Protokoll der 4. Aurora-Konferenz vom 5. November 98
Die Teilnehmer und ihre email- bzw. Web-Adressen
Wilfried Bergmann |
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Kai Ehlers |
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Alexander Rahr |
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Josef Vielhaber |
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Klaus Segbers |
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Bernd Knabe |
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Ludger Wiedemeier |
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Bernd vd Brincken |
Betreff: Steuern, informelle Vereinbarungen - Von: Kai Ehlers - Datum: 05.11.1998
Lieber Bernd vd. Brincken
Die Frage nach den Steuern zielt darauf, zu klären, wer die Definitionsmacht hat zu
bestimmen, was legal und was illegal, was kriminell ist und was nicht. Ohne diese Frage
zu klären, bleibt die Debatte über Rechtsreform, gar Rechtsstaatlichkeit in Rußland
rein
scholastisch.
Sie haben die richtige Frage gestellt, ob es informelle Vereinbarungen gibt. Gibt es. Sie
bestehen z.B.
darin, daß der Staat Gesetze beschließt, von denen er genau weiß, daß
niemand sie einhalten wird - weil
eine Einhaltung nicht nur zu dessen Ruin, sondern zum Stillstand des gesamten gesellschaftlichen
Lebens führen müßte. Beispiel: Steuergesetzgebung.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 06.11.1998
Das ist exakt der Punkt. Jede Diskussion, die versucht,
die Personalfrage auszuschließen, führt
letztlich nur zu einer akademischen Diskussion, die am Ende
vielleicht ein neues Kuhnsches
Paradigma schafft, aber nichts zur Lösung der Probleme
selbst beitraegt. Informelle
Vereinbarungen sind unvermeidliches Ergebnis einer Situation,
in der letztlich die notwendigen
Entscheidungen nicht getroffen werden. Aus diesem Vakuum
heraus bilden sich fuer informelle
Gruppen, wie es die Mafia sicherlich auch ist, dann zahlreiche
Handlungsmoeglichkeiten.
Betreff: Konferenz - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Die Moderation zieht sich erst einmal zurück. Weitere Beiträge können
und sollen aber noch bis 8.11.
gesendet werden.
Informationen über weitere Aktivitäten der Aurora Initiative sowie Internet-Links
findet sich auf der
Homepage www.kanka.de/aurora.
Eine Druckfassung dieser Konferenz erhalten die Fachteilnehmer zugesandt, andere auf Anfrage.
Dank an "City-Guide" und "future Point" in Köln für ihre
Unterstützung und an alle Teilnehmer!
Betreff: betrifft: in die Augen sehen.. - Von: Kai Ehlers - Datum: 05.11.1998
Gut, das Medium verleitet dazu
Versuche ich es einmal mit einer Frage, die die Beiträge von Frau Weiss, Herrn Prof.
Bergmann und Dr.
Knabe gleichermaßen betrifft,:Alltag, grundlegende Fragen und System-Mafia.
Ist es ein Verbrechen, Moskau keine Steuern zu bezahlen?
Anders gesagt: Kann man eine System-Mafia definieren, ohne das System zu definieren?
Alexander Lebed hat den Begriff der schwarzen und der grauen Kriminalität geprägt.
Ich glaube nicht, daß man ohne weiteres die uns geläufige Rechtsförmigkeit
auf die nachsowjetischen,
bzw. heutigen russischen Strukturen übertragen kann. Das Recht muß ja die realen
gesellschaftlichen
Konflikte und Interessen regeln, dafür muß es von den realen gesellschaftlichen
Strukturen ausgehen.
Wird das von der gegenwärtigen "Verrechtlichung" der russ. Föderation
geleistet?
Von: Bernd vdB - Datum: 05.11.1998
"Ist es ein Verbrechen, ... keine Steuern zu zahlen?"
ist ja schon eine rhetorische Frage. Aber
jedenfalls ist es: illegal. Es läuft dann auf die Frage
hinaus: Wer darf wofür Steuern erheben?
- Anläßlich der ersten Konferenz über Raumfahrt-Perspektiven
bemerkte ein Teilnehmer, daß
ohne Steuerzahler in Rußland jedenfalls die russische
Raumfahrt "dicht machen" muss. Das
fände ich persönlich sehr bedauerlich...
Betreff: Formelles und informelles Recht - Von: Bernd vdB - Datum: 05.11.1998
Aus den Beiträgen von Ehlers und Knabe ergäbe sich, dass neben dem Rechtssystem
ein weiteres,
aber informelles System von Vereinbarungen besteht. Meine Frage wäre, ob diese Konstellation
für
eine "gute Entwicklung" prinzipiell schädlich ist - oder ob man nur echte
Widersprüche der beiden
Regelsysteme vermeiden müsste?
Von: Fabian Weber, Berlin - Datum: 05.11.1998
Jedenfalls ist der Nachteil eines "informellen Rechtssystems",
dass man nicht (öffentlich) darüber
diskutieren kann, denn es ist eben nur "informell".
Betreff: Verabschiedung - Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Auch ich muß leider aufhören, ich bedanke mich für alle Beiträge
und Fragen. Sie können sich auch in
den nächsten Tagen gern direkt an mich wenden (s. e-mail-Adress).
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Die Beantwortung der Frage von Herrn Kalscheuren würde den Rahmen dieser Konferenz
sprengen.
Zudem brauchte man genauere Daten dazu.
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Die einzige legale Möglichkeit einer Amtszeitverlängerung für Präs.
J. wäre die Verfassungsänderung,
z.B. durch Bildung eines neuen Staates mit Russland und Weissland und dann eienem neuen
gemeinsamen Staatsoberhaupt oder eine derartige Konföderation mit einem "Konföderalpräsidenten".
Aber ist es nicht ein Erfolg der Rechtspolitik, dass man sich auch in Russland daran gewöhnt,
derartige
Fragen gerichtlich zu entscheiden. Das entspricht nicht gerade russischer/sowj. Tradition!
Betreff: Unternehmensgründung in Russland - Von: Christian Kalscheuren - Datum:
05.11.1998
Mich interessiert einmal, wie das praktisch läuft, wenn man in Moskau z.B. eine
Computerfirma gründen
will. Hat man dann mit diesen Organisationen zu tun? Oder kann man als Einzel- oder Kleinunternehmer
dort praktisch gar nicht auftreten?
Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Lieber Herr Kalscheuren, im Prinzip können Sie sicher
eine Computerfirma in Rußland gründen,
am ehsten wohl als Joint Venture. Sie brauchen einen starken
Partner, um sich auf dem Markt
behaupten zu können - von Schutz des Wettbewerbs und
fairer Konkurrenz kann in der Regel
nicht gesprochen werden. Dieser "Partner" wird
im Russischen als "Dach" ("kryscha") bezeichnet.
Diese Konstellation hat etwas mit dem früherer Kurator-System
der staatlichen Planwirtschaft der
UdSSR zu tun.
Betreff: Kurzinfo über Entscheidung russischer Gerichtshof - Von: Ludger Wiedemeier
- Datum: 05.11.1998
Wie ich gerade auf einer anderen WEB Seite lese hat der russische Gerichtshof entschieden,
das
Praesident Jelzin im Jahr 2000 nicht zum dritten Mal fuer die Praesidentschaftswahlen kandidieren
kann.
Die russische Verfassung schließe diese Moeglichkeit aus.
Von: Bernd vdB - Datum: 05.11.1998
Das gehört nicht zum Thema dieser Konferenz, lieber
Ludger Wiedemeier.
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Rechtspolitische Optionen: Die zentrale Aufgabe des Rechts ist es, durch für jedermann
gleiche und
vorhersehbare Strukturen Willkür einzugrenzen und Machtmissbrauch zu erschweren. Auch
wenn das
nach 250 Jahren Zarenreich und mehr als 70 Jahren Kommunismus noch nicht annährend
optimal
ist, gibt es dazu nur zwei Alternativen: das Göttliche und das Chaotische. Das eine
kommt nicht sofort,
das andere ist nicht gewollt.
Wenn man den Bewusstseinsbildungsprozess in der russischen Gesellschaft beobachtet, zeigt
sich
deutlich, dass mehr in 8 Jahren nicht zu erwarten war (vergleichen wir doch die ehemalige
DDR!). aber
auch eine Menge erreicht wurde.
Betreff: 2. Fortsetzung - Von: Kai Ehlers - Datum: 05.11.1998
Starke nationalistische Kräfte wollen eine Konföderative Entwicklung nicht
zulassen,
andere Kräfte streben nach konföderaler Gliederung. So oder so wird es um eine
Organisation gleichberechtigter Wirtschafts- und Politischer Räume gehen, die ihre
gleichberechtigten eigenen Beziehungen ins jeweilig angrenzende und auch weitere
Ausland haben.
Nicht möglich ist eine Re-Zentralisierung im Stil des zusammengebrochenen monolithischen
Zentralismus. Jeder Versuch in diese Richtung ist durch die geschichtliche Erfahrung abgeschnitten.
Das Gleiche gilt für die Seite der Mafia - auch sie wird sich pluralisieren, ja, sie
hat bereits. Und in
diesem Zuge wird sie zum normalen Bestandteil der entstehenden gesellschaftlichen Strukturen
werden
- wie nicht anders in den sogenannten zivilisierten Staaten des Westens.
Vorausgesetzt - eine solche Entwicklung des Raumes wird zugelassen.
Hier ist auch deutsche Politik anders gefordert als bisher. Es ist ein Irrtum, den "kranken
Mann"
zwischen Europa und Asien dadurch ungefährlich halten zu wollen, daß man ihm
immer nur den Kopf
streichelt. Man muß auch seinen Leib kurieren - wenn man schon kurieren möchte.
Von: Bernd vdB - Datum: 05.11.1998
Lieber Kai Ehlers,
Sie neigen hier zu Monologen. - Auch wenn wir uns hier nicht
in die Augen sehen können, ist ein
gewisser Austausch aber vielleicht wünschenswert.
Betreff: Rechtspolitik ! - Von: Bernd vdB - Datum: 05.11.1998
Moderation:
Das verbindende Thema soll hier die RECHTSPOLITIK sein. Nochmal der Versuch, dazu eine
Debatte
anzustossen, die alle Positionen sichtbar macht:
Welche Optionen, welchen Einfluss, welche verschiedenen Modelle hat ggfs. die Rechtspolitik
anzubieten?
Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Im Juni 1998 hat die DGAP in Bonn eine internationale
Konferenz durchgeführt, die dem
internationalen Kampf gegen das organisierte Verbrechen gewidmet
war, anwesend waren auch
Vertreter der Sicherheitsbehörden Rußlands und
der USA. Auf dieser Ebene verstehen sich die
Vertreter der verschiedenen Länder ziemlich gut - ich
möchte aber trotzdem die Behauptung
wagen, daß dadurch die Idee des Rechtsstaats in Rußland
nicht wesentlich vorangebracht wird.
Auch die bisherigen Erfahrungen mit dem Europarat zeigen,
daß man mit den Menschenrechten
kaum vorankommt.
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Ich halte es für unrealistisch, die vielfältigen Probleme Russlands auch
noch mit dem der
"Gebietsreform" zu belasten. Anders formuliert: zumindest für eine längere
Übergangszeit wird man wohl
oder übel mit den derzeitigen Gebietsstrukturen arbeiten müssen. Im übrigen:
gerade die GUS zeigt,
dass eine Infrage-Stellung der Grenzen ernsthaft nur vom Luschkov (Krimdebatte) aus durchsichtigen
Gründen forciert wird, aberr von keinem aussenpolitisch Verantwortung tragenden Politiker.
Betreff: Zu den "Oligarchen" in Rußland - Von: Bernd Knabe - Datum:
05.11.1998
Sicher ist es für viele Leser von Interesse, welche spezifischen Merkmale die
"Oligarchen" auszeichnen,
die freilich nicht alle mit der "System-Mafia" in Verbindung zu bringen sind.
Nach Darstellung von P.
Iwanow in der Zeitschrift "Kommersant-wlast" sind dies insbesondere:
- politischer Einfluß auf föderalem Niveau
- direkter Zugang zum Präsidenten oder zum Premier
- Möglichkeit der Finanzierung von Wahlkämpfen auf der obersten Ebene
- Besitz von Eigentum föderaler Bedeutung
- Innehaben von Steuerprivilegien
- Zugang zu Budgetmitteln
- Besitz oder starke Einflußnahme auf Masenmedien föderaler Bedeutung
- Besitz einer "berühmten" außerstädtischen Residenz.
Betreff: Forts. meines Beitrags - Von: Kai Ehlers - Datum: 05.11.1998
Wieder unterbrochen, weiter:
Die Entwicklung von Macht und Gegenmacht in Rußland, Zentralismus und Anarchismus
etc.. wie immer
diese Paare zu benennen sind, hat eine lange Geschichte: Sie beginnt bei der Entstehung
der Kosalen
als Grenzbevölkerung, zieht sich über die "Zonen" des Zarismus, in
die die Verbannten geschickt
wurden, steigert sich zum Gulag und endet in der heutigen "Legalisierung" bzw.
Anarchisierung dieser
Doppelstruktur. Diese Anarchisierung = Auflösung der historischen Doppelstruktur -
ist ein Vorgang von
beispiellosem historischem Ausmaß und Charakter.
Dies vorausgesetzt, kann man beginnen über die neuen Formen des staatlichen Verständnisses
nachzudenken. Sie werden auf jeden Fall nicht darin bestehen, die alte Doppelstruktur auf
niederer
Ebene im regionalen Rahmen zu multiplizieren. Dies wäre nur eine uneffektive Wiederholung
eines
abgelaufenen historischen Prozesses.
Es wird zu einer neuen, gleichberechtigten Beziehung der inzwischen neu entwickelten Räume
des
nachsowjetischen, auch des jetzigen russischen Raumes kommen. Ob das in föderaler
oder in
konföderaler Weise geschieht, ist z. Zt. eine offene Frage - aber nur das ist offen.
Betreff: Dezentralisierung, Antwort auf Fragen - Von: Kai Ehlers - Datum: 05.11.1998
In der Tat- die Neugestaltung der staatlichen Verhältnisse im russischen, sagen
wir, nachsowjetischen
Raum, stellt die Zentralgewalt in Frage - in der Form mindestens, wie sie sich von der
Selbstherrschaft
des Zarismus über die Sowjetunion bis kurz vor Auflösung der UdSSR entwickelt
hatte: als
überzentralisiertes imperiales Zentrum, das an seiner eigenen Überzentralisierung
und
Überspezialisierung zugrundegehen MUSSTE.
Die Mafia als Gegengesellschaft ist Bestandteil dieses Prozesses, der das reale gegengewicht
zu dieser
Überzentralisierung darstellt - selbst wiederum in diesen Formen organisiert.
Betreff: Eine Überlegung zu den Implikationen der gegenwärtigen Krise -
Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Fatal scheint mir, daß die Begriffe "Marktwirtschaft", "Demokratie"
und "Rechtsstaat" bei den meisten
Menschen in Rußland in Mißkredit gekomen sind - dies läßt sich kaum
reparieren! Ich möchte auf einen
Aufsatz des Hanburger Juristen Prof. Luchterhandt hinweisen, der im Oktoberheft der "Internationalen
Politik" zum Thema "Rußland als Rechtsstaat" erschienen ist. Er schreibt:
"Die Tragik der Situation liegt darin, daß das Rechtsstaatsprinzip kraft der
Verfassung formell fortgilt,
durch die gegenläufige Wirklichkeit jedoch letztlich verhöhnt und in den Augen
der frustrierten Bürger
als Ideologie...in Mißkredit gerät." Für Luchterhandt ist Präsident
Jelzin nicht der "Garant der
Verfassung", sondern eine "Quelle ihrer Gefährdung".
Von: Fabian Weber - Datum: 05.11.1998
Vielleicht ist es ja auch gar nicht die letzte Weisheit,
einen RECHTS-STAAT hochzuhalten. Im
Zusammenhang mit der erwähnten Regionalisierung könnten
doch auch RECHTS-REGIONEN
gebildet werden, die dann auch mehr eigene Verantwortung
und Identität haben. Oder mache ich
da (als nicht-Jurist) einen Denkfehler?
Von: segbers - Datum:
05.11.1998
nein, gar nicht. sehr vernünftig.
das dauernde schimpfen und jammern über geringe und
nicht durchgriffige rechtstaatlichkeit
ist letztlich emotional und hilflos, ignoriert im übrigen
auch zumeist souverän
die ganze literatur (vor allem public choice, strong/ weak states etc.),
die es dazu schon gibt.
und: das nachdenken über
regionale und informelle regime ist äußerst fruchtbar.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
"Eine Quelle ihrer Gefährdung". Da kommen
einem die letzten Tage von Lech Walesa als
polnischem Staatspräsident in den Sinn, "wo man
meinte" es mit der Verfassung auch nicht mehr
so genau nehmen zu müssen. Doch dieser wurde dann in
einem demokratischen Verfahren
abgewählt. 1996, während der letzten Präsidentenwahl,
meinte man aber im "Westen" Jelzin
unterstuetzen zu muessen.
Sjuganow habe ich hier in Bonn bei einer DGAP veranstaltung
kennengelernt und ich hatte schon
den Eindruck, das Sjuganow die Rolle des IWF fuer Russland
sehr wohl bewusst war.
Von: Bernd vd Brincken
- Datum: 05.11.1998
Die Personaldiskussion
scheint ja eine never-ending-story zu sein. Vielleicht machen wir
dazu besser ein eigenes Dauer-Forum...
Scheint mir auch irgendwie
ein amerikanischer Stil zu sein, immer nach "griffigen" Personen
zu fragen als nach Strategien.
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Ich begrüse sehr die These von Herrn Ehlers, dass Dezentralisierung oder besser:
die Stärkung der
Strukturen in der Fläche ein notwendiger Teil des noch zu leistenden Transformationsprozesses
sind. Die westlichen Aktivitäten sind noch zu stark auf Moskau und St. Petersburg
zentriert.
Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Herr Ehlers hat im Prinzip recht, wenn er vermutet, daß
eine stärkere Regionalisierung ein
Schlüssel des Auswegs aus der Krise sein könnte
- faktisch läuft es zur Zeit auch so. Für eine
ganze Reihe von Föderationssubjekten spielt die in Moskau
gemachte Politik kaum noch eine
Rolle. Trotzdem gibt der Standpunkt des jahrelangen Beraters
der Moskauer Regierung A.
Aslund zu denken, der die Entwicklung in den Regionen während
der letzten Jahre für viele
landesweite Negativtrends verantwortlich macht (so zuletzt
in der "Internationalen Politik").
Von: Bernd vd Brincken
- Datum: 05.11.1998
Heisst "Regionalisierung"
eigentlich automatisch, dass damit die "Föderationssubjekte"
gemeint sind, also die historisch
aus Stalins Zeiten stammenden Regionen. - Als
universelles Konzept koennte
"Regionalisierung" doch auch bedeuten, dass _jeweils_
kleinere Einheiten gebildet
werden. Im Endeffekt sind ja auch die letztlich von Kai Ehlers
erwähnten "Obtschina"
regionale Strukturen.
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Zu der Frage von Herrn Weber:Auch wenn beim Geschäftsgebahren russ. Unternehmer
sicher noch manche Wünsche unsererseits offen sind, unterscheidet es sich deutlich
von dem staatlicher Aussenhandelsorganisationen der früheren Sowjetunion. Eiffizenz-,
Kosten- und Leistungsrelationen, effektive Preisbildung im Hinblick auf die Qualität
sind
Standards geworden, an denen sich zunehmend auch die russ. Unternehmen orientieren.
Betreff: Forts. meines Beitrags - Von: Kai Ehlers - Datum: 05.11.1998
Mein Beitrag wurde versehentlich unterbrochen
Neugestaltung staatlicher Beziehungen kann im Wesentlichen nur bedeuten, herauszukommen
aus
dem bisherigen Dualismus russischer, dann sowjetischer Geschichte, in der ein extremer
Zentralismus
ein eine extrem auseinandertreibende Vielfalt gewaltsam zusammenhalten muß, in der
Gesellschaft und
gegensesellschaft, Staat und Gegenstaat sich notwendigerweise gegenseitig bedingen.
Diese Aufgabe könnte eine Politik leisten, die einerseits die Dezentralisierung und
Regionalisierung des
russischen Raumes akzeptiert, andererseits für eine starke staatliche Ordnung eintritt.
Das muß nicht
schon wieder notwendigerweise im Entweder-Oder von Legalisierung der Mafia ODER Sieg des
"konstruktiven Kapitals" enden.
Wie genau es endet, ist in der Tat offen.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
In Gespraechen mit Russen wird von diesen immer gern
auf die US-Geschichte verwiesen: Dass
es irgendwann einen grossen "Deal" zwischen den
Organisationen und der Regierung gab, wo
alle bisherigen Besitztümer legalisiert wurden, gleichzeitig
aber für die Zukunft eine deutliche
Bekämpfung illegaler Aktivitäten angekündigt
wurde. Nur gibt es wohl kulturelle Unterschiede
zwischen der US- und der GUS-Gesellschaft. Kann es dort ähnlich
ausgehen?
Von: Ludger Wiedemeier
- Datum: 05.11.1998
Dieser Tatbestand deckt
sich mit Erfahrungen, die im Zuge von Wirtschaftsreformen in der
Volksrepublik China gemacht
worden sind.
Vor allem der Erfolg des Privatsektors
wird damit erklaert, das sich zuerst einmal
Besitztuemer angeignet worden
sind. Die Fragen des Eigentumsrechts wurden erst danach
erklaert. Die Finanzverfassung
hat es dabei aber auch erzwungen, das vorhandene
Investitionsgelder auch tatsaechlich
investiert worden sind, und nicht spekulativ verwendet
wurden.
Betreff: Zur Bedienung - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
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Betreff: Beitrag von Aleander Rahr und Philipp Pachomow - Von: Kai Ehlers - Datum:
05.11.1998
Alles Mafia? Und doch Hoffnung auf Entwicklung "konstruktiven" Kapitals?
Die zentrale These Ihres Aufsatzes ist sicher richtig: Liberalisierung = Anarchisierung
der kriminellen
Strukturen. Aber es wurde ja nicht nur die Mafia anarchisiert, es wurde doch die gesamte
Gesellschaft,
insonderheit der Staatsapparat anarchisiert. Der Staat zog sich aus seiner Verantwortung
zurück. Das
Zentrum kann seine über Jahrhunderte hindurch entstandene Funktion des zentralisierenden
Ausgleichs der realen Anarchie dieses ungleichmäßig entwickelten Raumes Rußland
nicht mehr
wahrnehmen. Die Lösung des Problemes liegt nicht in irgendeiner Art von - wie auch
immer weit
gesteckter - Bekämpfung der Kriminalität, sondern in einer Neugestaltung des
staatlichen
Selbstverständnisses Rußlands.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Damit wuerden Sie aber einer Art von Aufgabe von Moskauer
Zentralgewalt das Wort reden. !
Oder?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Anmerkung: Der erwähnte Beitrag von Rahr/Pachomov
ist wegen seiner Länge nicht in dieser
Konferenz abgelegt, sondern auf der Aurora-Seite. Es geht
dort um die historische Entwicklung
einer organisierten Kriminalität und deren Spaltung
in "Traditionalisten" (die bestimmte
"Vereinbarungen" mit dem Staat einhalten) und "Modernisten"
(die selbst politische Macht
anstreben).
Frage an Kai Ehlers: Wie sähe ein konsequent zuende
gedachter Entwurf dieser "Neugestaltung"
aus - und welche Rolle haben darin die "informellen
Organisationen"?
Betreff: Alltagsleben - Von: Corinna Weiss - Datum: 05.11.1998
Mich würde interessieren, wie sich die organisierte Kriminalität auf das
tägliche Leben der Menschen in
Russland auswirkt. Muss man sich das wie eine Art Bürgerkrieg vorstellen?
Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Die OK wirkt sich auf das Leben des Normalbürgers
kaum oder gar nicht aus. Problematisch wird
es vor allem dann, wenn man ökonomisch aktiv werden
will. Die meisten der Anfang der
neunziger Jahre gestarteten kleinen und mittleren Unternehmen
haben sehr bald Kontakt mit der
OK bekommen, wobei es sich i.a. um Schutzgelder gehandelt
hat.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Das ist eine Frage der Definition. Nach dem 2. Golfkrieg
stellten amerikanische Soldaten einen
Antrag auf "Extra Combat Pay" obwohl der Krieg
doch vorbei war. Sie waren auf dem Weg nach
New York wo wesentlich mehr Menschen im Rahmen der Kriminalität
ermordet wurden.
Ich denke mal dass das taegliche Leben des einzelnen durch
die Aktivitaeten zusaetzlich erschwert
wird. Da sich der einzelne aber auf das "Ueberleben"
selbst konzentriert, ist von dieser Seite, dies
ist vergleichbar zur Situation der Zivilbevölkerung
während Luftangriffen, nicht damit zu rechnen,
das die Zeit haben etwas gegen die Mafia zu unternehmen.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Im Alltagsleben ist der Einzelne weniger durch Straßenraub
o.ä. gefährdet als etwa in unseren
Großstädten. Von daher ist es umso wichtiger,
jeweils genau zu sagen, welche Kriminalität man
meint, anstatt in vornehmer Zurückhaltung nur in Andeutungen
zu reden. Gerade dieses Vakuum
wird ja in vielen deutschen Medienproduktionen zu Gruselbildern
verzerrt.
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Ich halte es für müssig, über den im Westen geprägten Begriff "Mafia"
zu reflektieren, weil diese Diskussion
zu keinem Ergebnis, aber zu vielen Emotionen führt. Dass sich solche Strukturen entwickeln
konnten ist
auch, vielleicht überwiegend, vom Westen verursacht. Illegaler Geldtransfer in Milliardenhöhe,
so er
denn wie allgemein behauptet stattfindet, ist nicht ohne Mitwirkung westlicher Strukturen
möglich.
Gleiches gilt für viele andere Bereiche dessen, was mit "Mafia" umschrieben
wird. Wenn westliche
"Berater" im rechtswidrigen Zusammenwirken mit russichen Strukturen für
Geldtransfers sorgen, sollten
gerade wir nicht mit dem Finger auf die "Mafia" zeigen.
Von: Fabian Weber - Datum: 05.11.1998
Herr Prof. Bergmann - könnten Sie einmal kurz an
einem praktischen Beispiel sagen, wie sich
eine "richtige" Rechtspolitik positiv auf das Geschäftsgebaren
russischer Unternehmer auswirkt?
Betreff: Aurora - Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Es ist sicher richtig, dass die aktuelle Problematik der zahlreichen offenen Machtfragen
auch die
längerfristigen Grundsatzfragen tangiert, aber nicht unbedingt überlagert. Allen
politisch Handelnden ist
klar, dass die grundlegenden Fragen
der Rechtsordnung vorangetrieben werden müssen. Deshalb sind alle grundlegenden Kodifikationen
der letzten Jahre (ZGB, GmbHG, AktienG, Reform des Strafrechtes) auch mit breiter DUMA-Zustimmung
ins Werk gesetzt worden. Fazit: Beratung macht Sinn, muss aber gleichermassen sensibel
wie
konsequent vorgetragen werden.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Dazu eine Frage nebenbei: Ist man als _deutscher_ Berater
da in einer anderen Position als die
Berater anderer Nationen, etwa der USA. - Und: Gibt es grundsätzliche
inhaltliche Unterschiede
zwischen US- und deutschen Beratern (wie das bei den Wirtschaftsfragen
durchaus vorkommt,
vgl. letzte Konferenz).
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Könnten Sie dieses Fazit etwas naeher erlaeutern.
Zur Thematik auslaendischer Beratung in Moskau ist mir bislang
immer die Position Prof. Karttes
bekannt, der in seinen Publikationen haeufig auf den großen
Einfluss amerikanischer Berater
hingewiesen hatte. !
Betreff: allgemein - Von: segbers - Datum: 05.11.1998
ich schlage vor, antworten zu sammeln zur frage, warum denn die befassung mit russischer
"mafia"
wichtig sein mag? welche erkenntnisse außer gruseln sind damit verbunden?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Eben, es geht ja auch um die "Rechtspolitik"
- und um die These, dass deren Genese und die
unter dem Schlagwort "Mafia" gehandelten Phänomene
in Beziehung zueinander stehen.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Eventuell die Erkenntnis, das die "westliche Defintion"
von Mafia schon nicht mehr weiterhilft,
wenn man das "vermeintliche oder tatsächliche"
Ausmass der Verbreitung mafiöser Strukturen
beobachtet.
Von: segbers - Datum:
05.11.1998
aber dann erneut: warum
ist denn das "ausmaß" von mafia dort so wichtig? warum nicht
institutionelle schwäche,
roving/ stationary bandits, interessenfragen, property rights
verteilungen usw.?
Von:
Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Weil
der Begriff Mafia mit einer bestimmten Definition belegt ist. Wuerden Sie mit
"Eigentumsfragen"
agrumentieren wuerden sich doch gleich die Frage nach der
Rechtmaessigkeit
der Enteignungen in Ostdeutschland aus der Zeit von 45 - 49
stellen.
Und damit die Frage nach der Rechtmaessigkeit der Politischen Klasse in
Deutschland.
Von:
Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Dass
nun gleich die ganze "Politische Klasse" Deutschlands thematisiert wird, ist
vielleicht
etwas weit gegriffen, und gehört auch nicht ganz ins Thema...
Von:
segbers - Datum: 05.11.1998
nein,
das ist nicht so politisch gemeint. es geht um die frage, ob/ wann, ab wann eine
fixierung
von verteilungsrechten möglich ist, und ab wann interessen über die jeweils
nächstliegenden
hinaus gesehen und verfolgt werden. das setzt eine gewisse phase
der
wilden bereicherung voraus, aber dann deren allmähliche konvertierung in
größere
rechtsicherheit. übrigens - heute nicht unbedingt auf dem territorium der
bisher
bekannten nationalstaaten.
Von:
Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Ließe
sich hier agrumentieren, das dieser Zeitpunkt genau dann auftritt, wenn diese
Interessen
zumindest mittelfristig konsolidiert und gesichert werden sollen, damit der
Besitz,
den man sich angeeignet hat, auch langfristig gesichert werden kann. Auf
diese
Weise lassen sich die Transaktionskosten der permanenten eigenstaendigen
"Diebesgut"-Verteidigung
senken.
Von: Josef Vielhaber,
Berlin - Datum: 05.11.1998
Gestern abend sagte mir
Lothar Späth nach einem Vortrag an der Freien Univers. Berlin
auf die Frage, warum sein dynamisches
Wirtschaftsimperium Jenoptik nicht mehr in
Rußland engagiert sei:
"wegen der Mafia... Wissen Sie, ich verliere dann einfach auch die
Lust an solcher Zusammenarbeit.
Wir würden da nur unsere Zeit verlieren. Ich glaube aber
schon, daß Rußland
s p ä t e r auch mal wieder ein interessanter Wirtschaftsmarkt wird". -
Zu klären sein könnte
m.E.: Ist "russische Mafia" ein Merkmal kultureller/sozialer Differenz
zw. Rußland und dem Westen
oder ein "normaler" Kriminalitätsfaktor oder/und schlicht
Sand im Getriebe der internationalen
wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit/ohne Rußland?
Gerade die vielfältigen
objektiven/subjektiven Dimensionen des Phänomens scheinen mir
reizvoll.
Von: Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Man sollte nicht allgemein von der "Mafia"
oder von organisierter Kriminalität sprechen - diese
Phänomene gibt es überall und wird es auch in Zukunft
geben. Für die politische Dimension und
für das Transformationsgeschehen ist es wichtig, nach
den Aktivitäten und den Zielen einer
spezifischen "System-Mafia" zu fragen, die es in
dieser Form nur in Rußland (und wohl in
anderen früher sozialistischen Staaten ) gibt. Mit meinen
Thesen habe ich versucht, dies
anzusprechen.
Von: Ludger Wiedemeier
- Datum: 05.11.1998
Wenn man nach den Zielen
der "System-Mafia" fragt, hilft es da weiter, westliche Vorstellungen
der Nutzen- und Profitmaximierung
heranzuziehen, oder beschraenkt sich dies letztlich auf
ein: "Zuletzt lacht der,
der zuerst schiesst"?
Von:
Bernd Knabe - Datum: 05.11.1998
Mit
"Nutzen" und "Profitmaximierung" kann m. E. in diesem Zusammenhang
nicht
operiert
werden - dies kann ich mir nur bei denjenigen vorstellen, die ihren
"Ausstieg"
aus dem "System" planen, wie z. B. Tarasow, der jetzt in London lebt. Bei
anderen
Repräsentanten des "Systems" dürfte es meist um
Investitionsentscheidungen
gehen, die nicht nur von ihnen selbst, sondern von
speziellen
Koordinatoren ausgehen. Die einzelnen Interessengruppen dürften sich
bei
den wichtigsten Entscheidungen weitgehend abstimmen. Mir ist klar, daß viele
Aussagen
in diesem Bereich spekulativen Charakter haben - das liegt aber in der
Natur
der Sache!
Betreff: Überlegungen zur "System-Mafia" - Von: Bernd Knabe - Datum:
05.11.1998
Überlegungen zur Genese und den Aktivitäten der "System-Mafia"
in Rußland
Politiker und Wissenschaftler stellen zunehmend Probleme bei der Transformation des politischen
und wirtschaftlichen Systems Rußlands fest, vom ursprünglichen Motto "Übergang
zu Demokratie und Marktwirtschaft" wird kaum noch gesprochen. Es werden "objektive"
Faktoren genannt, die diese Schwierigkeiten erklären sollen, dabei auch Phänomene
der Schattenwirtschaft und der allgemeinen Kriminalität, die dann aber oft als typisch
für die instabilen Verhältnisse einer Transformationsgesellschaft bezeichnet
werden.
Für das Verständnis der gegenwärtigen Lage wird das Wissen von der Existenz
und den Aktivitäten einer "System-Mafia" für unerläßlich
gehalten - im deutlichen Unterschied zu verschiedenen Formen der organisierten Kriminalität.
Eine solche System-Mafia hat es, freilich in sehr unterschiedlichem Umfang, während
der gesamten Periode des Sowjetsystems gegeben. Begünstigt durch die seit den sechziger
Jahren erfolgten Differenzierungen innerhalb der Nomenklatura der KPdSU scheinen mehrere
Gruppen der obersten Leitungsebene seit etwa 1988 zielstrebig Vorbereitungen für einen
Systemwechsel getroffen zu haben. Die zuständigen Behörden Rußlands haben
einen ausgezeichneten Überblick über das System der organisierten Kriminalität
ihres Landes. Sie verzichten aber auf ein konsequentes Vorgehen gegen dieses etablierte
System , da sie seine Führer als Partner im Kampf gegen die gewöhnliche Kriminalität
betrachten. Für diese "utilitaristische" Einstellung könnte man angesichts
der instabilen Lage Verständnis haben. Es geht aber seit etwa 1987/88 nicht mehr nur
um diesen Aspekt der Zusammenarbeit, sondern um Operationen, bei denen die Absicherung
ökonomischer Aktivitäten - im Auftrag oder im Interesse herrschender Eliten -
im Vordergrund steht. Die bekannte Wissenschaftlerrin und frühere Beraterin Jelzins
T. Saslawskaja erklärte in einem Interview, das die Moskauer "Literaturzeitung"
im Mai 1998 veröffentlichte:
"Gegen das gewöhnliche Verbrechen kann noch gekämpft werden. Aber es ist
unmöglich, gegen das Hauptübel zu kämpfen, die große Wirtschaftskriminalität.
Je bedeutender ein Wirtschaftsverbrechen ist, um so sicherer wird seine Untersuchung von
oben aufgehalten... Das ist ein System, das sich herausgebildet hat... Tatsächlich
basiert doch diese Oligarchie, basieren ihre Grundlagen auf unserer Staatsmaschinerie,
vor allem in den oberen Machtgruppierungen... Das Land wird wohl von ungefähr 1000
Menschen regiert, die sehr eng miteinander verbunden sind, die ihre Interessen schützen
und diejenigen bestrafen, die versuchen, gegen sie vorzugehen. Deshalb sehe ich keine Führungsperson,
die gegenwärtig das Land gegen den Willen und die Interessen dieser 1000 Menschen
regieren könnte..."
In dem kürzlich von den Moskauer Sozialwissenschaftlerrn L. Kosals und R. Rywkina
herausgegeben Buch "Soziologie des Übergangs zum Markt in Rußland"
werden Aktivitäten der Rechtsschutzorgane und der großen Monopolbetriebe folgendermaßen
skizziert: "Das reale Verhalten der Bevölkerung und der Machtorgane wird während
der Reform nur in einem bescheidenen Umfang durch Gesetze geregelt. Vor allem die herrschenden
Grupen sind an einer effektiven Arbeit des Rechtsschutzsystems nicht interessiert. Die
normale Arbeit der Gerichte, der Staatsanwaltschaft und anderer Organe würde die Hände
der Vertreter von Gruppen mit hohem Status im Kampf um die Verteilung und Umverteilung
des früheren sozialistischen Eigentums fesseln. Außerdem sind die Rechtsschutzorgane
selbst tief in wirtschaftliche Aktivitäten einbezogen und sind eines der wichtigsten
Subjekte dieser Aktivitäten im heutigen Rußland. Es gibt einen gewissen 'Sozialvertrag'
zwischen den 'quasiprivaten' Monopolen und den herrschenden Gruppierungen. In Perioden
relativer politischer Stabilität schließen letztere die Augen hinsichtlich der
Schattentätigkeit dieser Monopole - sie geben ihnen die Möglichkeit, relativ
gut zu existieren, indem sie de facto ihre Steuerlast senken und ihnen erlauben, rechtlich
fragwürde Zahlungen zwecks Aufrechterhaltung der soziopolitischen Stabilität
und des bestehenden Regimes, das seinerseits günstige Bedingungen für die Existenz
der Monopole schafft..."
In einem anderen, ebenfalls kürzlich in Moskau erschienen
Buch spricht Rywkina vom "tragischen Charakter der Transformation": "Der
tragische Charakter der Transformation der Gesellschaft Rußlands erklärt sich
durch die Taubheit der neuen herrschenden Klasse gegenüber den Interessen der Bevölkerung
und des Landes, durch die Verantwortungslosigkeit der neuen herrschenden Elite... Im Ergebnis
werden die begonnenen Reformen zur Arena des Kampfes verschiedener politischer Clans um
ihre Gruppeninteressen."
Betreff: Guten Tag - Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 05.11.1998
Herr Professor Segbers,
in einer der letzten Ausgaben der "International Business Week" konzentrierte
man sich im
Titelthema schon wieder auf die möglichen Nachfolger Jelzins. Luschkow bzw. Lebed.
Sieht man die
vergangenen Jahrzehnte, dann kann man immer wieder beobachten, dass politische Kreise im
Westen
meinten, Sie muessten nun die jeweils herrschende Person in Moskau unterstuetzen. Time
schrieb dies
sogar einmal ueber Stalin.
Frage: Kommen wir (im Westen) mit solchen Betrachtungsweisen eigentlich weiter. ?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Die Personendebatte wurde ja in der letzten Konferenz
schon geführt - ich moechte dafür
plädieren, hier wirklich auf die rechtspolitische Perspektive
zu fokussieren.
Von: segbers - Datum: 05.11.1998
das ist nicht ganz zum heutigen thema, aber dennoch:
nein. interessen müssen als solche
definiert werden, nicht immer direkt auf personen bezogen.
da derzeit in der RF wenig Herrschaft
herrscht, macht die unterstützung der jeweils scheinbar
herrschenden nicht so viel sinn, nicht
wahr? eine breitere kontaktstratgie wäre dringend nötig.
Betreff: Handlungsspielraum der Rechtspolitik - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 05.11.1998
Zum Einstieg eine Frage an Dr. Bergmann, der als juristischer Berater haeufig in
Moskau ist:
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage, gibt es fuer rechtspolitische Beratung
ueberhaupt einen Handlungsspielraum - wird nicht alles langfristige Denken von
aktuellen, draengenden Problemen ueberladen?
Betreff: Start - Von: Bernd von den Brincken - Datum: 05.11.1998
Herzlich willkommen zur 4. Internet-Konferenz des Aurora e.V. - Alexander Rahr von
der DGAP läßt sich
entschuldigen, er mußte dringend nach Berlin, hat aber einen aktuellen Text zum Thema
zur Verfügung
gestellt (in der Aurora-Seite, unter Rahr; www.kanka.de/aurora/konf4/mafia3.htm).
Ein Text von Dr. Knabe wurde eingesetzt in die "Interna" und wird auch hier erscheinen.
Von den anderen Teilnehmern bitte ich um einen kurzen Testtext, am besten in "Aurora-Interna"
(links
oben).
Von: Bergmann - Datum: 05.11.1998
Antwort: ich bin dabei das System zu erproben
Betreff: Login - Von: Segbers - Datum: 05.11.1998
Guten Tag.
Betreff: 4. Konferenz - Von: Edgar Franzmann - Datum: 02.11.1998
Viel Erfolg!