Aurora - 2. Internet-Konferenz

Konferenzprotokoll

Thema: Gehört Rußland zu Europa?

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Beitrag 1 von 35

Zwischenruf von Helmut Lehmann (54), Frankfurt a. Main: Sagen Sie mal, Frau Dr. Kreikemeyer, können Sie mir mal kurz und bündig den Inhalt Ihrer Thesen zusammenfassen ! Danke H. Lehmann

Dr. Anna Kreikemeyer: Lieber Herr Lehmann, am besten gibt die Zusammenfassung vor Beginn meiner Thesen Ihr Anliegen. Für weitere Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

26.05.98, 09:44 Uhr

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Beitrag 2 von 35

Sebastian Weber, Paderborn: Frau Krone-Schmalz, Ihre Russland-Bücher sind ja schon vor ein paar Jahren geschrieben worden - wie ist denn jetzt die (Stimmungs-)Lage dort im Verhältnis zu dieser Zeit?

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Die anfängliche Begeisterung ist einer gewissen Ernüchterung gewichen. Die Menschen sind auch "pragmatischer" geworden. Es geht in erster Linie darum,das eigene Leben zu organisieren. Wobei wir uns im Westen davor hüten sollten - sowohl in der Politik als auch in den Massenmedien - zu sehr in Kategorien von Chaos und Katastrophe zu denken. Es gibt sehr viel mehr "Normalität" in Rußland als sich viele Menschen im Westen vorstellen. Auf jeden Fall wäre es falsch zu glauben, da laufen lauter deprimierte, verarmte und verhärmte Gestalten durch die Gegend. Die gibt es natürlich - aber ich würde so weit gehen zu behaupten: sie stellen auf keinen Fall die Mehrheit der Bevölkerung.
- Bei der Gelegenheit: im August wird eine erweiterte Neuauflage meines allerersten Buches (In Wahrheit sind wir stärker. Frauenalltag in der Sowjetunion) erscheinen. Ich erwähne das deshalb, weil ich die Frauen, die ich vor 10 Jahren in ihrem Umfeld porträtiert habe jetzt wieder befragt habe. Bis auf eine Ausnahme (ehemalige Parteisekretärin in Georgien) geht es allen - ganz gleich ob in Ostsibirien, in Moskau oder auf Sachalin - heute unterm Strich besser als damals.

26.05.98, 15:01 Uhr

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Beitrag 3 von 35

Dr. Anna Kreikemeyer: Da mein "Small Talk" im Moment nicht funktioniert, auf diesem Wege freundliche Grüße an Frau Dr. Krone-Schmalz aus Hamburg. Ich freue mich, mit Ihnen einmal an einer solchen Konferenz teilzunehmen. Mit besten Wünschen für den Nachmittag, Anna Krekemeyer

26.05.98, 15:13 Uhr

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Beitrag 4 von 35

Martin Klein (Professor für internationale Wirtschaft), Halle (Martin-Luther-Universität): In letzter Zeit wird behauptet, daß es in Rußland eine "neue Mittelschicht" gebe, die sich in ihrer wirtschaftlichen Lage und in ihrem Selbstverständnis nicht allzu sehr von der entsprechenden Schicht im Westen unterscheidet (abgesehen von dem erheblich geringeren Einkommen). Mein eigener Eindruck ist, daß eine derartige Schicht tatsächlich existiert. Meine Frage an Sie ist aber: was ist Ihr Eindruck? Außerdem: welchen Umfang und welche politische Bedeutung hat diese Schicht?

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Diese Schicht existiert tatsächlich. Eine völlig neue Erfahrung in und für diese Gesellschaft. Man kann es aus mehreren Gründen sicherlich nicht 1 : 1 mit "unserer" Mittelschicht vergleichen. Jedenfalls ist es etwas total Neues für Rußland. Genaue Angaben über den Umfang zu machen fällt mir schwer. Nach meinem Eindruck ist diese Schicht im Wachsen begriffen und hat insofern politische Bedeutung, als sie für extreme politische Richtungen relativ unempfänglich ist, kein Interesse an "zurück" hat und mittlerweile auch nicht mehr blauäugig die Rettung von westlichen Rezepten erwartet, die ohne Rücksicht auf die Traditionen Rußlands einfach aufgepropft werden. Also kurz und gut: die große Chance für das was man gemeinhin gesunden Menschenverstand nennt, abseits von Ideologien auf der Grundlage von Klassenkämpfen. Und - auch nicht unwichtig - auf der Grundlage eines langsam wachsenden Selbstbewußtseins.Das ist nach meinem Eindruck ein stabilisierender Faktor.

26.05.98, 15:20 Uhr

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Beitrag 5 von 35

P. Farkas, Köln: Wie bewerten sie - und die Diskussionsteilnehmer - die (west)deutsche Berichterstattung über die SU und allg. über Ost-Eu vor der Wende (70-er, 80-er Jahre). Danke.

26.05.98, 15:27 Uhr

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Beitrag 6 von 35

Leonid L. , Bonn: Wie kommt das: geographisch gehört Russland zu Europa und politisch nicht? Wenn man schon gemeisame Europäische Union aufbaut, wo auch neuerdings die ost-europäischen Staaten werden auch Teil Europas, dann musste man mindestens in die ferne Plannung Russland reinnehmen. Polen sind genau so europäisch wie Russen auch. Oder? Das war die Frage an Frau Kreikemeyer.

Dr. Anna Kreikemeyer: Lieber Herr Leonid L., in meinen Thesen habe ich den gegenwärtig laufenden Prozeß der Annäherung zwischen Rußland und der EU beschrieben. Grundsätzlich bin ich Ihrer Meinung, daß Rußland ebensoviel und ebensowenig "europäisch" ist wie andere postsowjetische Reformstaaten. Zwischen der Art und Weise wie die Beziehungen zwischen Rußland und der EU von offizieller Seite gestaltet werden und meinen Vostellungen von einer wechselseitigen Annäherung in Europa klafft aber doch eine Lücke.

26.05.98, 15:42 Uhr

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Beitrag 7 von 35

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Die Berichterstattung war sicherlich auf beiden Seiten von Feindbildern bestimmt. Wobei auch eine gewisse Angst eine Rolle spielte, in eine Schublade gesteckt zu werden. Konkret: wenn man keine eindeutige Positionsbestimmung voranstellte, konnte es leicht passieren, als Kommunismus-Symapthisant zu gelten, nur weil man versuchte, Alltag zu erklären. Diese Gefahr ist allerdings heute auch nicht ganz gebannt. Man sieht das ganz leicht daran, daß sowohl Journalisten als auch Politiker stark angefeindet wurden, die "bei der Wende" vor zuviel Privatisierungs-Euphorie warnten. und dafür plädierten, mehr auf gewachsene Strukturen einzugehen. Nicht wegen irgendwelcher Sympathien oder Antipathien, sondern schlicht aus pragmatischen Überlegungen.
Heute ist diese Position durchaus "political correct" und sogar in solchen internationalen Organisationen wie IWF verbreitet. Eine große Gefahr ist geblieben: die Vorliebe für Schwarz-Weiß- Darstellungen. Und dieses fundamentale Mißverständnis im Westen den Kalten Krieg "gewonnen" zu haben. Wer so denkt, hat nichts begriffen. Heiße Kriege kann man verlieren oder gewinnen. Kalte Kriege können sich auflösen, wenn man von gewinnen oder verlieren spricht, dann sind sie noch nicht vorbei.

26.05.98, 15:49 Uhr

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Beitrag 8 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Frage des Moderators an das Podium: Frau Kreikemeyer arbeitet ja an einem "Friedensforschungsinstitut". Der Gedanke, den Frieden zu erforschen, scheint mir aus einer Zeit der gegenseitigen Bedrohung zu stammen - heute geht es doch "nur" noch um Fragen der Wirtschaft und (seltener) der Kultur - oder gibt es weiter eine Art Kriegsgefahr?

26.05.98, 15:54 Uhr

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Zwischenruf von Dr. Kreikemeyer, Hamburg: Zur Frage der "Mittelschicht" In der Tat wäre es hier wichtig zu präzisieren, was unter Mittelschicht gemeint sein soll. In einer soziologischen Schichtenanalyse wäre genauer zu fragen, wie verdient diese Gruppe in welcher Höhe auf welche Weise ihren Lebensunterhalt und welche gesellschaftlich-politischen Konsequenzen hat das. Eine solche Betrachtungsweise ermöglicht es dann auch, für die frühere Sowjetunion von einer Mittelschicht - der technischen Intelligenz - zu sprechen. In der Tat ist auch die rasche Entwicklung einer "Mittelschicht" auf das Vorhandensein dieser Bevölkerungsgruppe zurückzuführen. Mittelschicht ist meiner Ansicht nach daher eher ein Phänomen einer bestimmten technologischen Entwicklung denn einer bestimmten Gesellschaftsordnung.

26.05.98, 16:03 Uhr

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Beitrag 10 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: An dieser Stelle noch ein kurzer Hinweis auf eine Link-Liste zu der Konferenz, unter: http://www.kanka.de/aurora/links.htm findet sich eine Link-Seite, einige spezifisch zu dieser Konferenz.

26.05.98, 16:09 Uhr

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Beitrag 11 von 35

Zwischenruf von Igor Trouchkine, Köln: Europäische Raumfahrtprogramm scheint am Steilflug zu sein. Russische Kosmosforschung ist auch an die US-Tropfgerät angeschaltet. Wäre es nicht sinnvoller, eine richtig grosseuropäisches Programm zu starten?

26.05.98, 16:20 Uhr

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Beitrag 12 von 35

Zwischenruf von Leonid L., Bonn: Frau Kreikemeyer, ich habe aus Ihrem Antwort so verstanden, dass Russland wird nicht mal in die ferne Plannung reingenommen?

Dr. Anna Kreikemeyer: Herr L. Rußland wird durchaus in die EU-Planungen aufgenommen, vgl. Partnerschaftsabkommen, TACIS-Programm, politischer Dialog, nur: nicht in der Weise wie ich es für wechselseitig "bereichernd" halte. Die EU ist ein Machtfaktor auf dem Kontinent und kann stärker bestimmen, wo es lang geht als Rußland. Hier wäre viel mehr Gleichberechtigung notwendig, wenn nicht schon CHancengleichheit.

26.05.98, 16:21 Uhr

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Beitrag 13 von 35

Boris Fischer: Was könnten Sie den baltischen und den osteuropäischen Staaten als Sicherheitsgarantie gegen eine eventuelle aussere Bedrohung empfehlen? (Zu Ihrer Behauptung: NATO erzeugt instabilität in Europa - womit ich übrigens einverstanden bin.)

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Zunächst einmal muß man - glaube ich - ganz deutlich sagen, daß die NATO-Osterweiterung im Grunde nichts mit sicherheitspolitischen Überlegungen zu tun hat. Wenn sogar hochrangige polnische Diplomaten im Gespräch zugeben, daß Polen in seiner Geschichte noch nie so sicher war wie heute... Es geht in erster Linie um Machtpolitik und um ein gigantisches Geschäft. Und es geht um fehlenden politischen Mut. Die weltpolitische Landkarte hat sich total verändert. Wir brauchen eine neue sicherheitspolitische Struktur für diese veränderte Welt. Und nicht ein aufgeblasenes anachronistisches Vehikel, das - erwiesenermaßen - mit der Bewältigung von Regionalkonflikten überfordert ist. Noch einmal: ein Bedrohungsszenario ist nicht glaubhaft. Wer etwas anderes behauptet, ignoriert alle sicherheitspolitischen Autoritäten und amtlichen Lageanalysen aus westlichen Hauptstädten. Es gibt in Mitteleuropa kein wirkliches Sicherheitsproblem. Und die NATO wurde nun einmal als Verteidigungsbündnis gegen eine Bedrohung von außen gegründet. Den Feind von einst gibt es nicht mehr. Es gibt nicht einmal einen Gegner. Statt sich der veränderten weltpolitischen Lage anzupassen und Sicherheitsvorsorge gegen bestimmte Risiken zu betreiben (Stichwort: Regionalkonflikte) richtet sich die sog. Sicherheitsvorsorge wieder gegen vorbestimmte Staaten. So als hätte sich überhaupt nichts verändert. Ängste ist das eine, eine reale Bedrohung das andere. Daß in den baltischen Republiken oder in Polen Ängste herrschen, ist klar. Das sagt aber nichts über eine reale Bedrohung aus. Ich kann nur wieder polnische und auch baltische Gesprächspartner zitieren, die es auf den Punkt bringen: wir wollen einfach dazu gehören. Mit tatsächlicher Bedrohung hat es weniger zu tun. Zum Stichwort Bedrohung läuft es doch ganz anders, nämlich so: Polen will rein in die NATO, die NATO sagt prima, herzlich willkommen. Rußland sagt: das können wir uns nicht bieten lassen. Polen sagt: seht ihr, die bedrohen uns. Sie können es auch auf der oberen Ebene spielen: die USA sagen: wir erweitern die NATO nach Osten. Rußland sagt: kommt nicht in Frage, wir sind dagegen, die USA sagen: typisch Russen, die drohen uns, also haben wir doch recht. Tatsache ist, daß die NATO Osterweiterung in Rußland als Ausdruck politischen Mißtrauens gewertet wird und natürlich nicht ohne Auswirkung auf die russische Innenpolitik bleibt. Da läßt man dann schon mal verbal die Muskeln spielen. Die beste Sicherheitsgarantie für osteuropäische Länder bzw. die baltischen Staaten ist, Rußland so aufrichtig wie möglich als Partner zu behandeln. Doppelzüngigkeit schadet da.

26.05.98, 16:23 Uhr

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Beitrag 14 von 35

Zwischenruf von Kreikemeyer: In der Friedensforschung unterscheiden wir zwischen "negativem Frieden, d.h. der Abwesenheit von Gewalt und "positivem Frieden", bei dem es um soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung etc. geht. Im Verhältnis zu Rußland haben wir die brechtigte Hoffnung, daß wir uns künftig um positiven Frieden kümmern können. Die jüngsten Unruhen in Dagestan und in Abchasien/Georgien lassen aber Gegenteiliges befürchten.

26.05.98, 16:27 Uhr

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Beitrag 15 von 35

Zwischenruf von Jürgen Christ, Leipzig: <abwägend> Zur Anmerkung von Igor T. : Wäre es nicht besser ein _globales_ Programm zu realisieren statt auf Nationen und Einzelbündnisse zu setzen ?

26.05.98, 16:30 Uhr

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Beitrag 16 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Moderator zu dem Zwischenruf von J.Christ in Sachen Raumfahrtprogramm: Der Gedanke eines globalen Handelns ist naheliegend, aber ich fuerchte bei einem so kostenintensiven Unterfangen wie Raumfahrt ist immer - anders als etwa beim Internet - der Nationalstolz der jeweiligen geldgebenden Nationen ein wesentlicher Faktor. Anders gesagt: Solange es keine "Welt-Steuer" und "Welt-Regierung" gibt, wird es auch keine "Welt-Weltraumprogramme" geben...

26.05.98, 16:33 Uhr

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Beitrag 17 von 35

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Anmerkung zur Frage "negativer" bzw. "positiver Friede". Ich halte es für außerordentlich wichtig, ganz sauber zu trennen zwischen Rußland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Der Kaukasus ist ohnehin in vielfacher Hinsicht ein "Spezialfall", den man nicht so ohne weiteres russischer Verläßlichkeit oder dem Gegenteil davon anlasten kann. Die Zustände in Georgien haben auch nur sehr bedingt eine russische Komponente. Schewardnadze ist damit beschäftigt, die Scherben beiseite zu räumen, die ein Mensch namens Gamsachurdia hinterlassen hat, der zu sowjetischen Zeiten einfach von sich behauptete, ein Freiheitskämpfer zu sein und der Westen glaubte ihm nur allzugerne. Alles was sich gegen die Sowjetunion richtete wurde begrüßt. (Auf die Weise hat der Westen ja auch in Afghanistan aufs falsche Pferd gesetzt und will heute nichts mehr davon wissen...)

26.05.98, 16:53 Uhr

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Beitrag 18 von 35

Zwischenruf von Kreikemeyer: In dieser Antwort kann ich Frau Krone-Schmalz nur zustimmen

26.05.98, 16:54 Uhr

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Beitrag 19 von 35

Eberhard Dörr, Düsseldorf: Die Titelfrage der Konferenz finde ich bisher nicht so richtig beantwortet. In der Umfrage wird nach "kultureller" Zugehörigkeit gefragt. Inwieweit ist das anders als die politische?

26.05.98, 16:54 Uhr

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Beitrag 20 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Zu der Frage nach dem "Kulturbegriff" - die Umfrage war so gemeint, das die kulturelle Zugehörigkeit von dem Einzelnen "aus dem Bauch" zu entscheiden sei; eine politische Zugehörigkeit liesse sich an konkreten Vertraegen festmachen. Was uns hier interessiert, ist der "Bauch".

26.05.98, 17:01 Uhr

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Beitrag 21 von 35

Zwischenruf von Kreikemeyer, Hamburg: Ich würde Kultur zwar nicht auf den "Bauch" allein beschränken, doch Kultur kann mehr aufnehmen als z.B. die EU-europäischen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit oder entsprechende Verfassungen. Kultur lebt geradezu von Austausch und Berührung, für politische Systeme sind da engere rechtliche Grenzen gesetzt, z.B. Gleichheitsgrundsätze oder Vorstellungen darüber, wie ein Wahlsystem auszusehen habe, geschweige denn internationale Verhandlungen. Dies festzustellen heißt für mich freilich nicht, es in jedem Fall zu billigen.

26.05.98, 17:09 Uhr

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Beitrag 22 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Zum Kulturbegriff sei einmal eine ganz einfache Behauptung in den Raum gestellt: Kultur sei jeweils eine Mischung aus rationalen / funktionalen und nicht-funktionalen Beziehungen (zwischen den Elementen eines Gesamtsystems, hier: den Menschen der Gesellschaft). Und: Jedes deratig kulturelle System müsse etwas eigenes Kulturelles (irrationales) haben, um seine Identität zu erhalten. - Frage an Frau Dr. Kreikemeyer: Ist das mit Frieden vereinbar - oder identisch?

26.05.98, 17:15 Uhr

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Beitrag 23 von 35

Kreikemeyer: Das kommt ganz auf den Identitätsbegriff an: wen er ein gewaltfreies Nebeneinander der Menschen ermöglicht, dann gilt die Gleichung: Kultur=negativer Frieden. Über die Frage, wann Kultur auch als positiver Frieden anzusehen sei, wäre viel mehr zu reden.

26.05.98, 17:33 Uhr

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Beitrag 24 von 35

T. Pischtek: Gibt es wirklich ein sogenanntes verzerrtes Rußlandsbild in deutschen Medien (pauschal)- oder: es ist nur die Frage, WOHER ich meine Informationen beziehe?

26.05.98, 17:33 Uhr

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Beitrag 25 von 35

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Anmerkung zum Thema Kultur. Nach meinem Verständnis ist Kultur der übergeordnete Begriff. Politik ist ein Teilbereich, Wirtschaft ist ein Teilbereich. Die Ausgestaltung dieser Felder hängt von der jeweiligen Kultur ab. Da Traditionen und "Gewohnheiten" eine Rolle spielen, Werte und Tabus, wirkt der Begriff zunächst einmal schwammig, weil soviel enthalten ist, das sich nicht messen läßt. Diejenigen, die behaupten, Rußland gehöre nicht zu Europa, versuchen hin und wieder mit den unterschiedlichen Gesellschaftssystemen zu argumentieren: in Rußland bzw. der SU stand die Idee der Gleichheit im Vordergrund.
In Deutschland, bzw. in Westeuropa wiegt die Idee der Freiheit schwerer. Fazit: das läßt sich nicht oder nur sehr schlecht vereinbaren. Fakt ist jedoch, daß beide Wege - theoretisch - zu einer lebenswerten Gesellschaft führen sollten und daß es "nur" darum geht, die richtige Balance zu finden. Richtig in dem Sinne, daß Menschen noch "funktionieren" (d.h. mitmachen, weder Mißbrauch noch innere Kündigung) Von daher ist die kulturelle Basis gar nicht so weit auseinander.

26.05.98, 17:33 Uhr

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Beitrag 26 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Zu der Frage von T. Pischtek nach dem "verzerrten" Russlandbild", das Anlass für die Gründung der Aurora Initiative war: Dies ist eine persönliche Erfahrung von mir und vielen, die Russland besucht haben. Erst wenn man dort ist, merkt man, dass man ein bestimmtes Bild im Kopf hat über den, ich sag einmal: "Zivilisationsgrad", der dort herrscht. Ich zumindest war ersteinmal überrascht über meine eigenen offensichtlichen Vorurteile. Nach Gesprächen mit hier lebenden Russen wurde dies auch bestätigt - so kam es zur Gründung der "Aurora" Initiative, mit Igor Truschkin, einem in Köln arbeitenden Journalisten, und anderen Medienschaffenden aus Köln. - Jedoch, um ein Mißverständnis zu vermeiden: Es ist nicht vernünftigt, von einer _gesteuerten_ Verzerrung auszugehen. Es ist wohl eher eine Art stiller Konsens in den Medien, daß bestimmte Bilder (im direkten und im übertragenden Sinne) reproduziert werden.

26.05.98, 17:42 Uhr

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Beitrag 27 von 35

Zwischenruf von Dr. Kreikemeyer, Hamburg: <Zustimmung> Lieber Herr Pischtek, da kann ich Ihnen zustimmen. Natürlich gibt es eine ganze Reihe von seriösen überregionalen Tageszeitungen und Zeitschriften, dieein differenziertes Rußlandbild vermitteln. Die erfordern natürlich einen gewissen Leseaufwand und erreichen nicht die breite Öffentlich- keit. Wichtig wäre, das populäre Rußlandbild positiver zu gestalten. Haben Sie oder die DiskussionsteilnehmerInnen da vielleicht eine gute Idee?

26.05.98, 17:57 Uhr

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Beitrag 28 von 35

Dr. Anna Kreikemeyer: Zu Frau Krone-Schmalz' Anmerkungen über die Usachen der bewaffneten Gewalt in Abchasien: Mir ging es bei der Unterscheidung von negativem und positivem Frieden "nur" um die Feststellung, wo bewaffnete Gewalt herrscht und wo nicht. Über Ursachen müßte ausführlicher, wie Sie bereits andeuten gesprochen werden. In meiner Analyse des russischen Konfliktverhaltens in bewaffneten Konflikten in der GUS bin ich freilich zu dem Ergebnis gekommen, daß bestimmte Kräfte in Rußland sehr wohl ein Interesse an bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Georgiern und Abchasen hatten.

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Worum es mir geht ist folgendes. Dazu hole ich ein bißchen aus. Sprache ist hin und wieder ver- räterisch. Wenn in den Nachrichten (und in der Politik) weltweit von "Interessen" die Rede ist, die einzelne Staaten haben und nahezu jedesmal wenn es um russische Interessen geht von "Sonder-Interessen" gesprochen wird, dann ist klar worauf das hinausläuft. Selbstverständlich haben Russen Interessen mit Blick auf die sie umgebenden Länder. Die Frage ist bei der Ausrichtung unserer westlichen Politik (auch wenn sich das brutal anhört) inwieweit schadet russische Politik global betrachtet der Stabilität. Und da ist es zwar menschlich und moralisch nicht nur verständlich sondern geradezu geboten, sich etwa über Tschetschenien aufzuregen, aber politisch einfach "daneben" das als Beweis für die Unzuverlässigkeit oder gar Gefährlichkeit der Russen heranzuziehen.

26.05.98, 17:57 Uhr

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Beitrag 29 von 35

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Anmerkung zum "verzerrten" Rußlandbild in den Medien. Ich denke es hat verschiedene Ursachen und ich möchte auf Anhieb Bernd von den Brincken zustimmen, daß es sich - bis auf wenige Ausnahmen - nicht um eine bewußte Verdrehung handelt. Die "Verzerrung" kommt u.a. aus folgenden Gründen zustande: > wenn ich in immer kürzerer Zeit Dinge erklären soll, bleibt Differenzierung notgedrungen auf der Strecke > da Quoten (bzw. Auflagen) eine immer größere Rolle spielen und die Auffassung herrscht, die Reizschwelle von Zuschauern, Hörern und Lesern sei wegen der Reizüberflutung höher geworden, kann man am besten mit sensationellen bizarren Themen landen (es gibt Ausnahmen) > Die Nachwirkungen des Kalten Krieges sind längst nicht überwunden. Westler sind in der Regel sehr schnell bereit an ihren neuen Partnern zu zweifeln, wenn sich in Rußland politisch irgendetwas spielt, was Westler auf Anhieb nicht verstehen. Dabei kommt es dann schnell zu falschen Gewichtungen. > Es ist zwar schwer, sich als Berichterstatter von den eigenen verinnerlichten Rastern zu verab schieden, sie sich zumindest bewußt zu machen, aber wenn man sie einfach übernimmt, um Vorgänge in einem anderen Land begreifen zu wollen, kann man nur auf dem Bauch landen. Die Relationen stimmen dann nämlich nicht mehr. > und schließlich eine völlig falsche Auffassung von "kritischer Berichterstattung". Wenn man in diesen Zeiten des revolutionären Umbruchs in Rußland von funktionierenden Dingen berichtet, dann hat das nichts mit rosarot und himmelblau und heiler Welt Gesülze zu tun sondern es ist eine 1 a Chronistenpflicht. Wenn immer nur die nichtfunktionierenden Dinge eine Rolle spielen - woher sollen Menschen, die dieses Land nicht aus eigener Anschauung kennen, wissen, daß es dort auch ganz anders zugeht.

26.05.98, 18:01 Uhr

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Beitrag 30 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Zum Verlauf: Die live-Phase der Konferenz ist nun beendet, sie bleibt aber bis Do, 28.5. geöffnet, so daß Fragen abgesandt werden können. Der Moderator wird diese zwischendurch an die Experten weiterleiten und die Antworten veröffentlichen. In Zukunft kann dieses Protokoll über www.kanka.de/aurora/konf2 nachgelesen werden. Dank an Anna Kreikemeyer und Gabriele Krone-Schmalz für ihre Teilnahme an dieser für beide ungewohnten Form der Konferenz!

26.05.98, 18:08 Uhr

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Beitrag 31 von 35

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Anmerkung zum "populären Rußlandbild" Es wäre ganz einfach, das populäre Rußlandbild zu verbessern. Wir müßten uns nur an einer wieder findbaren Stelle im Programm (ich rede jetzt vom Fernsehen) eine regelmäßige Sendung leisten, die unter dem Arbeitstitel: Neues aus Rußland Normalität transportiert. Wir haben uns zu den verschiedensten Zeiten Magazine "geleistet", um uns andere Länder oder Städte näherzubringen (Römische Skizzen, New York, New York, Pariser Journal etc.) Es wäre längst an der Zeit gewesen, mit Blick auf Rußland - von der Intention her - etwas ähnliches anzubieten. Apropos populär oder seriös. Ich habe leider die Feststellung gemacht, daß auch hochrangige Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft vielfach die Gefangenen ihrer eigenen Vorurteile sind und leider nicht über ein sehr differenziertes seriöses Rußlandbild verfügen. Das verursacht bei mir ein gewisses Unbehagen.

26.05.98, 18:11 Uhr

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Beitrag 32 von 35

Zwischenruf von Bärbel (32), dresden: <Zustimmung> Rußland gehört zu europa ,weil es die geographische lage hat.

26.05.98, 18:11 Uhr

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Beitrag 33 von 35

Zwischenruf von Peter Farkas (43), Köln: Zur Umfrage: Was ist Europa? oder: wie ist die Frage gemeint? Gehört... geographisch? kulturell? historisch gesehen? Und zum welchen Europa? Zum Europa von Goethe? Oder von Göbbels? Oder von Sarajevo/1992? Oder... oder...

Dr. Anna Kreikemeyer: Lieber Herr Farkas, Ihre Frage ist ganz berechtigt. Natürlich müßte man auf alle Ihre Europa-Begriffe Bezug nehmen. In meinen Thesen beziehe ich mich auf das Europa nach der Wende 1989/1991 und spreche in der Regel wenn es mir um Präzision geht von Gesamteuropa, womit ich den OSZE-Raum meine, von EU-Europa oder von Mittelosteuropa oder von Südeuropa. Nur zu Gesamteuropa gehört Rußland, die EU sollte sich erweitern und zwar wechselseitig, nicht einseitig. Was Ihre anderen Europabilder anbelangt, müßten wir in einen gegenseitigen Klärungsprozeß eintreten, was gemeint ist. Dann kann ich auch Stellung beziehen, ob ich Rußland dort sehe oder eher nicht.

28.05.98, 19:27 Uhr

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Beitrag 34 von 35

Sabine Karres, Berlin: Zu der Friedensforschung interessiert mich noch die Frage, ob es in Russland etwas vergleichbares zu unserer Friedensbewegung gibt (oder gab) und wie deren Haltung z.B. zur NATO-Erweiterung oder zu den Regionalkonflikten ist? Auch, ob sie politischen Einfluß hat.

Dr. Anna Kreikemeyer: Liebe Frau Karres, in Rußland gibt es keine vergleichbare Friedensbewegung. Während der Hochzeit der NATO-Nachrüstung und der westdeutschen Friedensbewegung gab es in der früheren Sowjetunion eine offizielle Friedensbewegung, die stark von der KPdSU und den entsprechenden "Massenorganisationen" beeinflußt wae. Verständlicherweise haben die Menschen für solchen staatlichen Initiativen wenig authetisches Engagement mehr. Schließlich ist auch der aktuelle Anlaß - das Wettrüsten - in den Hintergrund getreten. In den Regionalkonflikten gibt es immer wieder Basisbewegungen, die für Waffenruhe eintreten, z.B. die Soldatenmütter in Tschetschenien. Häufig vertreten Basisbewegungen aber eine am Konflikt beteiligte Nationalität und sind daher nur bedingt als Friedensbewegung anzusehen.

28.05.98, 19:27 Uhr

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Beitrag 35 von 35

Bernd von den Brincken, Moderation: Die Konferenz wird nun geschlossen - Dank an die Podiumsgäste und die Besucher für ihre Beiträge. Für weitere Informationen beachte man die Links in: www.kanka.de/aurora/links.htm. Am __18. Juni__ findet die nächste Internet-Konferenz der Aurora Initiative statt, mehr auf der Homepage www.kanka.de/aurora - Dank auch an Jürgen Christ von Netzforum (netzforum.de) und Uwe Ahrendt von Transnet (www.transnet.de) für ihre Unterstützung!

28.05.98, 19:37 Uhr

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Aktuelle Umfrageergebnisse (TED):
 
Gehört Rußland - im kulturellen Sinne - zu Europa?
 
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII
54% (14) Ja

IIIIIII
15% (4) Nein

IIIIIIIIIIIIIII
31% (8) Unentschlossen