Protokoll der 3. Aurora-Konferenz vom 18. Juni 98
Hinweis: Neuere Beiträge erscheinen oben, Antworten sind jeweils eingerückt.
Die Links zu den Namen zeigen auf die email-Adresse des Absenders, sofern angegeben.
- Dank für Unterstützung an www.city-guide.de -
Konferenz/Conference (108) |
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Betreff: Konferenz - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 27.06.1998
Moderation: Die Konferenz wird nun geschlossen, sie wird archiviert und ist unter Aurora zu lesen.
Dort finden sich auch Links, Protokolle auf bisherige Konferenzen und aktuelle Hinweise.
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Nächste Konferenz: Rechtspolitik und Sicherheit in Rußland, Oktober 98
Betreff: zu Lebed - Von: Kai Ehlers - Datum: 20.06.1998
Alexander Lebed dürfte der Herausforderer für die Präsidentenwahl 2000 werden. Er selbst wirbt ja für einen "Dritten
Weg", eine "Dritte Kraft". Tatsächlich kann er sich auf das Bedürfnis vieler Menschen stützen, einen Weg zu finden,
der die Extreme der bisherigen Ergebnisse der Privatisierung zum einen und die der orthodoxen Antworten
Szuganows u.a. zum anderen vermeidet. Für Lebed spricht auch der Nimbus, den tschetschenischen Krieg beendet
zu haben für ihn wirkt seine Propaganda gegen die Mafia, die Korruption etc. Die sanfte Ordnungspolitik, die er
verspricht, hat Chancen gehört zu werden.
Dazu kommt, daß er mit seinem Antritt als Gouverneur von Krasnojarsk jetzt eine Region zum Ausgangspunkt
seines Feldzuges gewonnen hat, die stark ist. Regionen sind heute - wie bei Nemzow - generell die Platformen, von
denen her die neuen Kräfte wachsen. Das alles macht ihn für die etablierte Privatisierungselite der Generation der
Tschubajs und Freunde zum gefährlichen Gegner. Sollte Lebed stärker werden, werden sie vermutlich versuchen, ihn
zu stoppen. Das kann eine harte Konfrontation werden. Auf diesen Gang der Dinge wird zu achten sein.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 21.06.1998
Wie schloß doch noch Lebed seinen Vortrag hier in Bonn während seines Besuches im Januar vorigen
Jahres.
"Zuletzt lacht der, der zuerst schießt".
Betreff: Luderger Wiedemeier, Lebed schießt zuerst... - Von: Kai Ehlers - Datum: 21.06.1998
Lieber Ludger Wiedemeier, ich glaube nicht, daß Lebed zuerst schießen wird - eher steht zu
befürchten, daß eine solche Gestalt wie Lebed, der _aufräumen_ will, von denen im Lauf gestoppt wird,
die Interesse an dem Fortbestand der jetzt entstandenen Verhältnisse haben. Auf jeden Fall wird
dieses Rennen in der Zeit vor dem Abgang Präsident Jelzins äußerst "spannend". Man sollte genau
hinsehen, um nicht überrascht zu werden.
Betreff: Meine Beiträge - Von: Kai Ehlers - Datum: 20.06.1998
Hallo, liebe Mitdiskutanten.
Sorry für die Schreibfehler. Kann man sie korrigieren? Sonst schauen Sie bitte großzügig darüberhin. Auch die
Internet-Debatte muß ja erst gelernt werden. Jedenfalls gilt das für mich.
Danke für Ihre Nachsicht.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 20.06.1998
Sie lassen sich leider nicht korrigieren (im Forum), für die Druckausgabe erlaube ich mir aber bei
offensichtlichen Schreibfehlern einzugreifen. Es liegt bei diesem schnellen Schreiben auch in der Natur der
Sache - man _spricht_ ja auch nicht fehlerfrei...
Betreff: Fragen zur "Spilewiese" und Antworten auf Fragen - Von: Kai Ehlers - Datum: 20.06.1998
Hallo, leider komme ich etwas spät. Ich möchte mich aber zu den Fragen, die gestellt wurden noch äußern. Rußland
eine "Spielwiese", wie Frau Sabine Nuss es in die Debatte warf?
Spielwiese ganz sicher - insofern dort ein Prozess der Transformation nachholender, forcierter extensiver
Industrialisierung in eine zukünftige intensiv stattfindet.
Die nachholende Industrielialisierung ist an eine Grenze gestoßen, die sich kriesenhaft äußert.
Wie weiter also?
Die Sanierungs- und Entwicklungskonzepte des IWF etc. transportieren neoliberalistische Sanierungskonzepte in
den nachsowjetischen Raum, die im Westen selbst bereits nicht mehr zugelassen werden bzw. einfach durch die
faktische staatskapitalistische Wirtschaftslenkung überholt sind.
Wieso sollte das in Rußland funktionieren, was im Westen überholt ist? Und warum wird das dorthin transportiert?
Tatsache ist, daß die Privatisierung andere Ergebnisse als die erwarteten brachte: Nur Teile der Wirtschaft sind nach
privatkapitalistischen Prinzipien organisierbar, wie sich zeigt. In anderen erscheinen Formen einer, wie ich es nennen
möchte, kollektiven Privatisierung.
Historische Grundlage dafür sind die gewachsenen kollektiven Strukturen Rußlands, Stichwort bäuerliche
Dorfgemeinschaft, die als Industrie-Obschtschina in die Sowjetzeit überging und zum tragenden Prinzip des Staates
wurde.
Auf der Basis der gewachsenen kollektiven Strukuren Rußland entstehen im Zuge der Privatisierung Formen dessen,
was ich in Ermangeliung eines anderen Begriffes 'Kollektive Privatisierung' nennen möchte. Das frühere
Staatseigentum wird von Kollektiven angeeignet, die in sich patriarchal paternalistisch organisiert sind. Aktuueller
Ausdruck davon ist die Regionalisierung der letzten Zeit, in der sich Kommunen, Städte oder auch Regionen zu
neuen Wirtschafträumen zusammenschließen. Der frühere monolithische Staatskapitalismus differenziert sich so in
kleinere regionale Einheiten, die wiederum staatskapitalistisch, paternalistisch organisiert sind - aber unter
Einschluß der Aktivität von den jeweiligen regionalen, kommunalen oder dörflichen Basen her. Das ist ein Vorgang,
in dem andere Formen des Kapitalismus entstehen, als wir sie aus dem Westen gewohnt sind. - Ob dies gut oder
schlecht ist, ist nicht die Frage: es geschieht so.
So weit nur, weitere Aspekte dazu habe ich in meinem Buch 'Herausforderung Rußland' zusammengetragen.
Spielwiese heißt eben - da entsteht wirklich etwas Neues, noch nicht dagewesenes, was nicht nur den
nachholenden Industrialismus der UdSSR, sondern auch den Kapitalismus westlicher Prägung transformiert.
Betreff: Waiting for my man ... Kai Ehlers - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Moderation: Einige Fragen wurden an Kai Ehlers gestellt - wenn Sie online sind, bitte kurz eine Antwort an diesen
Text, damit wir die Fäden dann verfolgen können.
Von: Kai Ehlers - Datum: 18.06.1998
Hallo, guten Tag. Bin eingetroffen. Mein letztes Buch "Herausforderung Rußland - Vom Zwangskollektiv zur
selbstbestimmten Gemeinschaft" ist eine Bilanz der Privatisierung in Rußland. Ich komme zu dem generellen
Schluß, daß man der russischen Entwicklung nicht einfach den Hut westlicher Wirtschaftsvorstellungen
aufsetzen kann, sondern die konkreten gewachsenen Strukturen und Mentalitäten berücksichtigen muß.
In diesem Sinne möchte ich jetzt hier auch in die Diskussion gehen. Ich erwarte Fragen.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Interessant fand ich darin u.a. den Aspekt der "Obschtschina", der regionalen Firmenkooperationen -
das ist doch wirklich ein Beispiel für eine alternative Strategie, die auf Basis der regionalen
Bedingungen und der Mentalität der Menschen eine (für uns) neue Struktur vorstellt. Werden sie
fortbestehen? Sind solche Ansätze auf (West-) Europa übertragbar? Ein bißchen erinnerte es mich
auch an die "Freiwirtschaft" von Silvio Gesell und anderen.
Vorschlag: Mit einem "neuen Beitrag" antworten, der dann oben auf der Liste erscheint.
Betreff: Lebed - Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Wie ist eigentlich die Meinung der Teilnehmer zu Alexander Lebed. Seit seinem politischen Comeback vor einigen
Wochen ist er ja als Präsidentschaftskandidat fuer das Jahr 2000 im Gespräch. Ist Lebed was neues, oder doch nur
wieder "Alter Wein in neuen Schläuchen". Wobei die Neuen Schläuche nur mit IMF Krediten finanziert worden sind.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Die Frage wurde als Themenantrag für künftige Konferenzen vermerkt. - Es gibt im ürbigen ein Buch von
Lebed, das u.a. interessante Details der beiden Putschversuche bringt; und auch seine Vorstellungen zur
russischen Entwicklung.
Betreff: Strategiefrage - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Bevor sich die Themen verlaufen, ein Versuch der Fokussierung:
Welches sind die wesentlichen, in Zukunft relevanten STICHWORTE für die Entwicklung in den GUS? - Evt. als
in/out Liste, was ist 'in', was ist 'out'?
Von: Markus Dörr - Datum: 18.06.1998
Also gut ;-)
IN:
- St. Petersburg
- T-Shirts mit Moskauer U-Bahn-Plänen
- Pelzmützen (besser hier als dort zu kaufen)
- Puschkin Black Sun
OUT:
- Moskauer Yuppie-Discos
- Wodka Orange
- Gorbi-Sticker und andere Devotionalien
- alte 5er BMW (in Moskau)
Betreff: Wirtschaft und Sicherheit - Von: Dr.Friedhelm Krüger-Sprengel - Datum: 18.06.1998
Zunächst zur Person.Ich bin Sekretär des Mid Atlantik Clubs Bonn, der sich seit den 70iger Jahren wiederholt in
Diskussionsveranstaltungen mit den Beziehungen zur Sowjetunion und Rußland
befaßt hat.Unsere Mitglieder aus Industrieverbänden interessierte die wirtschaftslage und mögliche
Geschäftsbeziehungen, die Politiker die innere und äußere Sicherheit als
Rahmenbedingung.Daher meine Fragen and russischen Teilnehmer:
- Welche Rolle spielen die Streitkräfte und die Rüstungsbetriebe für die russische Wirtschaft?
- Wie kann westlichen Vertretungen besserer Schutz vor Erpressungen geboten werden?
Die nächste VeranstaLTUNG DES MAC Bonn am 17.September wird sich mit dem Verhältnis Rußlands zu den
baltischen Staaten befassen. Bereits bei der Vorbereitung wurde deutlich, daß ohne garantierte inner und
internationale Sicherheit die wirtschaftliche Entwicklung gehemmt ist. Gilt dies letztlich nich auch für die
ausländischen Investitionen in Rußland? Kann das Verhältnis Rußland zum westen und zur Nato dadurch vebessert
werden, daß für den Bereich der neuen NATO, d.h.für alle Fragen der internationalen Zusammenarbeit mit Ausnahme
der kollektiven Verteidigung ein Vertrag geschlossen würde, der Rußland für die Friedensaufgaben der neuen NATO
volle Gleichberechtigung mit allen Bündnispartnern geben würde?
Summary
My contibution is presented in my capacity as secretary of the Mid Atlantic Club Bonn. The organized since the
70ies meetings and discussions
on the former Soviet Union and Russia.One often discussed subject centered on economy and inner and outer
security.National and international security aspects have been put forward as a precondition for financial engagement
and investments.From this background following questions arise:
-Which role has the Russion army and the armaments industry in the Russion economy?
-how can foreigen businees establishments be protected from attacks and illegal pressures?
The MAC Bonn will discuss the relationsship between Russia and the Baltic States in September.
The preperatory considerations show that the economis development in these countries depend to a large degree on
the conditions for national and international security.May be an improvement might be possible via an agreement
between Russia and the Western stats(NATO) which would grant Russia full rights and equal status with respect to
issues of the new NATO, namely peace operations and international security measures accoerding to the United
Nations Charta.
Betreff: Verabschiedung - Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Kartte an alle:
Für heute verabschiede ich mich von allen Gesprächspratnern mit herzlichen Dank für ihre Beiträge und Glück auf für
Aurora!
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Vielen Dank soweit nach Berlin - nach Abschluß der Konferenz wir Ihnen (wie den anderen Teilnehmern) noch
ein Protokoll zugesandt.
Betreff: mittelstand - Von: ute weinmann - Datum: 18.06.1998
In welchen Bereichen soll sich der Mittelstand denn betätigen bzw. wo hätte er denn überhaupt Chancen, um sich
durchsetzen zu können(auch gegenüber der westlichen Konkurrenz und auch auf dem russischen Markt)? Wären
dazu nicht immense Mittel erforderlich, die niemand zu geben überhaupt in der Lage wäre? Es ist ja vielleicht ganz
schön, daß immer wieder einzelne Regionen zu sog. Modellregionen erklärt werden (wie in diesem Fall Vladimir),
aber als Finanzierungsmodell für das gesamte Land scheint uns das in seinen Erfolgsaussichten utopischer als die
Einführung des Kommunismus?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Landwirtschaft ist doch Mittelstand?! Wenn ich in den gut gefüllten Supermärkten z.B. in Moskau sehe, daß
90% der Lebensmittel aus (West-) Europa importiert werden, scheint mir doch die Lebensmittelproduktion
(noch) nicht richtig zu laufen. Könnten sich hier nicht Investitionen schnell auszahlen, wenn auch im jeweils
kleinen Maßstab?
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Landwirtschaft setzt aber auch Infrastrukturen voraus. Paradoxerweise ist es ja immer noch so, bzw.
hat sich noch mehr verschlechtert, das die Transportprobleme auf russischen Wegen bestehen. Damit
ist es schlicht einfacher, Waren per Schiff nach St. Petersburg einzuführen, bzw. nach Moskau
einzufliegen. Daneben behindert die Bodenpolitik der Regierung/Duma, in erster Linie die
Landwirtschaft.
Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Es gibt bereits deutsche Mittelständler, die erfolgreich in Rußland investiert haben. Zum Beispiel die Gebrüder
Knauf (Iphofen) in Baustoffproduktion und Stollwerk in Schokolade. Zuerst muß man sich eine geeignete
Region aussuchen, wobei die Nähe zum größten Absatzmarkt Moskau günstig ist. Die einzelnen Regionen
geben unterschiedlich hohe Zuwendungen an investitionsbereite Mittelständler. Auch das muß vor Ort eruiert
werden. Im Schnitt muß der Mittelständlich mindestens fünfmal nach Rußland reisen, bevor er den richtigen
Standort herausgefunden hat.
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
Ich denke, der ewige Versuch, Rezepte auf die russische Ökonomie anzuwenden, die selbst in westlichen
Ökonomien zweifelhaften Erfolg haben und das unter Anwendung von Wirtschaftstheorien, deren behauptete
Kausalität auch in der Wissenschaft umstritten ist, stellt ein Grundproblem der Debatte dar. Insofern gilt die
Aussage, "Spielwiese Russland" ironischerweise gerade für die dort seit 1991 versuchsweise und vom
Westen verordneten implementierten wirtschaftspolitischen Instrumente. Das mit der Utopie ist daher ganz
richtig, allerdings kann sie niemand so recht benennen. Was ist denn das konkrete Ziel für Russland,
welches hier offensichtlich von jedem Einzelnen immer impliziert wird, wenn er vom "Übergang" redet?
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Nein. Sorry. Spielweise impliziert Handlungsvarianten und Steuerungsoptionen. Die gab es - fast -
nicht. Sie zu behaupten, ist ein Hobby im Westen und von Enttäuschten in Rußland. Das hat auch
alles wenig mit Wi-Theorien zu tun, da die kaum handlungsleitend sind. "Vom Westen verordnet" -
mein Gott. Hier sehen Sie zu viel masterminded plans und Strategien, die es ebenfalls kaum gab.
Vieles, das meiste "geschah" aufgrund konkreter Spielzüge der jeweils relevanten Akteure dort. wir
müssen uns im Loben wie im Schimpfen da mehr raushalten. Und wir können das auch.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Bei soviel pragmatischer Weisheit möchte ich doch einmal eine Frage (aus der
Pressemitteilung) an Sie stellen: Was bringt Menschen dazu, sich irgendwie
zusammenzuschließen und eigenverantwortlich zu handeln? Welche Formen derartiger
Zusammenschlüsse in einer Gesellschaft sind optimal im Hinblick auf einen Indikator wie
"Bruttosozialprodukt"?
Derartige Fragen sind genauso im Westen nicht beantwortet und ich denke, daß sich aus den
russischen Prozessen hier wirklich _neue_ Einsichten ergeben.
Rußland wäre dann ein _Anlaß_, die Unkenntnis der Mechanismen erst einmal anzuerkennen,
aber dann auch (dort) etwas Neues zu entwickeln - theoretisch UND praktisch.
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
"Spielweise" ja, habe ich mich vertippt? (Ich meinte Spielwiese). Worauf basiert zum Beispiel
Geldmengenpolitik (den Lombardsatz auf 150 Prozent hochsetzen, das ist doch ein konkreter
Schritt, der sich eine Wirkung erhofft, die nur einer Theorie entnommen werden kann -
ursprünglich -, oder?)
"Vom Westen verordnet" klingt wirklich erst mal nach einer Phobie, ist gar nicht so gemeint.
Soweit ich mich erinnere, war es 1991 eine ausführliche Studie vom IWF, die
wirtschaftspolitische Handlungsanweisungen gegeben hat, die zum Teil auch so durchgeführt
worden sind. Dazu kann Herr Ehlers vielleicht mehr sagen, ich habe das (u.a.) seinem Buch
entnommen. Sicherlich ist die reelle Umsetzung natürlich weisungsungebunden und passiert
autonom. Und was die einzelnen Akteure dann realisieren und schieben, steht auch noch mal
auf einem anderen Blatt. Es geht mir nicht um normative Ratschläge an Russland (daher auch
weder Lob noch Tadel...), es geht mir um den Mangel an Analyse bei der Untersuchung der
Einführung von Marktwirtschaften.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Die Mechanismen im Finanzbereich gelten wohl als weitgehend verstanden, vielleicht ist das
auch der Grund, warum man _darüber_ die Entwicklung zu steuern versucht.
Zum Mangel an Analyse: Als Berater für Computerei in der Wirtschaft (SAP) wage ich zu
behaupten, daß auch die Analyse der VORHANDENEN (Markt-)Wirtschaft noch nicht ganz
vollzogen ist...
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
sorry, daß das nicht so rüber gekommen ist: Genau das ist es, was ich meinte.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Naja, das Ziel ist wohl erst einmal ganz banal, daß die Wirtschaft dort wächst, sodaß sie mehr
unserer Waren kaufen können und der Wohlstand hier wie dort steigt (die Arbeitsplätze und andere
Indikatoren ebenso).
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
Dann scheint das Ziel doch erreicht zu sein. Die Arbeitslosenquote nach Goskomstat liegt in
Russland bei 2,9 Prozent (gut, die ILO schlägt da noch mal einige Prozent mehr drauf, aber
irgendwie beschäftigt sind eine Menge Menschen), es findet durchaus Waren-Tausch statt,
wenn nicht unbedingt flächendeckend über einen Markt vermittelt (Tausch!)...also: Wieso dann
noch die Rede von "Übergang" und nicht von einem "Status-Quo", dessen Wirken und
Auswirken sich unseren Meßkriterien entzieht? Lassen wir doch tauschen und
Subsistenzmöglichkeiten finden, die mit unseren nicht viel gemein haben. Was spricht
dagegen?
Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Kartte an Weinmann:
Natürlich ist der Fall Wladimir nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gute Beispiele können aber Schule
machen. Die Landesbank Berlin verzichtet im Fall Wladimir auf jegliche staatliche Absicherung von deutscher
oder russischer Seite.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Es wären nicht zwangsläufig unermeßliche Mittel erforderlich, um in Rußland zu Ergebnissen zu kommen.
Der Marschall Plan hat dies ja gezeigt.
Das Problem ist vielmehr die Inkonsistenz der Politik als solcher.
- Da fördert man einmal die Ansiedlung von Mittelständlern und/oder Produktionsanlagen nur um dann den
Verkauf/Export dieser Produkte gleich wieder zu erschweren.
Und hier spreche ich keineswegs nur von der russischen Seite. Vielmehr sind die nichttäriffären
Handelshemnisse der Europäischen Union hier auch zu nennen.
Von: Harms - Datum: 18.06.1998
Harms an Wiedemeier:
Rußland ist mit seinem gewaltigen Binnenmarkt (150 Mio. Verbraucher + andere GUS-Republiken)
nicht existentiell auf den Export angewiesen. Die Hauptaufgabe besteht darin, die Binnennachfrage
nachhaltig zu stärken. Bzgl. der Inkonsistenz der Politik stimme ich Ihnen zu. Natürlich braucht
Rußland auch exportfähige Waren, um diese Branchen als Motor der russischen Wirtschaft zu nutzen.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Natürlich nicht, doch muss auch Russland seinen Schuldendienst in Devisen tätigen. Diese
Devisen lassen sich auch nur im Export verdienen. Und damit schließt sich dann wieder der
Kreis. Die Grösse des Binnenmarktes allein ist da nicht der einzige Faktor. Rußland kann ja
schließlich nicht nur vom Export von Rohstoffen leben. Dann waere Rußland auf lange Sicht hin
als Entwicklungsland zu bezeichnenen. Mit allen damit verbundenen Konsewquenzen.
Betreff: Ergänzung zu Wladimir - Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Ausgesucht werden die russischen Empfänger des Venture-Capital der Landesbank Berlin von einem
russisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmen namens WITZ, das mit Hilfe des Transform-Programms der
Bundesregierung von Technologiezentren in Dortmund und Berlin entstanden ist.
Wer in Rußland investieren will und nicht über entsprechende eigene Apparate verfügt, sollte sich zuerst mit dem
Kooperationsbüro der Deutschen Wirschaft in Berlin, am bestem mit seiner sehr munteren Chefin, Frau Dr. Beatrice
Kühne in Verbindung setzen. Frau Kühne wollte mich daran hindern, das zu schreiben, aber der Wahrheit muß man
die Ehre geben!
Betreff: English visitors? - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Moderator: Up to now the conference has been conducted only in german because there seemed to be no english
speaking visitors. - If there are any out there please reply (ANTWORT) to this message! (so we would focus more on
the translation...)
Betreff: Zwischenbilanz - Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Die Mischung aus desaströsen Erwartungen/ Befürchtungen, optimistischen Verkennungen und Realismus ist oft
nicht abgewogen genug.
Alles in allem können wir eine Reihe von recht soliden Feststellungen treffen, nach zehn Jahren raschen Wandels in
der RF:
1 Es gibt keinen veränderungsresistenten russischen Nationalcharakter. Wenn das institutionelle Umfeld stimmt, ist
Initiative, und viel davon, möglich.
2 Eine gemäßigte makroökonomische Stabilisierungspolitik, wie sie i.w. verfolgt wird, ist erfolgreich. Sie muß (und
wird) mit ständigem Nachsteuern und bargaining verbunden sein. Und daß trotz geringer institutioneller
Steuerungsmöglichkeiten.
3 "Demokratie" im Sinen formaler Regeln und Prozeduren, und überwiegend auf Parteien und Wahlen bezogen, ist
erstmal nachrangig. Dagegen sind breite Kommunikationsräume und Minderheitenschutz vorrangig.
4 Die Installation von designer-Kapitalismus und nostalgischen "Dritten Wegen" ist gleichermaßen abwegig. Hier
denken sich manche eine Spielwiese für Strategien, mit denen sie bereits im Westen gescheitert sind. Dagegen
verwehren sich in der RF, zu Recht, viele.
Alles in allem - eine gemäßigte success story. To be continued.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Genau, als Mit-Initiator des Konferenz-Themas fühle ich mich angesprochen. Ich will die Spielwiese! - Es gibt
Strategien, die noch nicht gescheitert sind, weil sie noch gar nicht erprobt werden konnten. Es gibt eine
Entwicklung (überhaupt, planetarisch gesehen). Es gibt - vor allem - KONTINGENZ (Begriff, den Niklas
Luhman gern verwendet: Die Aussicht und Chance, das etwas passieren kann, was jetzt noch nicht bekannt
ist). Das sehe ich schon in Rußland.
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Ja, richtig, das geschieht auch dort, laufend. Aber das machen die schon selbst. Vor allem in der
jungen Generation. Und nicht nur in den Hauptstädten. Westler sollten ihre Kreativität und Phantasie
zunächst auf die eigenen Umstände richten. Spielwiesen sind besser in der Nähe als in der Ferne zu
pflegen. Meine Skepsis zielt auf die ständigen Exportphantasien hier nicht realisierter (realisierbarer)
Projekte.
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
An dieser Stelle: Wo ist Kai Ehlers? Er könnte dazu sicher etwas sagen, mit seiner These von
der bäuerlichen Landgemeinde als Keimzelle künftiger neuer Organisationsstrukturen. Wenn ich
das richtig verstanden habe...
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Habe gerade mit Ehlers telefoniert - aus technischen Gründen verschiebt sich seine Teilnahme
auf 16:30 - genau diese Sache wollte ich ihn auch fragen...
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Zustimmung. Aber heisst das nicht auch, das "wir Westler", im Grunde ratlos dastehen und
auch nicht weiter wissen. Reden wir nicht im Grunde einer Art von "Bankrotterklärung" das
Wort, wenn beispielsweise chilenische Methoden zur Reformierung von
Rentenversicherungssystemen in die Diskussion kommen. Wo ist die Führerschaft des
Westens, "die Neue Weltordnung", wenn der "Westen" keine Vorstellungen über die Lösung der
Probleme ausgangs des 20. Jahrhunderts hat.
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
Etwas sehen, was noch nicht bekannt ist? Das kann nur eine Idee von etwas sein (da es ja noch nicht
bekannt, aber bereits sichtbar ist). Wie sieht diese Idee konkret aus?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Das wäre ein neues Thema. Aber kurz: In dem Kontext von Kultur-Wirtschaft-Identität gibt es,
auch im Zusammenhang mit der Mentalität der Menschen, Wirtschaftsstrategien, die _bewußt_
(d.h. auch: theoretisch) noch nicht benannt oder in expliziter Form realisiert wurden.
Dazu ein Link auf ein Gespräch mit Pavel Pepperstein, einem Vertreter der "neuen Moskauer
Konzeptionellen Schule" (in der Kunst, aber wie gesagt...):
http://www.kanka.de/tangram/pp_b1.htm
(in englisch).
Betreff: Hinweis: Neue Beiträge - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Die Vielzahl der Themen erschwert jetzt langsam die Übersicht - unter dem Link "Neue Beiträge" (links oben)
bekommt man eine Liste selbiger, nach Uhrzeit sortiert!
Betreff: Mittelstand - Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Ohne einen breiten Mittelstand wird Rußland nicht auf die Beine kommen. Leider ist dieses Bewußtsein bei den
russischen Banken, auch bei der Sber-Bank , noch nicht lebendig. Der Mittelstand braucht aber Kreditinstitute, die
ihn finanzieren. Gerade beim Mittelstand ist die Eigenkapitalquote bekanntlich sehr gering. Alle europäischen Länder
verdanken ihren Wohlstand in erster Linie ihren mittelständischen Unternehmen. In Deutschland stellen die
mittelständischen Unternehmen mehr als 50 % der Arbeitsplätze und fast drei Viertel der Ausbildungsplätze zur
Verfügung.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Das aber ist ein Problem, das nicht nur auf Rußland beschränkt ist. Mittelständische Unternehmen und
Existenzgründer haben auch hier einiges an Schwierigkeiten, an finanzielle Mittel zu kommen. Vorgestern
fand hier in Koeln im Rahmen des Medienforums eine Veranstaltung zum Themenkomplex "Venture Capital"
statt. Was dort wieder an schoenen Beispielen gebracht wurde, wo Mittelständler Aufträge hatte, expandieren
wollten und dann doch kein Geld von ihrer Bank bekamen.!!
Da sind russische und deutsche Erfahrungen wohl nicht so weit voneinander entfernt. Aber von da aus ist es
auch nicht so weit bis zum Monopolisierungsgrad russischer Unternehmen.
"Der Deibel kackt immer auf den groessten Haufen".
Von: Kartte / Harms - Datum: 18.06.1998
Praktische Mittelstandspolitik betreibt die Landesbank Berlin in der Provinz Wladimir (im Goldenen
Ring Moskaus). Die Landesbank Berlin hat zunächst 1 Mio. DM bereitgestellt. Mit diesem Geld sollen
russischen Mittelständlern, die mit deutschen Unternehmen kooperieren oder von deutschen
Lieferanten Maschinen beziehen wollen, das erforderliche Startkapital als Beteiligungskapital zur
Verfügung gestellt werden. Da russische Banken die Mithilfe verweigert haben, wird dieses Geld ohne
Zwischenschaltung einer russischen Bank direkt an Venture-Capital ausgezahlt. Die ersten beiden
Empfänger stehen bereits fest und werden am 6. Juli 1998 in Wladmir im Rahmen einer Feierstunde
ihre Beteiligung erhalten.
Von: Harms - Datum: 18.06.1998
Venture-Capital ist wirklich ein sehr wichtiges Problem. Leider zielen die meisten westlichen
Förderprogramme auf Beratungshilfen und nicht auf Bereitstellung von Investivkapital. Osteuropa
ist "over-consulted and under-funded". In Rußland wird aber erst dann in den realen Sektor
investiert, wenn die Zinsen am Kapitalmarkt zurückgehen.
Betreff: Offene Fragen - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Moderation: Es sind noch offene Fragen von _Jürgen Bruchhaus_ und _Sabine Nuss_ (an Kartte) - bitte weiter unten
nachlesen.
Betreff: Lipsits - Von: Trouchkine Igor - Datum: 18.06.1998
Gospodin Lipsitz, tolko vperöd! Moi anglijskij tozhe ne ochen. Glavnoe - uchastie!
V konze konzov ved ne posadjat zhe nas za plohuyu grammatiku!
Pishite klyuchevymi slovami - vas poimut!
Pervyi vopros: kogda poyavitsja v Rossii i SNG sredniy klass, k kotoromu budet prinadlezhat bolshaya polovina
naseleniya?
Otvet, pozhalujsta, na anglijskom.
Von: Trouchkine - Datum: 18.06.1998
Also das war jetzt Russisch mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Die kirillische Tastatur steht in Kölner
Future Cafe nicht zu verfügung.
Egal wie, aber die Kommunikation muß funktionieren!
Betreff: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Rußland - Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Fast wichtiger als wirtschaftsfreundliche Gesetze ist eine funktionierende staatliche Verwaltung. Rußland hat keine
bürgerliche Vergangenheit und daher auch keinen Beamtenapparat, der mit liberalen Gesetzen umgehen kann. Hier
ist Geduld nötig.
Die russischen Staatsmonopole wurden nicht aufgelöst, sondern sind großenteils in private Monopole überführt
worden. Hier liegt eine wichtige Aufgabe für eine wirksame russische Anti-Trust-Politik. Werden die Russen die Kraft
haben - wie die Amerikaner, die 1892 als Staatsnotwehr gegen die Monopolisten Rockefeller und Carnegie den
Sherman-Act erlassen haben?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Hinweis: Von Prof. Kartte ist eine längerer Text zu diesem Komplex online: www.kanka.de/aurora/kartte ("Die
soziale Marktwirtschaft als Reformmodell für Osteuropa?").
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Der Bedarf an Geduld ist hoch - keine Frage. Davon gibt es "im Westen" viel zu wenig. Diese stänmdige
Neigung, die Vorgänge in der RF als "Reformen" und als falsch- und fehlorganisiert zu verstehen, anstatt die
strukturellen Bedingungen in den Blick zu nehmen.
Mit den Monopolen stimme ich auch zu; obgleich es verschieden ist - der Ölsektor ist nicht (mehr)
monopolistisch, Gazprom dagegen noch sehr. Die Strategien einer effektiveren staatlichen Verwaltung
müßten sich darauf je einstellen.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Meines Erachtens wird das dann möglich sein, wenn in Russland der Zarenkomplex überwunden ist.
Solange man in Moskau glaubt, das man vom Kreml aus ganz Rußland regieren könne, (eine Vorstellung, an
der schon die Zaren gescheitert sind) wird nicht die Kraft bestehen, gegen die Monopolisten vorzugehen. Zum
einen ist es auch fuer westliche Verhandlungspartner einfacher, zum anderen führt die Auflösung von
Monopolen ja auch zum Macht und Kontrollverlust.
Von: Gisela Neunhöffer - Datum: 18.06.1998
Wer sind denn in diesem Fall "die Russen"? Die Regierung, die Privatmonopolisten selber oder gar "das
Volk"?
Und ist die Situation in USA Ende des 19.Jh. der in Rußland Ende des 20.Jh. so ähnlich, daß die gleichen
Rezepte greifen können.
Und schreitet die Monopolbildung in Westeuropa und USA heute nicht tendenziell weiter fort...
But who are in this case "the Russians"? The Government, the monopolists themselves or even "the people"?
Is the situation in USA at the end of the 19th century really comparable to the one in Russia at the end of the
20th?
And isn't the monopolization in western Europe and the US nowadays growing...
Betreff: Stimmungslage - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Frage an Michael Harms: Da Sie regelmäßig mit deutschen (potentiellen) Investoren sprechen - wirken sich Wechsel
in der politischen und wirtschaftlichen Stimmungslage in Moskau merklich auf das Interesse der deutschen
Wirtschaft an den GUS aus?
Von: Harms - Datum: 18.06.1998
Nach meiner Erfahrung hat die Änderung der politschen "Großwetterlage" in Moskau kaum Einfluß auf
deutsche Investitionsentscheidungen. Wichtiger sind die konkreten Rahmenbedingungen (Gesetze, Steuern,
Zölle) und die politischen Entscheidugsträger vor Ort (Gouverneure).
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Ja. Plus die (Un)Fähigkeit deutscher Unternehmer, sich auch auf informnelle Regime und
Lösungsmöglichkeiten einzulassen. Wer dazu bereit ist, kommt oft recht weit.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Hmm, "informelle Regime", hört sich nach einer Umschreibung dessen an, was in hiesigen
Medien mit dem italienischen Wort "Mafia" bezeichnet wird?
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Auch das. Anders geht es unter diesen Umständen eines äußerst gedrängten, akzelerierten
Wandels nicht. Ein erheblicher Teil der sog. "Mafia" ist aber konvertierbar, wie es im
Quattrocento geschah, mit den Fuggers, in den USA usw. Eine vernünftig kinzipierte Amnestie
für klar definierte Tatbestände und zu klaren Bedingungen wäre wohl nötig.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Zum dem Thema "Mafia" gibt es meiner Ansicht nach auch ein Theoriedefizit, aus
soziologischer und wirtschaftstheoretischer Sicht. Zur Illustration: Ein hochrangiger russischer
Politiker wurde neulich zitiert, als er sich beschwerte, daß "40.000 russische Unternehmen mit
der Mafia zusammenarbeiten". - Wieviele bleiben dann übrig?
Von: Harms - Datum: 18.06.1998
Leider wird der Begriff "Mafia" in Deutschland oft überstrapaziert. Wirklich kriminelle Strukturen
machen nicht mehr als höchsten 5% der russ. Wirtschaft aus und konzentrieren sich zudem
auf spezifische Bereiche (Spielhallen, illeg. Alkoholproduktion etc.). Wenn man allerdings vom
"grauen Markt" (informelle Verbindungen mit dem Staatsapparat und keine Steuerzahlungen)
spricht, so ist dieser Anteil wesentlich höher (20-30%). Was die Fähigkeit deutscher
Unterenehmen betrifft "informell" tätig zu werden, bin ich wesentlich optimistischer als Sie, sehr
geehrter Prof Segbers. Die Höhe der steuerlich absetzbaren "n.A.'s" (nützliche Abgaben) ist im
Rußland-Geschäft sehr hoch.
Von: segbers - Datum: 18.06.1998
Sorry, das ist alles westliches (und z.T. russisches) Gruselgerede. Ein "ordentliches"
Wirtschaften im Dienste einer feinen, ampelgeordneten Transformation ist so weltfremd, daß
man (ich) diese Fehl-Erwartung bald nicht mehr hören mag.
Wenn es denn der Nischennutzung, der Anpassung, der Entwicklung usw. dient, und halbwegs
zivile Verkehrsformen akzeptiert, soll der Rest der Aktivitäten verschattet oder mafiös sein.
Hauptsache, es kommt voran.
Betreff: Tschubais - Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Kartte: Gaidar und Tschubais haben eine herausragende Rolle bei der Geburt der russischen Marktwirtschaft
gespielt ( Preisfreigabe Anfang 1992 und Beginn der Privatisierung im Sommer 1992). Die russische Marktwirtschaft
bedarf jetzt der Konsolidierung. Dafür bedarf es nicht der "reinen Lehre", sondern einer sozial verpflichteten
Marktwirtschaft.
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Es bedarf vor allem keiner großen Prinzipien und Worte. Viele Schritte sind nötig, um einen sehr schwierigen
Aushandlungsprozeß in die richtige Richtung weiterzuführen.
Am schlimmsten ist es, westliche Schlachten, die schon heir zu nichts geführt haben,am Beispiel Rußlands
zu wiederholen.
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
Herr Professor Kartte, Sie haben 1994 in einem Interview mit der WELT in Bezug auf "Korruption und Betrug"
in Russland gesagt: "Jede Marktwirtschaft fängt eben auch mit Ganoven an - in Amerika ist die
Marktwirtschaft mit dem Colt und der Winchester eingeführt worden....es gab in den USA Verbrecherfamilien,
die stellten dann irgendwann die Präsidenten." Ist es - um beim Vergleich zu bleiben - dann nicht noch etwas
zu früh, um nach der sozialen Marktwirtschaft zu rufen? Stimmen Sie dann auch der Theorie der
ursprünglichen Akkumulation zu, die gerne bemüht wird, um die gegenwärtige Akkumulation ohne
Investitionsgrundlage (reines Handelskapital) zu erklären?
Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Kartte an Nuss:
Ich sagte schon, daß wir mit Rußland Geduld haben müssen. Ich bin Ihrer Meinung, daß die
Verteilung der "Beute" aus dem Zusammenburch der alten SU in Rußland noch nicht ganz
abgeschlossen ist. Erst dann stellt sich die Frage der Konsolidierung. Die Regierung täte gut daran,
schon jetzt eine Zerschlagung der alten, jetzt privaten Monopole ins Auge zu fassen. Auch ohne
Sozialpolitik (Streiks!) wird man schon jetzt nicht auskommen.
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
An Sabine: Herr Kartte hat Recht, mit der Beute. Die Neigung zur Bereicherung läßt sich nicht
vermeiden und kaum abkürzen. Allenfalls zivilisieren. Bei gegebenen Umständen. Geduld und
Kreativität sind wichtiger als Zeigefinger.
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
An Herrn Prof. Segbers: Eine von Herrn Kartte geforderte Sozialpolitik mag eine richtige
Forderung sein, greift aber ins Leere, wenn man außer Acht läßt, auf welch ökonomischer
Basis eine Sozialpolitik überhaupt nur machbar ist und schließlich gewollt wird. Gibt es diese
Basis auch nur in Ansätzen in Russland? Und: Sozialpolitik steht inzwischen auch in
westlichen Staaten auf dem Prüfstand...
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Wo Sie Recht haben, haben Sie es.
Ansätze gibt es. Aber sie müssen sich einem kaum rasch aufzudröselnden Geflecht aus
normativen Vorgaben, regionalen Regimen, informellen Prozessen widmen. Und der Aspekt der
Krise sozialer Sicehrung im OECD-Raum ist ein äußerst wichtiger. Auch hier: state failure in
progress...
Von: Sabine Nuss - Datum: 18.06.1998
Das Geflecht aus normativen Vorgaben mag ein Hemmnis sein für den raschen Transfer von
Zuwendungen. Angenommen, dieses Hemmnis wäre weg: Gäbe es denn dann ausreichend
Volumina für Soziales zu transferieren?
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Das Problem sind schwach oder un-koordinierte Normen (Zentrum - Regionen - Kommunen),
Kassen (staatliche Budgets, Pensionsfonds, andere Transferfonds), zahlreiche infornelle
Regelungen und Institutionen usw. Das Festjalten am offiziellen Arbeitsplatz, von dem man
läöngst nicht mehr lebt, wegen bestimmter, oft marginaler sozialer Ansprüche, daraus viel
angeblich verdeckte, tatsächlich so beabsichtigte Arbeitslosigkeit und das Zögern, Betriebe
härteren Budgetschranken auszusetzen. Es gibt nicht den einen Faden, an dem man ziehen
müßte. Es braucht im Grund ähnliche Kreatitivität, wie auch bei uns. Und die Mögliochkeit, das
politisch durchzusetzen gegen mächtige Anti-Veränderungs-Koalitionen.
Und: Zum Glück stirbt ha heute niemand wirklich wegen nackter Arnut in Rußland. Die
Informalität vieler Beziehungen ist hier wein Vorteil. Bevor nicht effektive Netze gespannt werden
können, sollte die bsser erhalten bleiben.
Betreff: Bedienung - Neue Fragen - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Kleiner Hinweis an die Teilnehmer: Bitte blättern Sie gelegentlich nach unten, um ggfs. neue Fragen (zu Ihren 'alten'
Antworten) zu sehen!
Betreff: Teilnahme - Von: Kartte, Harms - Datum: 18.06.1998
Prof. Kartte und Michael Harms sind anwesend und bereit in die Diskussion einzugreifen!
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Herr Professor Kartte,
die FAZ hat heute einen Artikel ueber die Entwicklung der Sonderwirtschaftszone Kaliningrad/Königsberg.
Wie bewerten Sie diese Entwicklung. Die Diskussion darueber laueft ja mittlerweile schon seit fast zehn
Jahren. Geht es dort (langsam und allmaehlich) mal voran.
Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Wir sollten aufhören, Kaliningrad (als früheres Königsberg) zu poussieren. Das ist Nostalgie (Harms),
die ökonomisch nichts bringt. Niemand will dort einen deutschen Vorposten.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Herr Harms,
es war nicht meine Absicht, in Nostalgie zu verfallen. Die Begriffe Kaliningrad / Koenigsberg
werden ja praktisch synomym fuereinander verwandt.
Desweiteren will ich dort keinen deutschen Vorposten. Es ist aber immer wieder interessant zu
sehen, das die Diskussion ueber diese Sonderwirtschaftszone deutscherseits immer gleiche
mit dem Begriff vom "Deutschen Vorposten" charakterisiert wird. Ich erinnere mich auch noch
an ein englisches Dokument zu Kaliningrad, welches Deutschland Rueckkehrgelüste nach
Kaliningrad unterstellte, weil die Herausgeberin der Zeit, Gräfin Dönhoff, aus dieser Gegend
stammt. [Kann ihnen den Link dazu schicken].
Nein, mein Punkt ist vielmehr der:
- kann diese Zone, die ja seit Anfang 1996 nun doch allmaehlich voran kommt, letztendlich
etwas positives fuer die Region tun und damit den Hoffnung gerecht werden, die innerhalb der
Diskussion schon geauessert worden sind. Ich will ja jetzt nicht vom Begriff des "Honkong des
Ostens" sprechen.
Betreff: Moscow welcome ! - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
A warm welcome also to the russian participants - Valeri Fadejew and Igor Lipsits.
My first question was about the latest finance problems of the russian Government - are these "normal"
developments or signs of bigger problems?
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Prof.Lipsits, Mr. Fadejew
Mr. Jelzin realies heavily on funds and loans of the IMF and Western Countries. Despite all the money already
in the pockets of Russian banks.
Why are these Bankers obviously not interested to invest in Russia itself. Are there no longer interested to
"Love Mother Russia" ?
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Banking is not about altruism, but about oreference buildung of rational actors in a market situation
with limited knowledges. So easy as it goes, one has to create incentives that it is preferable to invest
in Russia. Which is exactly what the ugly IMF and parte of the RF government try to do. Against many
odds.
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Banking is not about altruism. Okay. Aber warum soll dann der Westen Lückenbüßer
Funktionen übernehmen wenn die eigenen russischen Banken nicht im eigenen Land investiren
wollen.
Oder besteht hier nicht auch das Problem, das die im Kontext russischer Wirtschaftsreformen
praktizierte Neoliberale Wirtschaftstheorie kurzfristige Spekulationsgeschäfte bevorzugt.
Was aber auch heißt, das zwangsläufig die Investitionen, die über kurzfristige Gewinnerzielung
hinausgehen, nur vom IMF / Westen durchgeführt werden können.
Wir also quasi kein Ende russischer Finanzschwierigkeiten in Russland sehen werden. !
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Westliche Akteure sollen keine Lückenbüßerfunktionen übernehmen. Sie sollen nüchtern ihre
eigenen Interessen kalkulieren. Die könnten u.U. nahelegen, jetzt Beiträge zur Stabilisierung zu
leisten, um größere Entgleisungen später zu vermeiden.
Die neoliberale Theorie ist hier weitgehend "ne pri chem". Stärker nachfragebezogene
Strategien sind aus unzähliegen Gründen weder möghlich noch sinnvoll.
Von: Josef Vielhaber - Datum: 18.06.1998
Eine Frage zum Untertitel "... oder Keimzelle neuer Entwürfe?": Gibt es solche Entwürfe, die
Sie positiv bewerten?
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Ich bin auf der Suche, s.a. mein Beitrag als Antwort zu Segbers i.s. "Spielwiese".
Noch ein Hinweis: Neue Fragen oder Kommentare am besten als NEUEN BEITRAG senden,
dann erscheinen sie oben.
Betreff: Neues aus Moskau - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Zu Beginn eine Frage in die Runde: Die Finanzprobleme der letzten Wochen wurden in den Medien recht
unterschiedlich bewertet - als übliche Bauchschmerzen oder auch als sich anbahnende Katastrophe. Was gibt es
neues und wie sind diese aktuellen Vorgänge zu bewerten?
Von: Ludger Wiedemeier - Datum: 18.06.1998
Meiner Ansicht nach muessen diese Finanzprobleme auch im Kontext der asiatischen Finanzprobleme
gesehen werden. Neues gibt es insofern, das Anatoly Tschubais wieder in die Regierung zurueckgekehrt ist
und die Finanzmaerkte in Moskau sehr positiv darauf reagiert haben.
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Die Katastrophen in Rußland (RF) bahnen sich seit Jahren an, ohne sich einzustellen. Sie entsprechen eher
einem westlichen Bedürfnis, über das nachzudenken wäre.
Die reale Lage ist schwierig, ambivalent und uneindeutig. Aber die Hautpttendenz ist unverändert richtig - zur
wirtschaftlichen Stabilisierung und Dynamisierung, zur sozialen Beruhigung, zur Konzentration auf wirkliche
Themen und nicht auf Symbolik.
Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Zu Tschubais: Er ist von der russischen Prominenz der einzige, der so gut Englisch kann und auch in
Amerika war, daß er als Verhandlungsführer für die amerikanischen Geldgeber geeignet ist.
Zur Finanzlage: Rußland braucht Zeit. Der Westen tut nichts, um in Rußland Industriekapazitäten
aufzubauen, er verdient Geld mit Exporten von Konsumgütern nach Rußland. Irgendwann wird Rußland
lernen, daß es die Zölle raufhauen muß, um eine eigene Industrie aufbauen zu können.
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Ich höre da heraus, daß Sie die Kompetenz Tschubais' zur Lösung der (jedenfalls langfristigen)
Fragen bestreiten?
Von: Jürgen Bruchhaus - Datum: 18.06.1998
Jenseits von Tschubais und Finanzkatastrophen würde mich mal interessieren, wer eigentlich
die treibende Kräfte der wirtchaftlichen Entwicklung in Rußland sind. Die russischen
Industrietycoone, der IWF oder wer?
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Rußland braucht Zeit - ja. Der Westen muß nicht so viel tun, er soll Ruhe geben. Es ist Idylle,
zu erwarten, daß westliche Akteure dort gegen ihre kurz- und mittelfristigen Interessen aktiv
werden. Warum sollten sie? Die wichtigen wirtschaftl., polit. und sozialen Akteure in der RF
müssen das selbst regeln. Und sie werden das auch tun.
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Die genannten Akteure und Gruppen, ja, und einige weitere. Aber es ist ein permanenter
bargaining-Prozeß unter-, mit- und gegeneinander, und das alles im Rahmen von Begrenzungen
innerer (institutionelle Schwäche, Haushaltskrise usw.) und äußerer ("Globalisierung" etc.)Art,
die zu beachten sind. Politik ist eingehegt, sie muß mit diesen schwierigen Bedingungen
umgehen lernen.
Von: Kartte - Datum: 18.06.1998
Herr Segbers hat völlig recht! Warum sollten die "neuen Russen", die Gewinner des
Zusammenbruchs des alten Sowjetreiches, im eigenen Land in Industrieproduktion investieren,
wenn sie mit Spekulation und im westlichen Ausland mehr aus ihrem Geld machen können!
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Interessanter Aspekt - wir haben das, weniger pointiert, auf der letzten Konferenz mit Gabriele
Krone-Schmalz schon angesprochen (siehe Aurora-Konf2).
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Interessant - dies wurde auch schon in der zweiten Konferenz besprochen - siehe
http://www.kanka.de/aurora/konf2 (der Link geht offenbar nicht automatisch).
Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Demnach gibt es ein Bedürfnis, irgendwo anders die Katastrophen zu verorten - damit die eigenen
Probleme kleiner erscheinen? Gilt das "für Deutschland" oder eher für den Einzelnen?
Von: Segbers - Datum: 18.06.1998
Es gibt langlebige Stereotypen westlicher Rußlandsicht: Rußland erscheint als Biest oder als
Kuscheltier. Und ein Teil unserer, auch der deutschen Diskurse ist nach 1945 als Diskurs über
den "Osten" geführt worden.
Daß dies hier entlastend wirkt, stimmt.
Und - es gibt ein "Russia business", das heißt journalistische und wissenschaftliche Expertisen
müssen sich auf einem Markt behaupten, der durch Grusel- und Sensationskonkurrenzen
bestimtm wird.
Betreff: Neues aus Moskau - Von: Bernd vd Brincken - Datum: 18.06.1998
Zu den Teilnehmern: Vom Kooperationsbüro der deutschen Wirtschaft in Berlin nimmt _Michael Harms_ teil, Frau
Dr. Kühne ist aktuell verhindert. Kai Ehlers aus Hamburg wird um 15:00 dazustossen - zu den anderen Teilnehmern -
siehe Links (oben rechts).