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'Gegen alle Parteien'

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Vom 10. bis 27. Februar 99 präsentierte sich in der Kölner 68elf Galerie die "Außerparlamentarische Kontrollkommission", eine Gruppe von Kulturschaffenden, Schriftstellern und Journalisten aus Moskau. Kirill Preobrashinski ist Künstler und einer der Wortführer der Bewegung und hat sich für ein Gespräch zur Verfügung gestellt:
Kirill

Frage: Die Ausstellung zeigt Performances und Aktionen der Moskauer Gruppe "Gegen alle Parteien", die auf mich den Eindruck machen, als ob ein kleines Kind seine Grenzen herausfinden und die Herrschenden provozieren will. Gibt es dabei irgend ein ernsthaftes Konzept?

Kirill Preobrashenski: Ich möchte diese Diskussion gerne mit dem Logo hier auf dem Fenster beginnen - es ist ein ursprüngliches Zeichen, das eine bestimmte Bedeutung ausdrückt. Nun wurde dieses Zeichen mit der Hand in verschiedenen Kulturen, auch in Europa, mißverstanden. In Rußland bedeutet es einfach "Ich tu's nicht".

  'Figa' Logo

Wie "Nein!" ?

KP: Ja, aber pathetischer. Ich möchte die Diskussion über die Bedeutung unseres Projekts an diesem Mißverständnis der Zeichen beginnen. Bei der Suche nach einem Logo für unsere Bewegung war natürlich unsere Vorstellung, daß erst einmal die Leute in Rußland es verstehen müssen. Das Zeichen hat eine Bedeutung in der russischen Kultur als Metapher: Die Position der Hand in dieser Art nennt man 'Figa' - man sagt auch 'jemandem Figa zeigen'. Es hatte immer schon eine metaphorische Bedeutung 'Figa in der Tasche' zu haben, es war und ist die wesentliche Strategie von russischen Intellektuellen. Es bedeutet, das System zu verstehen, es auch zu benutzen, und der Protest dagegen ist eher verhalten, eben in der Tasche. Also, ein Protestsymbol, aber für versteckten Protest.

Und ebenso wie dieses Zeichen wird auch unser Projekt "Gegen alle Parteien" hier in Deutschland manchmal mißverstanden. Der wesentliche Kommentar eines Besuchers - der die Sache wirklich aufmerksam verfolgte - war 'Das hatten wir hier schon vor 30 Jahren'. - Also gibt es ein Mißverständnis unserer Arbeit in Moskau.

F: Offenbar sind diese Aktionen nicht gerade der spontane Ausbruch von Revolutionsgeist - was ist das grundlegende Konzept dahinter?

KP: Das möchte ich in mehreren Schritten erklären. Erst einmal: Es gibt unterschiedliche Zeichen und Kontext, Mißverständnisse, aber daneben haben wir - die aktuelle Kultur in Moskau und die in Köln - auch etwas gemeinsam. - Zuerst einmal die Technik der Vorträge; der Vortrag ist ein grundlegendes demokratisches Prinzip, das sich jetzt in Rußland etabliert. Demokratie bedeutet das Recht zu wählen, das ist das Grundprinzip der westlichen Demokratie. Was heißt das - 'Wählen'? - Es bedeutet, für irgendetwas zu wählen. Es bedeutet, die eigenen Wünsche, Wille und Arbeit zu delegieren an irgendeine Gruppe, Partei, einen Kandidaten oder eine Bewegung, die diese Wünsche repräsentieren sollen.

F: Also was mehr als reine Provokation liegt darin, eine Gruppe "Gegen alle Parteien" zu konstruieren?

KP: Ja, aber was bedeutet "Repräsentation"? - Die Macht gibt vor, kämpfen zu wollen für deine Rechte, Wünsche und Willen. Aber tatsächlich läuft es so nicht. Das System repräsentiert nichts als seine eigene Geisteskrankheit.

F: Du meinst, in Rußland läuft es nicht so?

KP: Nein, überall. Die Macht ist eine Psychose derjenigen Leute, die die Macht repräsentieren. Dir bleibt nur die Hoffnung, wenn du dein Verständnis der Welt an jemand anderen delegierst, dann gibts du dein Lebenskonzept an einen Psychopathen ab.

F: Was wäre dann die ideale oder wenigstens eine bessere Form der Regierung?

KP: Der Fehler liegt in dem Konzept der Repräsentation von Macht. Wenn du nämlich das Nachdenken über dein Leben an jemand anderen delegierst, dann hat dieser jemand keine andere Struktur als du selbst. Es ist eine Illusion zu glauben, diese Leute seien anders. Die Anführer dieses Repräsentanz-Strukturen sind genauso krank wie wir, alles was sie wirklich repräsentieren ist die Psychose der Macht.

F: Die meisten Leute in Deutschland würden wohl nicht zustimmen, daß ihre Anführer an einer Krankheit leiden.

KP: Nein, es ist einfach meine Definition, daß Macht selbst Krankheit ist.

F: Daraus folgt doch, daß es überhaupt keine Repräsentation geben sollte?

KP: Genau, warum jemanden oder etwas wählen? Hast du nicht selbst genug Fähigkeiten, um das Projekt deines Lebens zuverwirklichen? - Es ist auch eine Frage der Technik des Wählens, daß es nur einen oder sehr wenige Repräsentanten gibt. Darum haben wir "Gegen alle Parteien" gegründet, es ist ein Versuch selbst Verantwortung zu übernehmen.

F: Vielleicht ist es oder war immer schon ein speziell russisches Phänomen, daß die Leute die Verantwortung an eine zentrale Macht übergeben wollen?

KP: Natürlich, nach fast 80 Jahren kommunistischer Herrschaft war es klar, daß das System zuverlässig ist - was immer es auch ist, nicht unbedingt stark oder gut, aber zuverlässig. Es ist eine Illusion, die größte denkbare Illusion, wie wir jetzt sehen.

F: Aber könnte nicht die Gruppe "Gegen alle Parteien" selbst Repräsentant für irgend etwas sein?

KP: Nein, wir sehen das Versagen des Systems in Rußland und im Westen auch, es ist also nicht zuverlässig und es macht keinen Sinn, seine Energie an dieses System zu delegieren. Die ökonomische und politische Krise im Osten und die geistige und intellektuelle Krise im Westen beweisen, daß das System nicht funktioniert. 'Die Mächtigen' kümmern sich nicht um dich. DU kannst es besser. Gib deine Energie nicht an jemand anderen! Du kannst alle deine Wünsche selbst umsetzen.

F: Wie beurteilst du in diesem Kontext die Ereignisse vom August 98?

KP: Diese neue Krise begann mit einer "Geld-Pyramide", die von der Regierung aufgebaut wurde: Das Geld war nicht durch reale ökonomische Abläufe gestützt, sondern nur durch das falsche Versprechen einer sehr hohen Verzinsung von 50% pro Jahr. Nach dem 17. August wurde klar, daß dieses System versagt hatte, es ist eine einfache Regel, daß jede Geld-Pyramide früher oder später versagt, also was klar, daß es früher oder später passieren würde. Alle diese Versprechen waren durch die Entwicklung der Demokratie in Rußland gesichert, die auf dem neuen ökonomischen Konzept aufbaute, das den jungen Reformern wie Tschubais mit seinem Privatisierungskonzept aufgebaut wurde.

F: Also sollte man lieber die alten Strukturen erhalten?

KP: Die Privatisierung war falsch, weil Besitztum in Rußland immer noch keine Bedeutung in den Köpfen der Menschen hat. Das ist der Grund für das Versagen der Privatisierung. - Zum Beispiel ist das Gesetz über den Privatbesitz an Land nach 5 Jahren immer noch nicht durch die Duma gekommen.

F: Was also hat sich nach dieser neuen Krise grundsätzlich geändert?

KP: Die Krise bedeutete nicht nur, daß die Leute ihr Geld verlieren, was an sich schon ein großer sozialer Faktor ist. Das ganze Land hat seinen internationalen Status als verläßlicher Partner verloren. Praktisch bedeutet es, daß die Investoren nicht nur den Profit sondern das ganze Investment verlieren. Sie verlieren den Glauben an Rußland und sehen es mehr als ein Dritte-Welt Land. Beispielsweise fiel der Lebensstandard in Moskau vom 3. Platz auf der Welt nach dem 17. August auf den 89. Platz, und fällt weiter.
Was bedeutet das für die lokale Politik? Wir haben Sjuganov, kein richtiger Kommunist, sondern ein Sozialdemokrat, der das Land nicht zur Planwirtschaft zurückdrehen wird. Dann haben wir die Demokraten und jungen Reformer um Tschubais, die wirklich bewiesen haben, daß sie die Wirtschaft des Landes völlig dekonstruiert haben mit ihrer irrealen Privatisierung. Und wir haben die dummen Nationalisten, die das Land ins Mittelalter zurückbringen möchten.

F: Was kann der Einzelne direkt unternehmen, um die Wirtschaft voran zu bringen?

KP: Die russische Verfassung hat für die nächsten Parlamentswahlen die Möglichkeit vorgesehen, "Gegen alle Parteien" zu wählen. Es ist wichtig, daß diese Stimmen gezählt werden wie alle anderen Stimmen. Wenn die Stimmen "Gegen alle" die Stimmen für irgend Jemanden sonst übersteigen, wird die Wahl als illegal erklärt und keine der teilnehmenden Parteien kann in der nächsten Wahl antreten. In dem Projekt "Gegen alle Parteien" geht es nicht darum, negativ zu sein oder gegen alles zu protestieren, sondern es soll einen in dieser speziellen politischen Situation auf eine Alternative bringen. Wesentlich ist, daß die Leute anfangen selbst nachzudenken - wir werden ihnen nicht sagen was sie denken sollen.

F: Bei euren Aktionen habt ihr nicht nur Passanten sondern auch die Autoritäten provoziert, Polizei und andere Sicherheitskräfte. Habt ihr diese Auseinandersetzung gesucht oder war es nur ein Nebeneffekt der Aktionen?

KP: Natürlich ist es ein Nebeneffekt, wir suchten nicht die Konfrontation mit den Vertretern der Macht. Denn speziell die Polizei ist eine Bande von Psychopathen, Verrückten, völlig korrupt. Es war nicht der Hauptzweck, aber bei jeder unserer Aktionen, die uns mit dem Gesetz in Konflikt bringen könnten, bereiten wir uns auf eine Auseinandersetzung mit der Polizei, der Stadtverwaltung oder dem FSB (früher KGB) vor. Also versuchen wir uns von anfang an zu verteidigen; nach der Barrikade lernten wir, uns sicher zu fühlen, auch wenn jemand verhaftet wurde. Vor jeder der Aktionen treffen wir uns mit Anwälten um über die gegen uns anwendbaren Gesetze bescheid zu wissen.

F: In Deutschland hat man den Eindruck, daß in dem (russischen) Justizsystem Chaos herrscht - könnte euch nicht jemand statt nur ins Gefängnis gleich nach Sibirien bringen?

KP: Ja, das könnten sie, wenn du nicht stark genug oder sozial abgesichert bist, dich zu verteidigen. Bei der Barrikade beispielweise wußten sie, daß wir Künstler sind, sie ärgerten sich über uns, aber sie konnten nicht die ganze Brutalität des Systems einsetzen, weil wir öffentlich sind.

F: Was heißt das?

KP: Wir haben Kontakte zu den Medien, viele Leute kennen uns, wenn jemand verhaftet wird werden viele Leute Fragen stellen. Und auch unsere Aktionen sind öffentlich. Also, um die Frage abzuschließen, muß man sagen, daß wir dieses Problem aufmerksam beachten.

F: Ihr nennt die Bewegung "Gegen alle Parteien". Aber vielleicht ist sie näher an der einen Partei als an der anderen? Welche der existierenden Parteien könnte das sein?

KP: Die Bewegung kann keiner Partei nahe stehen, weil die Bewegung gegen das Konzept der Repräsentanz von Macht an sich ist, und politische Parteien sind Teil dieser Repräsentanz. An dieser Stelle möchte ich klarstellen, daß es nicht unser Ziel ist, Teil des politischen Kampfes zu sein, weil wir keine Politiker sind und keine Pläne haben, politische Führer zu werden. Also unser Hauptziel ist es, eine neue Kultur zu etablieren, zeitgenössische Kultur, und den Austausch zwischen Kultur und Gesellschaft wiederherzustellen. Es ist ein Phänomen des Projekts, daß es in verschiedene Richtungen interpretiert werden kann, rechts oder links, demokratisch oder kommunistisch. Aber davor haben wir keine Angst. Die Hauptbotschaft ist klar: 'Gegen jeden' bedeutet 'gegen jeden', wir sind keine Partei, keine Kandidaten. Es bleibt auf jeden Fall ein klares Bild. Wir verbreiten die Idee, dagegen zu sein....

F: Ich hatte persönlich einmal den Gedanken, daß wenn du sagst "Gegen Jeden" es auch bedeutet "Alle zusammen"?

KP: Nein, das ist reine Provokation, das ist dumm, deutscher Journalismus-Stil. - Es richtet sich nicht "Gegen Jeden", es richtet sich gegen alle Repräsentanten der Macht. Es ist nicht nihilistisch oder anarchistisch. Man muß den Kontext der Situation in Rußland verstehen, daß alle politischen Parteien und Präsidentschaftskandidaten in der öffentlichen Meinung schon versagt haben.

F: Könnte es denn eine Partei oder einen Kandidaten geben, die ihr akzeptiert?

KP: Ja, möglicherweise, aber nicht im moment, es macht keinen Sinn darüber zu reden. Unser Grundverständnis ist, daß die Menschen, die Menschen der Zukunft, die zukünftige Gesellschaft, keine Macht brauchen.

F: Vielen Dank für das Gespräch.

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