Aurora - Gründungserklärung
Kannibalismus in St.Petersburg, radioaktive Rinder aus der Ukraine, Plutoniumschmuggel, Kinderprostitution in Moskau und kein Krimi ohne Russenmafia. - Gut, daß es die Russen gibt, da kann es uns ja so nicht schlecht gehen.
Es scheint, daß die ehemalige Sowjetunion eine bestimmte Rolle in unserer Medienlandschaft hat, als Quelle für alles
Unangenehme, Verdorbene, für den drohenden Untergang der Zivilisation. In einer Mischung aus Neugier, Mitleid und
Schadenfreude ist ein fester Platz in unserem Weltbild entstanden. Nach der Wende brauchen wir die Bestätigung umso mehr: Bei
uns ist der bessere Teil der Welt.
Gerade für Journalismus und Massenmedien ist es bequem und wirtschaftlich opportun, dieses Bild immer wieder zu
reproduzieren. Ohnehin, wer wird sich schon wehren?
Vor Gorbatschov liebte man das Reich des Bären als stark, fremd, geheimnisvoll und unberechenbar - um sich in der eigenen
Gesellschaft umso sicherer zu fühlen. Auch im militärischen Bereich und der Politik war man froh, ein klares Feindbild zu haben.
Aber nach dem Zusammenbruch des Ostblocks entsteht ein Vakuum an Identität - auch im Westen: Wenn es nur EINE
Gesellschaftsform gibt, verschwindet die Überlegenheit der eigenen. Da ist man ganz froh, vor neuen Feinden warnen zu können:
der Korruption, der organisierten Kriminalität, dem Chaos, das aus dem Osten herüberzuschwappen droht.
Vielleicht ist die Zeit gekommen, diese Schablonen aufzugeben. In unserer Initiative haben sich im Herbst 1997 Journalisten und
Medienschaffende zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Berichterstattung über Rußland und die GUS-Länder zu verbessern. Es
geht um eine neue Objektivität in der Nachwendezeit; und um Differenzierungen: Facetten zu zeigen, wo gerne Schablonen
angesetzt werde.
Es geht auch um die Chance, dabei zu sein, wenn eine Gesellschaft ihr eigenes Regelsystem neu entwickelt. Denn die Entwicklung
im Osten ist spannender als irgendwo sonst auf diesem Planeten.
Köln, im September 1997 |