirtschaftliches und politisches Fortkommen selbst bestimmen zu können, werden sie sich leichten Herzens von Nationalismus, Chauvinismus und Großmachtnostalgie verabschieden, autoritär-imperiale Traditionen sowie Blockade- und Obstruktionshaltungen ihrer PolitikerInnen nicht länger hinnehmen und gegen die Verletzungen von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit protestieren.

Erst wenn die politische Gleichberechtigung so eine wirtschaftliche Basis bekommt, können russische Menschen sich ihrer Verantwortung stellen, die Grenzen der politischen und ökonomischen Kultur ihres Landes wie z.B. den Korporatismus, die Nomenklaturabürokatie, die Korruption und last but not least die Rechtsunsicherheit zu beseitigen.

Eine solche Einsicht erfordert vom Westen aber die Bereitschaft, ökonomische Asymmetrien auf dem europäischen Kontinent in einer grundlegenderen Weise als bisher anzupacken. Kredite sind nur sehr begrenzt wirksam, solange Rußland ein Prozent Anteil an den weltwirtschaftlichen Aktivitäten, die USA aber 20 Prozent haben. Auch wenn Moskaus Konzept der forcierten Ökonomisierung der Beziehungen im Lande selbst unwidersprochen und zugleich wirksam wäre, stieße es gegenwärtig auf harte Schranken des Zugangs zu lukrativen Märkten (z.B. Stahl, Konsumgüter).


  7)
Von der Allianz und von Deutschlands Außenminister Fischer wird der Einsatz für die Menschenrechte als Grund für die Kriegführung und damit als ultima ratio der Politik angeführt. Auf welche - anderen - Werte und Grundsätze würde sich ein Gegenentwurf dieser Weltordnung stützen?

Ein Gegenentwurf zu einer Weltordnung, der der Schutz universeller Menschenrechten zugrundeliegt, wäre theoretisch der einer Staatenwelt, in der die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten Vorrang hätte vor dem Menschenrechtsschutz. Ein solches Modell stellt aber sowohl zivilisatorisch als auch völkerrechtlich gesehen einen Rückschritt dar.

Seit der "Wende" von 1989/1991 kann man von Ansätzen einer Weiterentwicklung des Völkerrechts weg von einem Recht der Staaten hin zu einem Recht der Völker und Menschen sprechen. Auf der Ebene von OSZE und UNO wurden seither Mechanismen der Prävention, humanitären Intervention und Streitschlichtung entwickelt, die im Fall von Menschenrechtsverletzungen auch gegen den Willen betroffener Staaten eingesetzt werden können. Ein Plädoyer für eine solchermaßen verfolgte präventive Politik des Menschenrechtsschutzes durch humanitäre Einmischung und Intervention setzt freilich der Natur der Sache nach viel früher an als die von Außenminister Fischer nun unterstützte militärische Intervention und Machtdemonstration mit humanitärer Zielsetzung, für die außerdem der Grundsatz der Legitimität (fehlendes UN-Mandat) und der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht erfüllt ist. Gewalt kann bei aller Legitimität des Menschenrechtsschutzes kein Mittel der Menschenrechtspolitik werden.
( Stand 28.5.1999 )
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- Dr. Gabriele Krone-Schmalz -

Ich behaupte:
Wenn wir Europäer uns auf die Osterweiterung der Europäischen Union und eine den neuen weltpolitischen Gegebenheiten angepaßte Sicherheitsstruktur, die Rußland als europäische Macht mit einbezieht, genauso konzentriert hätten wie auf die Osterweiterung der NATO, die für die Bewältigung von Regionalkonflikten nicht geschaffen ist, hätten wir das Konfliktpotential in Jugoslawien ganz sicher auf politischem Wege lösen können.

Ich behaupte:
Es verkehrt Ursache und Wirkung, wenn man unterstellt, die Transformationskrise in Rußland führe zu einer Abkehr von westlichen Entwicklungsvorstellungen bzw. zunehmend sei eine Hinwendung zur Identität eines slawischen Kulturkreises feststellbar und deshalb sei mit den Russen zusammen keine politische Lösung möglich gewesen, die Milosevic das Handwerk gelegt hätte. 

Meine Begründung:
Es rächen sich Versäumnisse vergangener Jahre. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes waren wir im Westen so naiv oder arrogant zu glauben, die NATO beibehalten zu können so wie sie ist. Hätten wir uns damals mehr Mühe gegeben, die Russen in eine neue Sicherheitsarchitektur einzubinden (Partnerschaft für den Frieden ist nichts weiter als Kosmetik), wären wir für die Herausforderungen einer veränderten Welt besser gewappnet gewesen. Die Balkan-Krise mit ihren Bürgerkriegen ist nicht über Nacht hereingebrochen, sondern war seit zehn Jahren absehbar. An Warnungen sowohl im westeuropäischen als auch im osteuropäischen Raum hat es nicht gefehlt. Es war auch bekannt, daß die NATO allein von ihrer Konstruktion her mit dieser Aufgabe überfordert ist. Sie ist als Verteidigungsbündnis nach außen gerichtet und taugt nicht zur Bewältigung sogenannter Regionalkonflikte. Ganz abgesehen davon, daß sie trotz aller gegenteiliger Lippenbekenntnisse die Russen eben doch nicht als vollwertigen gestaltenden Partner für die Sicherheit in Europa einbezieht. Wenn sich nun vor der russischen Haustür derartiges abspielt und der Rest der Welt sich mehr oder weniger darin einig ist, die Russen als "zusammengekrachte Supermacht" außen vor lassen zu können und an ihnen vorbei Fakten zu schaffen, muß man sich eigentlich nicht wundern, wenn die Russen als Notbremse ihr Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einsetzen, obwohl man für Milosevic´ Politik der ethnischen Säuberungen auch in Rußland keine Mehrheit findet. Es ging von anfang nicht um das diffuse Beschwören einer slawischen Bruderschaft, sondern um die Demonstration einer simplen Wahrheit: Ohne Russen gibt es keine funktionierende Sicherheitspolitik in Europa und gegen Russen schon gar nicht.

Mein journalistischer Kommentar:
Welch eine Heuchelei !  Es gibt keinen gerechten Krieg. Warum kommt niemand auf die Idee, die Ursachen zu erkunden und beim Namen zu nennen? Wir lassen uns eine Logik aufzwingen, die von falschen Voraussetzungen ausgeht. Wenn ich beim Fliegen die falsche Höhe eingebe und dann alles logisch und richtig mache, fliege ich trotzdem gegen den Berg. Die Voraussetzung muß stimmen und die stimmte von Beginn an überhaupt nicht. Das Argument: hinterher ist man immer schlauer, zieht nicht. Siehe oben. Alle haben es gewußt, aber die Verantwortlichen wollten es nicht wissen. Wir oft haben mir damals führende Politiker bestätigt, daß es ein Fehler sei, die NATO bis vor die russische Haustür zu erweitern, aber leider könne man aus diversen weltpolitischen Rücksichtnahmen nicht anders handeln. Wird schon gutgehen, denn die Russen sind ja sowieso am Boden und nicht mehr ernst zu nehmen. Denkste. Wo waren die politischen Berater? Was taugt die Schule der Diplomatie? Wenn wir am Ende dieses Jahrhunderts in einen Krieg hineinstolpern und uns damit beruhigen, humanitäre Hilfe zu leisten. Wo bleiben demokratische Werte und politische Kultur, wenn die Gegner der NATO-Luftangriffe - ganz gleich wo sie sitzen - zu Milosevic´ Sympathisanten gestempelt werden und man sie mit dem Hinweis darauf mundtot machen will, sie hätten keine Alternative zu bieten. Die Alternative haben wir verpennt.
(1.6.99) 

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Thesenpapier von Dr. Andreji Sagorski:    Die Politik Rußlands gegenüber dem Krieg auf dem Balkan

Neben der generellen Ablehnung der Ende März 1997 eingesetzten Nato-Anschläge gegen Serbien durch die Politiker und die öffentliche Meinung in Rußland (wobei Regionen Rußlands mit zahlreicher moslemischer Bevölkerung wie Tatarstan oder insbesondere Tschetschenien implizit oder explizit eher die Kosovo-albanische Seite im Konflikt unterstützten) ist eine wesentliche Differenzierung mit Blick auf Handlungsoptionen nicht zu übersehen. Die Vorschläge reichten von der Unterstützung des Milosevic-Regimes in Serbien durch Waffenlieferungen sowie durch eventuellen militärischen Beistand, über eine neutrale Vermittlung zwischen Serbien und der Nato bis hin zu einer mit dem Westen eng abgestimmten Politik, die die Aussetzung militärischer Auseinandersetzungen unter bestimmten Bedingungen ermöglichen würde. In diesem Sinne ist keine einheitliche Position in Rußland festzustellen.

Dieses Thesenpapier hat nicht zum Zweck, die ganze Palette der Meinungen in der russländischen Politik und Gesellschaft darzustellen. Die Aufgabe ist zu versuchen, die Entwicklung der offiziellen Politik Rußlands nachzuvollziehen. Der Verfasser legt dabei allein sein persönliches Verständnis der Politik Rußlands dar, die nicht unbedingt mit der offiziellen Position Moskaus deckungsgleich ist. Dabei soll in erster Linie auf die folgenden Fragen eingegangen werden:

  1. Das Verhältnis Rußlands zur Regelung des Kosovo-Problems insgesamt  
  2. Reaktion auf die jüngste Krise auf dem Balkan
  3. Positionen zur Regelung der Krise
  4. Die verbleibenden Schlüsselfragen 


1. Der Konflikt im Kosovo

Trotz der im Westen weitverbreiteten Vorstellung von einer Milosevic-freundlichen Politik Rußlands, die Grundlage für die kontroverse Beziehung zwischen Moskau und den Nato-Staaten geliefert haben soll, sei festzuhalten, daß seit der Verhandlungen über die Kosovo-Regelung seit 1998 in der offiziellen Diplomatie Rußlands sich ein tiefgreifendes Verständnis von gemeinsamen Interessens- und Zielvorstellungen mit den Partnerstaten in der Balkan-Kontaktgruppe durchgesetzt hat.

Zu den gemeinsamen Grundpositionen gehörten die Gewährung und Absicherung weitgehender Selbstverwaltung für Kosovo-Albaner bei der Wahrung territorialer Integrität von Serbien. Also, ein Modell nationaler Selbstestimmung innerhalb eines größeren Staates, über dessen Modalitäten verhandelt werden sollte. Gemeinsam für Rußland und den Westen war auch die Ablehnung der Gewalt von welcher Seite sie immer angewandt wurde, sei es das Miloševic-Regime in Belgrad oder die die Befreiungsarmee von Kosovo. In diesem Sinne wurden seit 1998 von Moskau die innerhalb der Kontaktgruppe abgestimmten Forderungen an Miloševic vertreten, die einen Rückzug serbischer Truppen aus dem Kosovo, Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen, Zulassung internationaler Humanitärer Organisationen, die Wiederzulassung der OSZE-Missionen in die Bundesrepublik Jugoslavien und andere.

Die Notwendigkeit einer eventuellen glaubwürdigen militärischer Drohung als einer Unterstützung der politischen Verhandungen mit Miloševic wurde auch auf der russländischen Seite eingesehen, nur gab es keine Übereinstimmung, insbesondere mit den USA, über die Legitimität einer militärischen Intervention im Kosovo ohne Absegnung durch den Weltsicherheitsrat.

Ein weiterer Punkt der Unterschiede bestand darin, daß gemäß der russländischen Position alle politischen und auf der späteren Stufe der Verhandlungen alle militärischen (Stationierug einer internationalen Friedenstruppe) Aspekte der Vereinbarungen zur Regelung der Kosovo-Frage unbedingt von der jugoslavischen Seite mitgetragen und durch eine Resolution des Weltsicherheitsrates legitimiert werden sollten.

Aufgrund der ungeregelten Kontroverse insbesondere über die Möglichkeiten einer militärischen Intervention hat Rußland im Frühherbst 1998 seine Unterstützung einer auch den militärischen Einsatz bewilligenden Resolution des Weltsicherheitsrates verweigert.


2. Reaktion auf die jüngste Krise

Der Kern der Reaktion Rußlands auf die seit Ende März andauernden Nato-Anschläge gegen Jugoslavien war und bleibt Ablehnung der einseitigen Gewaltanwendung durch die Nato ohne VN-Mandat. Diese Position wird politisch wie rechtlich aufgrund der Charta der Vereinten Nationen begründet. Die Intervention der Nato wurde politisch als keine Lösung des Konflikts, umgekehrt als Mittel zu seiner Eskalation gesehen. Rechtlich wurde die Nato Aktion als ein gravierender Verstoß gegen das geltende Völkerrecht angesehen, der mittel- bis langfristig zu einer gefährlichen Deregulierung des gesamten Internationalen Systems führen kann. Aus Protrest gegen die einseitige militärische Intervetion setzte Rußland seine militärische Zusammenarbeit im Rahmen der Grundlegenden Akte über die Rußland-Nato Beziehungen.

Abgesehen von den radikalen Forderungen zum militärischen Beistand Jugoslaviens lief die rußländische Politik auf die Forderung der Aussetzung der Militäranschläge der Nato, Wiederaufnahme von politischen Verhandlungen mit den Konfliktparteien sowie auf die Rückführung der Regelung des Konflikts in den Rahmen der Vereinten Nationen.

Gleichzeitig bekundete Rußland seine Bereitschaft, als Vermittler zwischen Belgrad und der Nato aufzutreten, um zur Beendigung militärischer Auseinandersetzungen beizutragen. Die Vermittlung sollte gleichzeitig zur Umsetzung bestimmter Interessen Rußlands beitragen: Rückführung des politischen Prozesses in den Rahmen des Weltsicherheitsrats und somit die Versicherung der Beteiligung Rußlands an weiteren Bemühungen um die Regelung des Konfliktes im Kosovo.

Mit den ersten gescheiterten Vermittlungsversuchen, wo Rußland versucht hatte, im Sinne eigener Vorstellungen von der Regelung der Krise Einfluß auf beide Konfliktparteien (Miloševic und die Nato) zu nehmen, wurde aber zunehmend klar, daß der Spielraum für eigenständige neutrale Vermittlung sehr eng war, da Moskau kaum reellen Einfluß auf beide Parteien hatte. Mit der Wiederaufnahme der Gespräche zuerst im Rahmen der Kontaktgruppe und danach im Rahmen der G8 schlug Moskau deutlich auf eine engere Abstimmung gemeinsamer Positionen mit dem Westen über, was in der Verabschiedung der gemeinsamen Prinzipien zur Regelung der Krise durch die Außenminister der G8-Staaten in Bonn im Mai 1999 resultierte.


3. Positionen zur Regelung der Krise

Die Verabschiedung der Grundprinzipien für die Regelung der Kosovo-Krise durch die Außenminister der G8-Staaten war ein bedeutender Schritt in Richtung der Wiederaufahme des politischen Dialogs sowie in Richtung der Reintegration Rußlands in den Prozeß der gemweinsamen politischen Meinungsbildung mit den führenden westlichen Staaten. Mehrere Elemente des Planes der G8 - die Rückführung der Verhandlungen in den Rahmen des Weltsicherheitsrats, die Aussetzung der Gewaltanwendung seitens aller Konfliktparteien, die Stationierung einer internationalen Truppe mit einem VN-Mandat - entsprachen den ursprünglich Formulierten Positionen Moskaus (sowie des im April 1999 entworfenen deutschen Friedensplans). Ja, sogar das Format des Treffens auf der Ebene der Außenmiister der G8 läßt sich auf eine ursprüngliche Initiative des Präsidenten Rußlands Boris Jelzin zurückführen.

Die Vereinbarungen im Rahmen der G8 haben eine Grundlage für einen anderen Vermittlungsansatz seitens Rußlands geschaffen, nämlich die Möglichkeit, die Führung von Belgrad mit einer gemeinsamen Position der acht Staaten zu konfrontieren, ohne daß Rußland dabei die fortgesetzten Anschläge auf Jugoslavien mitgetragen hätte. Nur wurde der Effekt dieser Entscheidung durch die ungeregelten Details gemindert, die soweit essentiell die Verabschiedung einer Resolution des Veltsicherheitsrates verhindert hatten. Unter anderem geht es um die für alle Seiten vertretbare Zusammensetzung der Friedenstruppe (ob die Truppen der an der Nato-Operation gegen Jugoslavien beteiligten Staaten daran teilnehmen dürfen oder nicht) sowie um ihre militärische Führung (ob sie von der Nato oder von den Vereinten Nationen geführt werden soll). Differenzen bestehen weiterhin in der Frage nach dem Umfang des Rückzuges serbischer polizeilicher Kräfte aus dem Kosovo.

Im trilateralen Rahmen (stellvertretender Staatsekretär der USA Strobe Talbott, Präsident Finnlands Martti Ahtisaari sowie der Vertreter des Präsidenten Jelzin Victor Tschernomyrdin) versuchte man Ende Mai abwechselnd in Helsinki und Moskau einen gemeinsamen Nenner für die offenstehenden Fragen zu finden. Der Versuch ist aber soweit vergeblich geblieben, so daß Rußland wiederholt mit einem Rückzug aus dem politischen Prozeß in diesem Rahmen gedroht habe.

Inzwischen befindet man sich in einer heiklen Situation, die Entwicklungen in allerlei Richtungen möglich macht: von einem Durchbruch zur notwendigen Detalisierung der gemeinsamen Position der acht Staaten, die den Weg zur Verabschiedung einer Resolution des Weltsicherheitsrates ebnen würde, über die Stagnierung des politischen Prozesses bis zum Ausstieg Rußlands aus dem gegenwärtigen Verhandlungsrahmen.

4. Die verbleibenden Schlüsselfragen

Die noch zu lösenden Schlüsselfragen, deren Beantwortung nicht allein von Gesprächen zwischen Rußland und dem Westen, sondern oft maßgeblich von der serbischen Seite abhängig ist, schließen ein:

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- Klaus Segbers -

  1) Welche Rolle spielte Rußland für das Verhalten Serbiens vor dem Beginn des Krieges und nun für eine mögliche Beendigung?

Die Rolle Rußlands (RF) war - und bleibt - gering. Um einen selbständigen, größeren Einfluß ausüben zu können, muß ein Akteur wirtschaftlich stark oder militärisch beeindruckend sein, möglichst beides. Doch treffen diese Kennzeichen auf die RF nicht zu. Alle rellevanten Akteure sind mit den bekannten inneren Problemen befaßt.

  2) Wie wurde die Rolle Rußlands von den NATO-Staaten vor Beginn des Konflikts eingeschätzt; hat sich diese Einschätzung bisher geändert?

Rußland dient vor allem dazu, von einigen westlichen Akteuren "eingebunden zu werden". Daß ist offenbar insofern eine wichtige Funktion, als Bedenken gegen die Kriegsführung und ihre Folge, die in einigen westlichen Kontexten als solche nicht geäußert werden (können?), nun auf dem Umweg über die Losung "Rußland einbinden" ventiliert werden. Das ist in der Substanz so richtig wie folgenlos, da sich dieses Rußland nur formal, kaum aber substantiell in irgendetwas einbinden läßt. Dazu ist die institutionelle Schwäche zu ausgeprägt.

  3) Inwieweit verändert der Krieg die Haltung der russischen Bevölkerung und Politik zu Deutschland und den Deutschen?

Schwer zu sagen. Soweit ich es sehe, gibt es keine substantiellen Veränderungen.

  4) Wird der Kosovo-Konflikt die Identität einer slawischen Völkergemeinschaft stärken - oder wird er im Ergebnis eher zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur führen?

Diese slawische gemeinsame Identität ist eine Fiktion.  Also kann sie auch nicht gestärkt werden - höchstens ihre symbolische Komponenten, soweit sie irgendwem nützlich ist.

  5) Wie kann eine Sicherheitsorganisation aussehen, die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts verhindert oder ahndet?

Die UN - oder eine andere Organisation - müßten dafür eine Mandat bekommen. Das Souveränitätsprinzip, durch die faktischen Entwicklungen (Globalisierung etc.) ohnehin stark relativiert, müßte auch im rechtlichen Nachvollzug stärker konditioniert werden. Ob das realistisch ist, ist eine andere und offene Frage.

  6) Was muß von den westlichen Staaten, was von Rußland getan werden, damit sich die gegenseitigen Beziehungen verbessern?

So schlecht sind die Beziehungen ja nicht. Ich rate, nicht immer nur auf die staatliche Ebene zu schauen. Auf anderen Ebenen - gesellschaftlich, NGOs, Regionen und Kommunen - passiert sehr viel, und viel Gutes.

  7) Von der Allianz und von Deutschlands Außenminister Fischer wird der Einsatz für die Menschenrechte als Grund für die Kriegführung und damit als ultima ratio der Politik angeführt. Auf welche - anderen - Werte und Grundsätze würde sich ein Gegenentwurf dieser Weltordnung stützen?

Menschenrechte sind ein sehr wichtiges Prinzip. Stabilität ist ein weiteres, das mit dem ersten oft konfligiert. Andere lassen sich hinzufügen. Eine Hierarchisierung dieser Prinzipien ist immer heikel.

( Stand 23-05-1999 )
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Dr. Galina Woronenkowa -

  1) Welche Rolle spielte Rußland für das Verhalten Serbiens vor dem Beginn des Krieges und nun für eine mögliche Beendigung?

Meines Erachtens, fast keine. In der ersten Linie war Serbien wirtschaftlicher Partner. Geschichtliche Verbindungen (Krieg in Serbien, Teilnahme im zweiten Weltkrieg an der SU-Seite) wurden nicht vergessen, doch Serbien hatte eigene Ambitionen. Es wollte politische Initiative und Vorschlaege ueber die friedliche Loesung des Kosovo-Problems aus Russland (im Laufe des vorigen Jahres, Igor Iwanov) nicht hoeren. Andersseits, Russland war fuer Jugoslavien wie ein Schwert und Ruecken.
Nach der moeglichen Beendigung waere diese Situation anders, wenn die friedliche Loesung von Russland NATO-Staaten verabschieden koennten.
Jugoslavien wollte Waffen, Russland will keinen Krieg.  

  2) Wie wurde die Rolle Rußlands von den NATO-Staaten vor Beginn des Konflikts eingeschätzt; hat sich diese Einschätzung bisher geändert?

Die NATO-Staaten haben vor Beginn des Konflikts gedacht, dass Russland militaerisch und diplomatisch schwach sei (die USA und andere haben Russland ueber Anfang des Konflikts offiziell nicht unterrichtet). Sie wollen ihre militaerische Kraft unbedingt zeigen (in der Welt gibt es zur Zeit zu viele Waffen, die veraltet sind und bis zum Kosovo-Konflikt nicht erprobt waren, ebenso mit Soldaten, die ganz jung sind). Hoffentlich ja: Wenn die Welt vor dem dritten Weltkrieg stehe, muessen alle gut nachdenken und viel ueberlegen.

Die NATO-Staaten sollen Russland nicht als Land der dritten Welt betrachten. Das ist militaerisch bis heute nicht so.  

  3) Inwieweit verändert der Krieg die Haltung der russischen Bevölkerung und Politik zu Deutschland und den Deutschen?

Gluecklicherweise zu Deutschen und Deutschland nicht so weit. Das beweisen keine Provokationen vor der Deutschen Botschaft in Moskau (im Vergleich mit den USA und Amerikanern). Sehr viele waren aber von den Teilnahme an diesen Konflikt von Deutschland enttaeuscht:
Erstens, sehr viele haben das mit der neuen Regierung verbunden (Sozial-Demokraten, also Linke, d. h. fast Kommunisten, die nur Krieg wollen); zweitens - andere Generation in der Regierung (Argumente: Kanzler Kohl koennte was anderes Amerika vorschlagen, da er die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges noch nicht vergessen hat). Drittens, Deutschland musste in diesem Konflikt nicht sein, da sich die Menschen in Europa, in Russland und in den GUS-Laendern an den zweiten Weltkrieg errinnern.

  4) Wird der Kosovo-Konflikt die Identität einer slawischen Völkergemeinschaft stärken (1) - oder wird er im Ergebnis eher zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur führen (2)?

(1)  Wenn NATO-Soldaten in Kosowo bleiben, dann ja. Die Slaven fragen schon heute: Wer muss der naechste sein?  
(2)  Keinesfalls. Solche Sicherheitsarchitektur basiert auf Blut und Bomben. Das bedeutet: Ende der europaeischen und insgesamt westlichen Demokratie.

  5) Wie kann eine Sicherheitsorganisation aussehen, die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts verhindert oder ahndet?

Kompliziert zu sagen. Frueher habe ich naiv gedacht, dass die UNO diese Rolle gut erfuellt. In der Tat spielte sie die Rolle, erfuellte sie jedoch nicht. Die UNO bedeutet heute NULL.
Ich weiss genau eines: Es muss eine internationale Organisation sein, wo keiner der Vertreter diskriminiert wuerde. Ob er eine riesige Nation praesentiert oder eine kleine nationale Minderheit. Mann muss von starken Laendern (USA, UK u.a.) und von jeder Kraft/Militaermacht (NATO) bei der Loesung der komplizierten Fragen unabhaengig sein. Aber das ist Idealismus.

  6) Was muß von den westlichen Staaten (1), was von Rußland (2) getan werden, damit sich die gegenseitigen Beziehungen verbessern?

(1)  
· Wenn die Kommunisten in Russland nach diesem Europa-Konflikt die Macht nicht erobern, dann wird man der Bevoelkerung helfen muessen, anstatt den "neuen Russen", noch reicher zu werden. Es wurde am Anfang eine gute Initiative ergriffen: Vom Herz zum Herz, vom Menschen zum Menschen usw. Aber die einfachen Menschen sind bei uns jetzt von der westlichen Demokratie enttaeuscht, da sie z.Z. auf Bomben basiert. Man muss den Menschen beweisen, dass der westliche Weg besser sei.
· Man muss der jungen Generation mehr helfen: beim Studium usw.
(2)   Russland muss klug sein und muss besser alles kalkulieren: Wem was gehoert, wie kann man Loehne und Gehaelter zahlen, wie kann man das Niveau der Arbeitsloesigkeit senken. Auf diese Weise kann man die wirtschaftliche und politische Situation stabilisieren.

  7) Von der Allianz und von Deutschlands Außenminister Fischer wird der Einsatz für die Menschenrechte als Grund für die Kriegführung und damit als ultima ratio der Politik angeführt. Auf welche - anderen - Werte und Grundsätze würde sich ein Gegenentwurf dieser Weltordnung stützen?

Die Menschenrechte in unserem Land wurden fast 80 Jahre lang verletzt. Heute auch. Darueber weiss der Westen eigentlich wenig. Kriege hatten wir schon (ich bin juenger als die Kriege, das besorgt doch mich).
Andere Werte - wirkliche Demokratie und Rechtstaat und Rechtswelt. Unbedingt ohne Militaerkonflikte. Zum Beispiel: Wurde es besser in Irak nach den Bombenangriffen? Fuelht sich das Volk besser? Oder ist Herr Hussein weg?

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